Frankreich: Sicherheitswahnsinnige Bescherung

Die französische Regierung packt für Weihnachten eine Bescherung aus: sie kündigt die Verankerung des Notstands in der französischen Verfassung und ein Gesetz das die Verlängerung des derzeitigen 3 monatigen Notstand um 3 weitere Monate ermöglicht, an.  Im Anschluss kann der Notstand dann noch um weitere 6 Monate verlängert werden, so der Gesetzentwurf. Derweil hat das französische Verfassungsgericht « conseil constitutionel » mit Verkündung von Dienstag 22.12.15 die Willkür für verfassungskonform erklärt: Menschen dürfen ohne Urteil anhand von « notes blanches » in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt oder gar eingesperrt werden.

Dieser Artikel wurde zuerst am 23.12. veröffentlicht und am 26.12. nach den öffentlichen Erläuterungen von Hollande  zu den geplanten Gesetzänderungen aktualisiert.

Die französische Regierung packt für Weihnachten eine Bescherung aus: sie kündigt die Verankerung des Notstands in der französischen Verfassung und ein Gesetz das die Verlängerung des derzeitigen 3 monatigen Notstand um 3 weitere Monate ermöglicht, an.  Im Anschluss kann der Notstand dann noch um weitere 6 Monate verlängert werden, so der Gesetzentwurf. Derweil hat das französische Verfassungsgericht « conseil constitutionel » mit Verkündung von Dienstag 22.12.15 die Willkür für verfassungskonform erklärt: Menschen dürfen ohne Urteil anhand von « notes blanches » in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt oder gar eingesperrt werden.

Dieser Artikel wurde zuerst am 23.12. veröffentlicht und am 26.12. nach den öffentlichen Erläuterungen von Hollande  zu den geplanten Gesetzänderungen aktualisiert.

AktivistInnen, die während des Klimagipfels unter Hausarrest gestellt wurden, hatten gegen die Verfügung die sich gegen sie richtete geklagt. Zwei Wochen lang mussten sie sich 3 male am bei der Polizei melden. Sie durften darüber hinaus ihre Wohnung zwischen 20 Uhr abend und 6 Uhr morgens nicht verlassen. Seit Verkündung des Notstandes wurden 384 Personen unter Hausarrest gestellt. Viele Verfügungen sind unbefristet und treffen überwiegend Menschen muslimischem Glaubens. Die Maßnahmen, die sich gegen 26 UmweltaktivistInnen richteten, waren dagegen auf die Dauer des Klimagipfels begrenzt. Sie stellten aber trotzdem eine gravierende Einschränkung der Grundrechte der Betroffenen dar. Sie konnte sich weder an den Protesten zum Klimagipfel beteiligen noch zur Arbeit gehen. Bei einem Verstoß gegen die Meldeauflagen riskierten sie eine Inhaftierung, wie dies in einigen von der über 300 Fällen bereits geschehen ist.

Das Verfassungsgericht ist aber trotzdem der Meinung dass es hier nicht um Freiheitsentziehung im Sinne der Verfassung geht. Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit sei außerdem auf Grund der Ausnahmesituation des Notstandes nicht unverhältnismäßig. Dass mit der angekündigten Verlängerung des Notstandes um weitere 3 Monate  – mit Aussicht auf 6 weiteren Monaten im Anschluss – die Ausnahme zur Regel wird, spielte in der Entscheidung keine Rolle.

Der Conseil d’Etat (entspricht etwa den Bundesgerichtshof) hatte bereits vor einer Woche erklärt, gegen die « notes blanches » anhand dessen die Hausarrestmaßnahmen beschlossen und begründet wurden, sei nichts einzuwenden. Damit wird die Gewaltentrennung aufgehoben: Menschen dürfen auf Grundlage von geheimen Notizen der Geheimdienste in ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt und sogar eingesperrt werden. Die « notes blanches » gehören in der Regel mit den « Fiche S ». « S » heißt « sureté », Sicherheit. Ca. 20 000 Menschen speichern die Geheimdienste in der Kategorie « S », ca. die Hälfte davon betrifft linke AktivistInnen.

Die Hausarrestverfügungen dürfen erlassen werden wenn « es Gründe gibt die vermuten lassen, dass die betroffene Person eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt ». Besagte Gründe sind in den « notes blanches » enthalten. Seine Vermutungen muss der Geheimdienst nicht näher erläutern. Beweise gibt es nicht. Im Notstand hat der Staatsschutz das Sagen (der französische Staatsschutz hat auch Geheimdienstbefugnisse).

