Kanalschiff-Urteil: der Stachel im Arsch der Atomwirtschaft und das Feindbild Justiz

Das gestrige Urteil vom Schifffahrtsgericht Dortmund im Kanalschiff-Prozess wurde durch die Verteidigung im Wesentlichen protokolliert. Verhandelt wurde über Bußgeldbescheide der Wasser und Schifffahrtsdirektion West (WSD), die den zwei Betroffenen KletteraktivistInnen Bußgeldbescheide in Höhe von jeweils 165 Euro wegen grob ungehöriger Handlung und Fehlbenutzung einer bundeseigenen Schiffsartanlage zukommen ließ. Nach 3 Verhandlungstagen und insgesamt 14 Stunden Verhandlung wurde das Urteil gesprochen: 20 Euro für das „Eichhörnchen“ und 10 Euro für den „Fuchs“. Alles Berichte hier unter dem « TAG » EDO

Ich gebe hier der Wortlaut vom der mündlichen Urteilsbegründung von Richter Tebbe wieder – es folgt dann ein Kommentar meinerseits und eine Erläuterung weshalb wir gegen das Urteil nun Rechtsmittel eingelegt haben.

Das gestrige Urteil vom Schifffahrtsgericht Dortmund im Kanalschiff-Prozess wurde durch die Verteidigung im Wesentlichen protokolliert. Verhandelt wurde über Bußgeldbescheide der Wasser und Schifffahrtsdirektion West (WSD), die den zwei Betroffenen KletteraktivistInnen Bußgeldbescheide in Höhe von jeweils 165 Euro wegen grob ungehöriger Handlung und Fehlbenutzung einer bundeseigenen Schiffsartanlage zukommen ließ. Nach 3 Verhandlungstagen und insgesamt 14 Stunden Verhandlung wurde das Urteil gesprochen: 20 Euro für das „Eichhörnchen“ und 10 Euro für den „Fuchs“. Alles Berichte hier unter dem « TAG » EDO

Ich gebe hier der Wortlaut vom der mündlichen Urteilsbegründung von Richter Tebbe wieder – es folgt dann ein Kommentar meinerseits und eine Erläuterung weshalb wir gegen das Urteil nun Rechtsmittel eingelegt haben.

Urteil von Richter Tebbe:

Herr P. wird wegen verbotenem Benutzen bundeseigener Schifffahrtsanlagen zu einer Geldbuße von 10 Euro, Frau L. zu 20 Euro verurteilt. Die Kosten des Verfahrens tragen die Betroffenen.

Rechtsgrundlage sind das Bundeswassetraßengesetz (BWAStrG) §50 Abs 1 Nr. 2 Abs. 2 und die BetriebsanlagenVO §2 Abs(1) Nr.1

Begründung:

Die grundsätzliche Rechtsfrage ist, (wie von der Verteidigung auch auf den Punkt gebracht), ob das Recht aus Artikel 8 GG (bzw. Artikel 5) auf Versammlungsfreiheit in eine Bußgeldnorm hineinwirken kann, sodass diese Vorschrift nicht mehr anwendbar ist oder so auszulegen ist, dass sie nicht tatbestandsmäßig ist.

Es ist sozial wichtig, was Sie tun und vollkommen nachvollziehbar, kann vieles von dem unterschreiben, was Sie hier vorgetragen haben. Aber Sie treten hier auf, als ob die Justiz der Feind wäre. Ich bin enttäuscht davon, dass Sie keine Aussage gemacht haben und nicht zu dem stehen, was sie gemacht haben. Es ist « ganz wichtig, dass es Leute wie Sie gibt », die « der Stachel im Arsch der Atomwirtschaft » und dadurch auch hin und wieder der « Stachel im Arsch der Polizei » sind.

Ich verstehe, dass sie subversiv auftreten und eine Anmeldung umgehen. Deswegen treffen Sie auf Polizei, die keine Ahnung vom Versammlungsgesetz hat. Das wäre bei einer Anmeldung vermutlich etwas anders.

Positiv: Die Aktion war gewaltfrei und friedlich. Trotzdem handelten Sie im konkret vorliegenden Fall ordnungswidrig. Die Abwägung der Rechtsgüter führt dazu, dass keine Tatbestandsmäßigkeit auszuschließen ist.

Es bestand keine konkrete Gefahr, jedoch eine abstrakte Gefahr beim Abseilen. Es wäre möglich gewesen, dass ein Schiffsführer Sie nicht rechtzeitig gesehen hätte bzw. panisch reagiert hätte und möglicherweise Schubumkehr eingeleitet hätte, was im Kanal zu einer Havarie führen könnte.

