Ankettaktion gegen Lubmin-CASTOR: Freispruch mit Vorlesungscharakter

Im Saal Vor dem Amtsgericht Ribnitz-Damgarten spielte sich am Donnerstag ein ungewöhnlicher Prozess ab. Der Vorwurf gegen die zwei Angeklagten hatte an sich nichts außergewöhnliches: Erfahrene UmweltaktivistInnen wissen, dass entschlossene Protestaktionen gegen Atomtransporte von der Staatsgewalt und der Justiz oft als „Sabotageakt“ nach §316b StGB (Störung öffentlicher Betriebe) kriminalisiert werden. Der Regelfall ist, dass das Gericht der Forderung der Staatsanwaltschaft folgt. Das Strafbefehlsverfahren ermöglicht schnelle Verurteilungen ohne Studium der Akte. Wer die Einspruchsfrist von zwei Wochen versäumt, ist rechtskräftig verurteilt – ohne Prozess.

Dass diese Verfahrensweise mehr als bedenklich ist, hat die Verhandlung am Donnerstag gezeigt. Zwei CASTOR-Gegner, die sich im Februar 2011 aus Protest gegen einen Atommüllzug nach Lubmin an der Schiene festgekettet hatten, wurden vom Vorwurf der Nötigung, der Störung öffentlicher Betriebe und des Verstoßes gegen die Eisenbahn- Bau- und Betriebsordnung (EBO) freigesprochen – sie hatten zuvor Strafbefehle erhalten und Einspruch eingelegt. Die Verhandlung glich einer Jura-Vorlesung mit regem juristischem und recht-philosophischem Austausch. Ich habe an diesem Verfahren als Verteidigerin eines der beiden Angeklagten mitgewirkt.

Im Saal Vor dem Amtsgericht Ribnitz-Damgarten spielte sich am Donnerstag ein ungewöhnlicher Prozess ab. Der Vorwurf gegen die zwei Angeklagten hatte an sich nichts außergewöhnliches: Erfahrene UmweltaktivistInnen wissen, dass entschlossene Protestaktionen gegen Atomtransporte von der Staatsgewalt und der Justiz oft als „Sabotageakt“ nach §316b StGB (Störung öffentlicher Betriebe) kriminalisiert werden. Der Regelfall ist, dass das Gericht der Forderung der Staatsanwaltschaft folgt. Das Strafbefehlsverfahren ermöglicht schnelle Verurteilungen ohne Studium der Akte. Wer die Einspruchsfrist von zwei Wochen versäumt, ist rechtskräftig verurteilt – ohne Prozess.

Dass diese Verfahrensweise mehr als bedenklich ist, hat die Verhandlung am Donnerstag gezeigt. Zwei CASTOR-Gegner, die sich im Februar 2011 aus Protest gegen einen Atommüllzug nach Lubmin an der Schiene festgekettet hatten, wurden vom Vorwurf der Nötigung, der Störung öffentlicher Betriebe und des Verstoßes gegen die Eisenbahn- Bau- und Betriebsordnung (EBO) freigesprochen – sie hatten zuvor Strafbefehle erhalten und Einspruch eingelegt. Die Verhandlung glich einer Jura-Vorlesung mit regem juristischem und recht-philosophischem Austausch. Ich habe an diesem Verfahren als Verteidigerin eines der beiden Angeklagten mitgewirkt.

Richter Neumann hatte schon vor Prozessbeginn der Verteidigung mitgeteilt, er halte an seiner Rechtsauffassung beim Erlass der Strafbefehls mit dem Vorwurf der Nötigung nicht fest. Einer Einstellung der Verfahrens wollte die Staatsanwaltschaft aber nicht zustimmen.

Es kam zur Hauptverhandlung. Die Angeklagten ließen sich nicht zur Tat ein, sondern zu ihren Beweggründen. Kurz vor der Aktion hatte die Regierung die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke beschlossen. Drei Wochen nach der Aktion ereignete sich dann die Atomkatastrophe in Fukushima. Dies veranlasste die PolitikerInnen zu einem Kurswechsel. Mit der Abschaltung einiger AKWs sei aber kein Atomausstieg geschafft, so die Angeklagten. Dies zeige der weiter wachsenden Atommüllberg und die unbefristeten Laufzeitgarantien für die Gronauer Urananreicherungsanlage sowie die Brennelementefabrik in Lingen. Aus diesem Grund seien Aktionen wie die angeklagte Handlung notwendig.

