AtomkraftgegnerInnen vor Gericht

Eichhörnchen-Artikel, erschienen in der Zeitschrift Graswurzelrevolution Nummer 382, Oktober 2013

„Es ist dein Prozess, also führe ihn“, erklärte zu seiner Zeit der Polit-Agitator Fritz Teufel. Genauso tun dies UmweltaktivistInnen, die sich mit kreativen Aktionen für eine bessere Welt einsetzen und deswegen vor Gericht stehen. Sie sehen Gerichtsprozesse als die Fortsetzung ihrer Aktionen an. Handlungen, die die Staatsanwaltschaft als Straftaten abstempeln will, sehen sie im Kampf gegen die zerstörerische menschenverachtende Atomtechnologie als notwendig an. Kriminell ist die Atomindustrie! Nicht der Protest dagegen! Mit ihren kreativen Aktionen und einer Verteidigungsstrategie, die auf gegenseitige Unterstützung basiert, bringen die AktivistInnen die Justiz ins Schwitzen. Drei aktuelle Beispiele.

Eichhörnchen-Artikel, erschienen in der Zeitschrift Graswurzelrevolution Nummer 382, Oktober 2013

„Es ist dein Prozess, also führe ihn“, erklärte zu seiner Zeit der Polit-Agitator Fritz Teufel. Genauso tun dies UmweltaktivistInnen, die sich mit kreativen Aktionen für eine bessere Welt einsetzen und deswegen vor Gericht stehen. Sie sehen Gerichtsprozesse als die Fortsetzung ihrer Aktionen an. Handlungen, die die Staatsanwaltschaft als Straftaten abstempeln will, sehen sie im Kampf gegen die zerstörerische menschenverachtende Atomtechnologie als notwendig an. Kriminell ist die Atomindustrie! Nicht der Protest dagegen! Mit ihren kreativen Aktionen und einer Verteidigungsstrategie, die auf gegenseitige Unterstützung basiert, bringen die AktivistInnen die Justiz ins Schwitzen. Drei aktuelle Beispiele.

Steinfurt: AktivistInnen verteidigen AktivistInnen

August 2013, zwei AktivistInnen sitzen vor dem Steinfurter Amtsgericht auf der Anklagebank. Hintergrund des Prozesses ist eine Aktion am 30.7.2012 zum Stopp eines mit Uranhexafluorid beladenen Zuges der Firma URENCO aus der Urananreicherungsanlage (UAA) in Gronau. Der Atommüllzug befand sich auf dem Weg nach Frankreich. Die zwei Angeklagten sollen sich mit einem Rohr unter den Schienen bei Metelen festgekettet haben. Dafür sollten sie laut eines Strafbefehls zu 120 bzw. 80 Tagessätzen wegen „Störung öffentlicher Betriebe“ verurteilt werden.

Für Richter Erlemann ist es nicht ganz einfach heraus zu finden, wer von den vier auf der Anklagebank sitzenden Personen nun die Angeklagten sind, denn diese haben andere rechtskundige AktivistInnen als VerteidigerInnen gewählt. Die AktivistInnen nennen dies „Laienverteidigung“. Dass die VerteidigerInnen da sitzen, nimmt der Richter zur Kenntnis. Die Hauptverhandlung kann beginnen.

Schnell wird klar: Der von Richter Erlemann vorgesehene Ablauf wird durch zahlreiche Anträge und Rügen der Verteidigung zur Vorbereitung des Termins und zur Verhandlungsführung reichlich durcheinander gebracht. Ein Antrag findet nach dem Prozess in der lokalen Zeitung Erwähnung: Die AktivistInnen haben es gewagt, Kritik an der Ausstattung des Gerichtssaales mit einem Kruzifix auszuüben, indem sie sich auf die Glaubensfreiheit berufen. Als der Richter sich weigert, das Kruzifix abzuhängen, kommt wie aus dem Nichts eine Antiatomsonne dazu. Die gefährdet aber die Neutralität des Gerichtes, so der vorsitzende Richter, der einen Wachtmeister zur Hilfe ruft, um das Transparent zu entfernen. Und wie ist es mit den Kruzifix? Fragen sich die ZuschauerInnen, die dieses Symbol wohl nicht als „neutral“ ansehen.

Highlight der Verhandlung ist aus Sicht der AtomkraftgegnerInnen aber nicht der Kruzifix-Streit, sondern ein Gerichtsbeschluss zur UAA: „Der Antrag auf Stilllegung der Urananreicherungsanlage wird zurück gewiesen, weil dies nicht möglich ist“. Nach knapp vier Stunden und etlichen Verfahrensfehlern muss Richter Erlemann einsehen, dass ein erneuter Anlauf mit besserer Vorbereitung seitens des Gerichts angebracht ist. Er unterbricht die Sitzung auf unbestimmte Zeit, noch bevor Zeugen vernommen werden. „Wir werden auch weiter für unsere Überzeugung kämpfen – vor Gericht und auf der Straße – gegen die Atomindustrie und den Polizeistaat, die solche Aktionen erst notwendig machen. Solange die Urananreicherungsanlage in Gronau und die Brennelementefabrik in Lingen laufen, werden wir auch weiterhin Atomtransporte aufhalten“, sind sich die Beteiligten sicher.

Münster: zu hoch für die Justiz?