Die « Fiche S » und « notes blanches » entsprechen etwa die Einstufung von Personen als « Gefährder » oder « Relevante Person » durch den deutschen Verfassungsschutz (und das BKA). Die Einstufung erfolgt nach Lust und Laune der Behörden. Wer das Maul aufmacht und eine Meinung vertritt, die Staatsschutz und Verfassungsschutz nicht passt, landet schnell in eine solche Datei. Laut BKA, LKA NI und Verfassungsschutz bin ich eben « relevant » – eine Begründung hierfür liefern sie nicht. Der Eintrag erfolgte offensichtlich auf Initiative des LKA Niedersachsen. Der Grund für den Eintrag dürfte die Tatsache sein, dass ich seit vielen Jahren politisch aktiv bin und mir nicht vorschreiben lassen wann wie und weshalb ich demonstriere. Klettern scheint so subversiv zu sein, dass es zu einem solchen Eintrag führt. Über die genauen Gründe kann ich jedoch nur mutmaßen. Die Akte, die ich bei Verwaltungsgericht einsehen durfte ist nämlich zu 80% geschwärzt (das Bild ist ein Auszug aus der Akte). Die Strafverfahren, die die Polizei eingeleitet hat, dürften keine Begründung liefern können. Auf meine Klage hin musste das LKA schon 2/3 der gespeicherten Verfahren löschen. Übrig sind 4 wegen Geringfügigkeit eingestellte Verfahren. Geringfügigkeit spricht gerade nicht für « staatsgefährdend ». (Siehe Artikel dazu)

Es zeigt: die Arbeit von Staatsschutz und Geheimdienste ist hierzulande ebenfalls in erster Linie politisch motiviert und hat mit realen « Gefahren » wenig bis gar nichts zu tun.

Unsere Reaktion darf nicht « Maul halten » sein. Im Gegenteil! Das Beispiel zeigt dass wir wachsam sein müssen! Kampagnen wie die zur Abschaffung des Verfassungsschutzes erscheinen mir in diesem Lichte noch bedeutungsvoller!

Update vom 26.12. – Päsident Hollande hat nun die Verfassungs- und Gesetzänderungen offiziel angekündigt. Darin sind im Wesentlichen Maßnahmen enthalten, die ich hier und in anderen Artikel schon geschildert habe:

– Hausdurchsuchungen dürfen künftig  auch außerhalb von Notstandzeiten ohne richterlichem Beschluss durchgeführt werden (sie heißen « perquisition administrative »). Zur begründung reichen « Hinweise  oder Erkenntnisse, die Vermuten lassen, dass das Verhalten der von der Hausdurchsuchung betroffene Person eine Gefahr für die Sicherheit des Staates oder die Sicherheit und Ordnung darstellt. » Die Formulierung ist sehr vague. Hier wird auch klar, dass das neue Gesetz nur sehr vague etwas mit Terrorismusbekämpfung zu tun hat. Einen expliziten Hinweis zum Terrorismus gibt es nicht. 

– Aberkennung der französischen Staatsangehörigkeit für Binationale Menschen. Das ist der Highlight, der in den französischen Medien für viel Diskussionsstoff sorgt. Menschen, die die französische und eine weitere Staatsbürgerschaft besitzen darf die französische Bürgerschaft aberkannt werden, wenn diese Menschen eine Gefahr für die Sicherheit des Staates und die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellten. Die Maßnahme soll im Verbindung mit einer Verurteilung stehen, um welche Verurteilung wegen welcher Straftat es dabei geht, wird in der Verfassung nicht festgeschrieben, das muss Gegenstand eines neuen Gesetzes werden, das nach der Verfassungsänderung für dessen Umsetzung entworfen und dann verabscheidet werden soll. Diese meiner Meinung nach vollkommen idiotische absurde Maßnahme dürfte mehr zur Ausgrenzung von Menschen ausländischer Herkunft beitragen als zur Terrorismusbekämpfug. Wer sich in die Luft sprengen will ist sicherlich egal welchen Pass er er/sie besitzt!

– Ein Gesetz zur Verstärkung der Internetüberwachung (Vorratsdatenspeicherung gibt es länger, die Weiterentwicklung hat mit dem von Snowden enthüllten PRISM-Programm aus den USA große ähnlichkeiten) Speichergeräte wie z.B. Computer oder Festplatten dürfen bei einer Hausdurchsuchung grundsätzlich (mit gleicher Begründung wie für die Hausdurchsuchung selbst) beschlagnahmt/sichergestellt und untersucht werden.

