Ein OB, der gegen Rechtsextremismus kämpft… indem er AfD Politiker in Schutz nimmt

Zeit für ein Kommentar zur fragwürdigen Aussage des Oberbürgermeisters , Geflüchtete seien ein « Sicherheitsproblem », in der Seebrücke-Debatte, vom 4.2.21

Die nächste Sitzung des Lüneburger Stadtrates findet heute statt. Leider ohne live Stream, der Oberbürgermeister und seine Verwaltung sperren sich dagegen.

Zeit für ein Kommentar zur fragwürdigen Aussage des Oberbürgermeisters in der Seebrücke-Debatte bei der letzten Ratssitzung am 4. Februar 2021.

Der SPD Oberbürgermeister Ulrich Mädge, der zugleich Vorsitzender des Städtetages Niedersachsen ist, erklärte in der Ratssitzung von Februar 2021 Geflüchtete zu einem „Sicherheitsproblem“ und spannte den Bogen zu Hanau, indem er ihnen eine Verantwortung für den Terroranschlag zuschrieb. Dies wurde durch antirassistische Gruppen als rassistischer Täter-Opfer Umkehr angeprangert. In der noch laufenden Ratssitzung wurde ein Ratsherr von DIE LINKE, der seine Kritik an die Aussage des OB zum Ausdruck brach, durch die Vorsitzende unterbrochen. Niemand habe Hanau gesagt.

Als ich dann aber ein Video mit der umstrittenen Aussage des OB veröffentlichte und die Zivilgesellschaft ihre Empörung zum Ausdruck brachte, war dies nicht mehr unter dem Tisch zu kehren.

Video mit der Aussage des OB am 4.2.2021

(Untertitel einblendbar)

Video mit der Kritik von Ratsherrn Podstawa

(automatische Untertitel leider nicht so gut..)

Die Stadt Lüneburg reagierte erst am 11.2.2021 mit einer Pressemitteilung, mit der Erklärung des OB zum Vorfall, die in der Landeszeitung abgedruckt wurde. Ich möchte auf diese Erklärung eingehen.

Der OB schreibt, er sei nicht seine Absicht gewesen, den Anschlag von Hanau in eine falsche Verbindung zu bringen. Er habe in seiner Rede den rechten Anschlag von Hanau nicht gemeint, er sei kein Rassist, würde sich immer deutlich gegen Menschenfeindlichkeit, Rassismus und Rechtsextremismus positionieren. Das Missverstehen-Wollen treffe ihn.

Bei einem Politiker, der seit über 30 Jahren an der Macht ist, kommt mir nicht sehr glaubhaft vor, dass er in seiner Rede den rechten Anschlag von Hanau nicht gemeint hat. Viel mehr kommt mir seine Stellungnahme nun so vor, als habe er gemerkt, dass seine Aussage politisch nicht schlau war und nun den politischen Imageschaden begrenzen will. Ich mache es auch daran fest, dass er einer Erklärung, was er denn sonst gemeint hat, wenn nicht Hanau, schuldig bleibt. Dazu verhält er sich in seiner Stellungnahme nicht. Ich könnte hier eine Vermutung aufstellen, aber das wäre Spekulation und keinen Deut besser. Und den Anschlag von Hanau, 2 Wochen vor dem ersten Jahrestag mit – rätselrätsel-er-hat-nicht-gesagt-was – zu verwechseln, vermittelt nicht gerade den Eindruck, es mit einem überzeugten Antirassisten, der sich mit dem Thema intensiv auseinander setzt, zu tun zu haben.

Selbst wenn man ihm die Erklärung für seine Aussage, also dass Hanau nicht gemeint war, abnimmt. Wo bleibt die Auseinandersetzung, mit dem anderen Teil seiner Aussage? Er hat im Zusammenhang mit dem Satz zu Hanau, Geflüchtete zum Sicherheitsproblem erklärt. Zu dieser Aussage hat er sich nicht weiter geäußert, hat sie nicht zurück genommen.

Auch steht seine Aussage im Kontext früherer Aussagen. Er sagt, er engagiere sich gegen Rechtsextremismus. In der Praxis der Ratssitzungen ist festzustellen, dass er die AfD regelmäßig in Schutz nimmt, in der Regel gegen verbale Angriffe von DIE LINKE gegen die AfD. Ich verfolge die Ratssitzungen seit vergangenem Frühjahr und dieses Verhalten ist mir aufgefallen. Zumal er beispielsweise nicht davor zurück schreckt, Ratsherr Neumann, der in Lüneburg Polizist ist, mit ungeprüften Anschuldigungen gegen andere (in der Regel Ratsherr Podstawa von DIE LINKE), zu verteidigen.

Ich möchte hier auf einen konkreten Vorfall eingehen:

Ratsherr Podstawa wurde im Juli 2021 im Zuge von Protesten gegen die Wohnpolitik der Stadt Lüneburg in Gewahrsam genommen.