Deshalb bleibt es auch nach einer Abwägung mit der Meinungsfreiheit und Artikel 8 GG bei einer Ordungswidrigkeit. Das Anliegen auf der Rechtsfolgenseite war die Versammlung nach §8 GG. Diese ist nicht richtig behandelt worden (von der Polizei). Zu berücksichtigen ist auch der Zweck der Aktion, deshalb stellt sie mit Sicherheit keinen « groben Unfug » nach §118 OwiG dar. « Das ist nachvollziehbar, was Sie tun. » Mir ist klar, meine Meinung muss nicht die endgültige sein. Das OLG oder BVerfG werden vielleicht zu einer anderen Rechtsgüterabwägung kommen, aber das ist erst mal meine. Ich hoffe, dass Sie vielleicht nach diesem Verfahren, vielleicht nicht von ihrem Feindbild Staat abrücken, das wäre vielleicht etwas vermessen, aber zumindest darüber nachdenken. Die Geldbußen sind ausreichend, sie sind mehr ein symbolischer Ausdruck.

Beim Betroffen P. wurde die Ingewahrsamnahme bei der Festsetzung der Höhe berücksichtigt.

Kommentar

Die Bußgelder sind zwar symbolisch, man kann sich aber fragen, warum der Staat so viel Aufwand für die Aburteilung einer Lappalie wie diese Ordnungswidirgkeit betreibt. Wäre es um eine Verkehrsordnungswidrigkeit mit dem Fahrrad gegangen, wäre das Verfahren möglicherweise ohne Gerichtsverhandlung oder bereits nach dem ersten Prozesstag eingestellt worden. Im Ordnungswidrigkeitenverfahren gilt das so genannte Opportunitätsprinzip. Bußgeldbehörde und Justiz dürfen, müssen aber nicht verfolgen. Sie dürfen ein Verfahren jederzeit ohne weitere Begründung einstellen.

Solche absurde Vorwürfe wie „grob ungehörige Handlung“ kommen nicht so oft vor. Wir haben das Verfahren geführt mit dem Ziel, die Lächerlichkeit und Absurdität des Justizsystems vorzuführen. Das ist uns allein angesichts des Aufwandes der hier betrieben wurde, gelungen.

Aber Sie treten hier auf, als ob die Justiz der Feind wäre.“ hieß es in der Urteilsbegründung. Ja, meine Erfahrung sagt mir, dass das System Justiz und Polizei – oder auch Atomkraft – krank ist. Sich wehren ist eine gesunde Reaktion auf ein krankes System.

Die DemonstrantInnen wurden verurteilt. Doch die Polizei, die –  wie der Richter es bestätigte -, rechtswidrig gegen die KletterInnen vorging, wird nicht behelligt und darf weiter ihre eigene Gesetze brechen. Ist das nicht ein krankes System?

Es ist « ganz wichtig, dass es Leute wie Sie gibt », die « der Stachel im Arsch der Atomwirtschaft » und dadurch auch hin und wieder der « Stachel im Arsch der Polizei » sind. Diese Worte hat der Richter wirklich gesagt, ich kann mich sehr wohl daran erinnern. Wir haben den Eindruck gehabt, dass diese Worte auch ernst gemeint waren und nicht nur Fassade waren. Diese Ehrlichkeit und Sympathieausdruck kommt vor Gericht selten vor. Ein Richter bleibt aber, als Teil des Systems, darin gefangen und bestraft das was er eigentlich gar nicht so schlecht findet. Wie Schizophren ist das System!

Eine Gesellschaft verändert sich schneller als ihre Gesetze. Es bedarf Menschen, die ihre Handlung nach ihrem Gewissen und nicht nach versteinerten Gesetzen aus dem letzten Zeitalter richten. Oder: wurde die Betriebsanlagenverordnung zu dem Zweck erlassen, das Demonstrieren gegen ein Atommüllschiff zu unterbinden?

Bei der Betriebsanlagenverordnung handelt es sich um ein „Gefahrenabwehrgesetz“. Dem Wortlaut der Betriebsanlagenverordnung nach ist sie eine Strompolizeiverordnung zum Schutz bundeseigener Schifffahrts- und Betriebsanlagen. Dieses Gesetz verweist auf das Bundeswasserstraßengesetz. Demnach ist unter Strompolizei (§24) zu verstehen, dass sie Aufgaben zur Gefahrenabwehr übernimmt. Zweck der Betriebsanlagenverordnung ist nicht, Versammlungen zu unterbinden und zu bestrafen, sondern Gefahren abzuwenden. Wie ein Sicherheits- und Ordnungsgesetz (SOG) oder Polizeigesetz es auch ist. Versammlungen sind „Polizeifest“. Dies bedeutet, dass Handlungen und Maßnahmen nach dem Versammlungsgesetz Handlungen nach dem Polizeigesetz vorgehen. Weil die Betriebsanlagenverordnung die allgemeine Gefahrenabwehr zum Zweck hat, kann per Analogie gesagt werden dass das Versammlungsgesetz in seinem Anwendungsbereich als Spezialgesetz dem allgemeinen Polizeirecht (Strompolizeirecht) vorgeht.