Richter Neumann machte darauf hin klar, das er die Angeklagten freisprechen werde. Seinen Standpunkt begründete er ausführlich, indem er sich sowohl an die Angeklagten und ihre VerteidigerInnen als auch an das Publikum wendete. Er lass aus dem Strafgesetzbuch und diversen Urteilen vor. Er hatte sich offensichtlich gründlich auf die Verhandlung vorbereitet und Urteile zu Castorblockaden studiert. Er griff zahlreiche Widersprüche in der bisherigen Rechtsprechung auf. Der Vorwurf der Nötigung wurde von Staatsanwalt Stahl selbst fallen gelassen. Eine Störung öffentlicher Betriebe sah Richter Neumann im konkreten Fall nicht als erwiesen an. Die Strecke sei nicht „unbrauchbar“ gemacht worden, dafür bedarf es nach der jüngsten Rechtsprechung vom BGH einer „Einwirkung auf die Substanz“. Eine Veränderung sei – anders als zum Beispiel bei einem Betonblock unter der Schiene, nicht vorgenommen worden. Auch habe kein Gegenstand im Fahrtweg hinein geragt. Richter Neumann vertrat weiter den Standpunkt, dass die Angeklagten von ihrem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit Gebrauch gemacht haben und dass dieses Grundrecht höher als der Schutzzweck der Eisenbahn- Bau- und Betriebsordnung anzusehen sei. Der Staatsanwalt hielt dagegen, er erklärte, die Angeklagten hätten das Gesetz bewusst übertreten. Eine Einstellung des Verfahren komme deshalb nicht in Frage.

Die Verteidigung sah sich mit der ungewöhnlichen Situation konfrontiert, dass der Richter ihr die Arbeit abgenommen hatte. Es wurde ergänzend aus dem jüngsten Urteil vom Bundesgerichtshof zum Vorwurf der Störung öffentlicher Betriebe zitiert (NJW 2013, 2916).

Der Richter hätte beinahe vergessen, Beweis über das tatsächliche Geschehen auf der Schiene in der Februarnacht 2011 zu erheben. Ein Polizeibericht wurde auf Anregung der Verteidigung zur Tatsachenfeststellung verlesen. Ein Angeklagter ließ sich nicht vom Richter, der das Verfahren pünktlich zu seiner Mittagspause beenden wollte, beirren. Er bereicherte das von einem sehr trockenen Rechtsgesprächen geprägte Verfahren mit einem Beweisantrag, in dem politische Umstände und Inhalte vermittelt wurden: Mit der Ladung von Angela Merkel sollte unter anderem bewiesen werden, dass “der Protest der Atomkraftgegner*innen dazu beiträgt, die Atomanlagen und deren Betrieb weniger gefährlich zu gestalten“ sowie dass „ Mensch sich auf die Politik zur Abwehr dieser Gefahren nicht verlassen kann“. Die Begründung mit dem berühmten Satz von Angela Merkel, die den Austritt von Radioaktivität mit Backpulver vergleicht, ließ viele Menschen im Saal schmunzeln. „In jeder Küche kann beim Kuchenbacken mal etwas Pulver daneben gehen“ hat die Physikerin Angela Merkel gesagt…Auf die Politiker kann man sich definitiv nicht verlassen… Widerstand – auch in Form von Ankettaktionen – ist notwendig.

Staatsanwalt Stahl forderte in seinem Plädoyer „symbolische Strafen“ von jeweils 15 Tagessätzen. Eine gewisse Unsicherheit war zu spüren, er äußerte sich mehrfach in der Möglichkeitsform: „das vermute ich jedenfalls“ ; „könnte“ ; „dürfte“. Er stellte fest, dass die Angeklagten das Anhalten des Zuges bezweckt haben. Mit solchen Aktionen solle man außerdem sparsam umgehen, das sei gefährlich. Die Erwiderung von Richter Neuman kam in seiner Urteilsbegründung: „Ich werde ihnen keine Väterlichen Ratschläge geben, dass sie so etwas nicht wieder tun sollen. Was sie da gemacht haben ist völlig in Ordnung und sie haben sich etwas getraut, was sich viele Menschen nicht trauen zu tun.“ Die Verteidigung hatte zuvor auf Freispruch plädiert und den Stellwert von Art. 8 und 5 GG (Versammlungs- und Meinungsfreiheit) bekräftigt.

Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig – die Staatsanwaltschaft hat sich offen gelassen, gegen das Urteil mit einer Berufung oder einer Revision vorzugehen. Das ist das erste Mal, dass es für eine solch Aktion einen Freispruch gibt.

Ob das Urteil eine Versöhnung mit dem Rechtsstaat zur Folge hat? Nein. Zwei Tage später konnte ich in Berlin mal wieder erleben, wie viel das Grundrecht auf Meinungs- Versammlungsfreiheit der Staatsgewalt Wert ist – trotz erfolgreichen Klagen gegen die Behörde bei vergleichbarem Sachverhalt in der Vergangenheit: Die Staatsgewalt ist nicht lernfähig. Aber das ist eine andere Geschichte.

Ich bin manchmal mehr Chamäleon als Eichhörnchen: ich wechsele ständig, nicht die Farbe, sondern die Rolle: Angeklagte, Verteidigerin, Klägerin, etc.

Eichhörnchen

Mitteilung der Soli-Gruppe