Es wurde am 1.-2. Juli 2020 ein seit mehrere Jahren leerstehendes Haus besetzt, das früher der Uni gehörte. Der Ratsherr beteiligte sich an einer angemeldeten und bestätigten Soli-Mahnwache vor dem Gebäude. AfD Polizist und Ratsherr Neumann war vor Ort im Einsatz. Seine Anwesenheit wurde durch die Anwesenden als Provokation wahr genommen, Podstawa verlangte seine Entfernung vom Einsatz. Er wolle keinen rassistischen Polizisten sehen. Im späteren Verlauf wurde Podstawa durch Neumanns Kollegen wegen „Aufwiegelung“ aus der Versammlung heraus gezogen und in Gewahrsam genommen. Im Zusammenhang mit dem Polizeieinsatz wurde eine weitere Person festgenommen, diese erlitt Verletzungen und musste zum Krankenhaus gefahren werden.

Ratsherr Podstawa sitz vor einem Polizeiauto aus Protest gegen die Anwesenheit von AfD Polizisten Neumann
Ratsherr Podstawa sitzt vor einem Polizeiauto aus Protest gegen die Anwesenheit von AfD Polizisten Neumann in der Nacht vom 1. auf den 2.7.2020 – Foto: Rudy Bartels

Schon damals bestanden erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Festnahme Podstawas, der Vorwurf, die Polizei habe das Versammlungsgesetz missachtet und eine „politisch“ motivierte Festnahme durchgeführt, stand im Raum.

Hausbesetzung in Lüneburg, 2.7.2021
Hausbesetzung in Lüneburg, 2.7.2021, sie wurde am späten Nachmittag durch das SEK beendet. Die Verfahren wegen Hausfriedensbruch sind eingestellt

Die Hausbesetzung war dann Thema in der Ratssitzung am gleichen abend und in einer späteren Sitzung am 1.10.2020. DIE LINKE beantragte am 2.7., die Räumung auszusetzen und eine Zwischennutzung des Gebäudes als soziales Zentrum zu ermöglichen, solange es leer steht und keine Bauarbeiten stattfinden.

Im Zuge der Diskussion um den Polizeieinsatz erklärte der OB in der Sitzung vom 1.10.2021, es seien „dort keine rassistischen Polizisten unterwegs gewesen“. Eine diskutable Aussage, angesichts der Beteiligung des AfD Mannes am Einsatz gegen die Demonstrierenden. Die Polizei habe „einen guten Job“ gemacht. Ob eine – möglicherweise – rechtswidrige Amtshandlung ein guter Job ist? Zu dem Zeitpunkt lief bereits eine Klage von Ratsherr Podstawa gegen die Polizei. Aber der OB war sich sicher.

Video mit der Aussage des OB am 1.10.2020

(mit Untertitel)

Der OB teilte außerdem gegen Ratsherr Podstawa von DIE LINKE aus. Er amüsierte sich in der Sitzung vom 2.7.2021 mit einem „ich hoffe Sie haben heute morgen ein gutes Frühstück gehabt“ (Spoiler: es gab nichts zu essen, Menschenwürde ist bei der Polizei ja auch so eine Sache) über die Ingewahrsamnahme – ich sehe darin eine menschenfeindliche Aussage. Er warf dem Ratsherrn und den Hausbesetzer*innen vor, sich „außerhalb der demokratischen Regeln“ bewegt zu haben, die Polizei habe richtig gehandelt. Am 1.10.2021 tätigte er eine ähnliche Aussage. Die Unschuldsvermutung scheint ihm nicht besonders wichtig zu sein und mit dem Unterschied zwischen Fakten und Unterstellungen nimmt er es auch nicht so genau, wenn es darum geht, einen AfD Mann in Schutz zu nehmen und gegen DIE LINKE auszuteilen.

Video mit der Aussage des OB am 2.7.2020

(automatische Untertitel, nicht ganz genau)

Sehr bedenkliches Verhalten, wenn es dann auch noch von der Spitze der städtischen Verwaltung, vom OB in Person kommt! In dieser Funktion müsste er seine Aussagen noch mehr als sonst auf Richtigkeit überprüfen.

Wenige Monate später steht rechtskräftig fest:

Die Hausbesetzung war keine Straftat, die Strafverfahren wurden nach § 170II StPO eingestellt, der Strafantragsteller wird auf den privaten Klageweg verwiesen (Zivilrecht). Der Paragraf bedeutet, dass die vorgeworfene Handlung nicht strafbar war.

Ratsherr Podstawa hatte kurz nach dem Vorfall gegen seine Ingewahrsamnahme vor Gericht Klage eingereicht (Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme). Das Gericht erkannte eine gewisse politische Brisanz in der Angelegenheit.

Angesichts der Tatsache, dass der Betroffene für die Partei « Die Linke » als Mitglied im Lüneburger Stadtrat sitzt, und auch der involvierte Polizeibeamte KHK Neumann lokalpoltisch aktiv ist, was gerichtsbekannt ist, birgt sie Sache eine gewisse Brisanz.

Amtsgericht Lüneburg, 17.09.2020

Die Ingewahrsamnahme war rechtswidrig (LZ Interview dazu) urteilte das Amtsgericht am 11.02.2021 (Az. 21 XIV 15146 L), die Polizei hat das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit missachtet. Die Polizei hat eine Versammlung behindert. So war das!

So verhält sich ein Oberbürgermeister, der von sich sagt, er engagiere sich gegen Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus.

Hintergrund: Faktencheck zum Vorurteil Geflüchtete seien kriminell: https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/informi…/faktencheck/