– Notstandgesetzgebung: Die Verfassung wird geändert. Der Notstand wird darin festgeschrieben. Die Dauer wird in einem neuen Gesetz festgelegt Der Notstand darf für bis zu 6 Monaten auf ein mal verkündet werden – und dann nach erneuter Zustimmung des Parlaments um weitere sechs Monate verlängert werden, etc.  Der Notstand wird zum Normalzustand, wie Amnesty International es in einer Mitteilung zutreffend kritisiert (die Mitteilung ist auf Englisch). Der aktuelle Notstand soll somit  um 3 Monate verlängert werden, so die Ankündigung.

– Im Rahmen des Notstandes dürfen die Präfekten jederzeit per Verfüfung Demonstrationen  « aus Sicherhietsgründen » verbieten. Was « aus  Sicherheitsgründen » genau bedeutet, ist nicht klar.

– Vereine und Gruppen dürfen mit sofortiger Wirkung aufgelöst werden, wenn sie  » an Handlungen die die öffentliche Sicherheit und Ordnung schwerwiegend gefährden teilnehmen, deren Begehung unterstützen oder dazu aufrufen ».

Die Maßnahmen dürfen allgemein dann eingesetzt werden, wenn ein « Verhalten » oder eine Person « die öffentliche Sicherheit und Ordnung stören » kann. « Aus Sicherheitsgründen », bei « schwerwiegender Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ». Diese Begriffe si
nd sehr dehnbar. Und die Erkenntnisse, Quellen und Informationen womit der Gefahrenverdacht begründet sind, beleiben geheim (siehe u.a. die oben angesprochenen « Notes blanches » der Geheimdienste)

– Die Rechte (Sarkozy, Le Pen) fordert Internierungslager (Guantanamo à la francaise) für Menschen, die des Terrorismus oder der Gefährung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verdächtigt sind. Diese Maßmnahme wurde in der Gesetzänderung nicht üernommen, aber es ist womöglich nur eine Frage der Zeit. bgeneigt war Hollande nicht, er hat die Maßnahme zur Prüfung ihrer Verfassungsmäßigkeit dem obersten Gericht vorgelegt.

Damit wird in Europa , im Land der « Droits de l’Homme » ein totalitärer Willkürstaat geschaffen. Das hat mer mit Disktatur als mit Rechtsstaat zu tun. Grundrechte werden außerkraft gesetzt, die Gewaltentrennung wird aufgehoben (Polizei und Präfekte haben die Macht, dürfen die Maßnahmen anordnnen und durchführen, ohne Einschaltung der Justiz),  Die « Gefahren »  für die öffentiche « Sicherheit » und « Erkenntnisse » sind so wenig und schwamig definiert und formuliert, dass die Maßnahmen im Grunde genommen jeden Menschen Treffen können, dessen Meinung und Verhalten den MachthaberInnen nicht passt. Es gibt keine Rechtssicherheit, es ist Gesinnungsrepression.

Weitere Informationen

– Viele Menschen reden hier von einem Pariot Act à la francaise. Auf Bastamag gibt es einen guten Artikel hierzu (auf Französisch)

– Zu empfehlen ist auch der auf paris-luttes.info veröffentlichte Aufsatz vom Philosophen Giorgio Agamben « Vom Rechtsstaat zum Sicherheitsstaat » (der Text ist auf Französisch veröffentlicht worden)

– Die Zivilgesellschaft hat auf die neuen Ankündigungen reagiert und diverse Aufrufe und Stellungnahme veröffentlicht:

« Wir lassen uns nicht mundtot machen » von den Menschen aus la ZAD de Notre Dame des Landes, die gegen ein Flughafenprojekt kämpfen und eine ganze Gegend besetzt halten – die ZAD ist übrigens 2016 stark räumungsbedroht, für den 16. Januar 2016 wird zu einem großen Aktionstag aufgerufen.

Appel der 333 gegen die Notstandgesetzgebung (Petition)

– interessante Analyse der angekündigten Reformen u.a. mit Erläuterung zur Problematik der Verfassungsänderung und der Verankerung des Notstands mit Verweis auf Gesetze zur Dauer und zum Umfang der Maßnahmen. « C’est l’arbitraire de pouvoir législatif qui est ainsi constitutionnalisé, et qui plus est dans des mesures attentatoires aux libertés. » heiß es im Text: « Die eigenmächtige Legislative (Gesetzgebung) erhält somit Verfassungsrang – mit Maßnhamen die Freiheitsgrundrechte berühren. » (schwierig zu übersetzen…)

– Für die Menschen die kein Französisch können, gibt es viele ergänzende Infos in einem Artikel, der auf Indymedia gepostet wurde.

An dieser Stelle, das Video von der Veranstaltungen über die Notstandgesetze in Frankreich vom 14.12.15 in Frankfurt am Main. Veranstaltungsanfragen bitte an info(ät)eichhoernchen.fr