Seine Abwägung begründet Richter Tebbe in der Möglichkeitsform.

Es bestand keine konkrete Gefahr, jedoch eine abstrakte Gefahr beim Abseilen. Es wäre möglich gewesen, dass ein Schiffsführer Sie nicht rechtzeitig gesehen hätte bzw. panisch reagiert hätte und möglicherweise Schubumkehr eingeleitet hätte, was im Kanal zu einer Havarie führen könnte.

Deshalb bleibt es auch nach einer Abwägung mit der Meinungsfreiheit und Artikel 8 GG bei einer Ordungswidrigkeit“

Hätte, wäre, könnte“ Richter Tebbe sprach im Konjunktiv II. Das ist mir aufgefallen. Wir werden verurteilt, weil es ja vielleicht hätten sein können, dass vielleicht… Großartig!

Ich bezweifele, dass eine Rechtsgüterabwägung in der Möglichkeitsform dem Bestimmtheitsgrundsatz Rechnung trägt.

Das ist ein exotisches Verfah
ren, es gibt keine Rechtsprechung mit vergleichbaren Fällen, sagte noch der Richter.
Er schien die Kollegen am Oberlandesgericht, die nun mit dem Verfahren zu tun haben werden, nicht zu beneiden.

Es ist sozial wichtig, was Sie tun und vollkommen nachvollziehbar, kann vieles von dem unterschreiben, was Sie hier vorgetragen haben. Aber Sie treten hier auf, als ob die Justiz der Feind wäre. Ich bin enttäuscht davon, dass Sie keine Aussage gemacht haben und nicht zu dem stehen, was sie gemacht haben.

Ich stehe wohl zu meinen Handlungen. Nur: Er geht mir um die Vermittlung politischer Inhalte sowie darum, dem Gegner Probleme zu bereiten. Vor Gericht erscheine ich nur deshalb, weil der Richter statt das Verfahren einzustellen, zum Tanz eingeladen hat. Ich nutze dann gerne die politische Bühne um einen solchen Prozess. Doch, den Nachweis darüber, was ich getan haben soll, muss der Richter selbst bringen. Das ist nicht mein Job. Ich gebe nicht den Stock um geschlagen zu werden. Nein, ich wehre mich – auch die 20 Euro bin ich nicht bereit zu bezahlen. Ein Bußgeld hat laut Gesetz einen erzieherischen Charakter. Auch Erzwingungshaft kann mich nicht erziehen und zum zahlen bewegen, wenn ich beschlossen habe, dies nicht zu tun. Gehorsam kann man von mir nicht erzwingen, Meine Gedanken sind frei. Das ist meine Art, zu meinen Handlungen zu stehen: mich gegen ein krankes System zu wehren, das nicht einmal in der Lage ist, seine eigene Gesetze einzuhalten. Und ich soll mich dran halten???

A propos: als ich am heutigen Tag nach Hause kam, wartete im Briefkasten ein Beschluss vom Amtsgericht Hameln auf mich:“Wird die Ingewahrsamnahme durch die Polizei in Emmerthal-Grohne, Kreis Hameln-Pyrmont – Zufahrt zum AKW – am Abend des 18.11.2012 für unzulässig erklärt.“ Aktenzeichen 3 UR II 3/12 AG Hameln

Die Ingewahrsamnahme erfolgte als wir gegen die Ankunft eines MOX-Transport am AKW Grohnde protestierten…. von wegen Atomausstieg… niX da wenn wir nicht laut kreativ und unbequem protestieren…

Die Ingewahrsamnahme wurde für rechtswidrig erklärt, weil die Polizei wiedereinmal das Versammlungsrecht missachtete und uns ohne vorige Auflösung der Versammlung in Gewahrsam nahm. Wenn das Eichhörnchen im Baum sitzt und ein Atomtransport unterwegs ist, werden Grundrechte außer Kraft gesetzt. Klettern gefährden den Atomstaat.

Doch, Kriminell ist die Atomindustrie! Nicht der Widerstand dagegen.