Eichhoenrchen bei der Raeumung 2008

Vor dem Münsteraner Landgericht muss sich ausgerechnet eine Aktivistin, die gerade in Steinfurt als Verteidigerin tätig ist, verantworten. Verteidigt wird sie von einem Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger, weil die Rechtslage schwierig ist und die Gerichte sich darüber uneinig sind, wie mit Aktionen, die in dem Luftraum oberhalb von einer Bahnanlage stattfinden, umzugehen ist. Die Staatsanwaltschaft wirft der Angeklagten Nötigung vor.

Der Fall ist für die Justiz wie eine heiße Kartoffel: Ein Zug, der Uranmüll im Januar 2008 von der Gronauer Urananreicherungsanlage nach Russland transportierte, musste vor einer zwischen zwei Bäumen in über sechs Meter Höhe demonstrierenden Atomkraftgegnerin einen sechsstündigen Halt machen.

Freispruch lautete 2009 das Urteil gegen die Kletteraktivistin vorm Steinfurter Amtsgericht. Die Aktion war zulässige freie Meinungsäußerung. Der Atommüllzug, den die Polizei – zur Gefahrenabwehr – angehalten hatte, war nicht einmal in Sichtweite der Aktivistin heran gefahren. Der Zug hielt auf Anordnung der Polizei an. Der Lokführer kann so nicht genötigt worden sein. Eine Ordnungswidrigkeit war die Aktion auch nicht, nur bis zu einer Höhe von 4,80 Meter gehört der Luftraum zur Bahnanlage. Die Aktivistin turnte oberhalb – und hat somit die Bahnanlage nicht betreten.
Dieses Urteil akzeptiert die Münsteraner Staatsanwaltschaft nicht, sie will unbedingt eine Verurteilung erreichen. Aus diesem Grund findet nun fast 6 Jahre nach der Tat, am 4. November 2013 vor dem Landgericht Münster die Berufungsverhandlung statt. Das Gericht zeigt sich nicht besonders motiviert, wie man es an den zeitlichen Ablauf sehen kann. Die Angeklagte bereut ihre Aktion nicht. Sie bringt nicht nur die Gerichte in Verlegenheit, sondern auch die Firma URENCO.
Der Protest der letzten Jahre hoch in den Seilen trug zu einem Ende der Atommülltransporte der Firma URENCO nach Russland bei.
Für die Angeklagte und ihre UnterstützerInnen ist das nicht genug: „Wir wollen nicht nur den Kuchen, sondern die ganze Bäckerei – die Abschaltung aller Atomanlagen weltweit!“

Lingen: Sozial-erträgliche Protestaktion

Lingen Stilllegen

Teil der Bäckerei ist die vom AREVA-Konzern in Lingen (NI) betriebene Brennelementefabrik. Genauso wie die UAA in Gronau, darf diese Uranfabrik trotz angeblichem Atomausstieg unbefristet weiter laufen. Dass es bei der Protestaktion von Robin Wood im Herbst 2012 darum ging, diesen Umstand zu kritisieren, hat ein Richter am Amtsgericht Lingen erkannt – und den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Eröffnung des Hauptverfahrens wegen gemeinschaftlicher Nötigung zurückgewiesen.

In Lingen sieht es so aus, als würde die ganze Stadt der Atomlobby mit seinem Atomkraftwerk und der Brennelementefabrik gehören. Der Einfluss der Atomkonzerne ist bis in das Amtsgericht zu spüren: Der erste zuständige Richter im Verfahren gegen die neun Angeklagten erklärte sich zuvor für befangen, weil sein Schwiegervater bei AREVA arbeite und dieser am Tattag zu Fuß laufen musste, um seinen Arbeitsplatz zu erreichen. Ein Kollege übernahm das Verfahren – und entschied zu Gunsten der AktivistInnen. Im Schreiben des Gerichts heißt es: „Es mangelt zumindest an der Rechtswidrigkeit der Nötigungshandlung. Die Handlung ist nicht verwerflich, die Angeklagten beabsichtigen den Protest gegen die Atomenergie und betroffen waren nur Areva-Mitarbeiter über einen geringen Zeitraum. Unter diesen Umständen war die Beeinträchtigung sozial-erträglich und hinzunehmen. Zumal aggressives Verhalten gegen Personen und Sachen nicht an der Tag gelegt worden ist. Nach alledem war das Verhalten der Angeklagten durch deren Recht auf Versammlungsfreiheit nach Artikel 8 Abs. 1 Grundgesetz gedeckt“, heiß es weiter im Beschluss vom 26.08.2013.

Es ist damit zu rechnen, dass die Staatsanwaltschaft Beschwerde gegen den Beschluss einlegt, um eine Hauptverhandlung zu erzwingen. Das Verfahren soll der Abschreckung vor weiteren Aktionen dienen.

Einschüchtern lassen sich die AktivistInnen jedoch
nicht. In Lingen wird sogar eine Antiatomgruppe gegründet. Im Sommer 2013 besetzten außerdem über 40 Menschen die Zufahrtsstraße zum AREVA-Werksgelände. Den Betroffenen wird dieses mal keine Straftat vorgeworfen, sondern eine Ordnungswidrigkeit – die Polizei lässt sich mal was Neues einfallen. Doch, der Widerstand ist kreativer! Wir kommen wieder!

Eichhörnchen

Weitere Infos: http://nirgendwo.info/