Die Erforschung der Wahrheit ist nicht erforderlich – Urteil im S21-Rathausprozess

Der 5. und letzte Prozesstag im Stuttgarter Rathausprozess am 4. Mai 2016 bescherte den Prozessbeteiligten keine Überraschung. Richterin Löhner setzte weiterhin auf eine fragwürdige Verhandlungsführung und begegnete Angeklagten und VerteidigerInnen mit offensichtlichem Desinteresse. Das Szenario der Theater Aufführung war bereits geschrieben und es war klar, dass diese mit einer Verurteilung der Angeklagten enden würde – trotz miserabler Beweislage und zahlreichen ungeklärten Rechtsfragen.

Der 5. und letzte Prozesstag im Stuttgarter Rathausprozess am 4. Mai 2016 bescherte den Prozessbeteiligten keine Überraschung. Richterin Löhner setzte weiterhin auf eine fragwürdige Verhandlungsführung und begegnete Angeklagten und VerteidigerInnen mit offensichtlichem Desinteresse. Das Szenario der Theater Aufführung war bereits geschrieben und es war klar, dass diese mit einer Verurteilung der Angeklagten enden würde – trotz miserabler Beweislage und zahlreichen ungeklärten Rechtsfragen.

Dass Richterin Löhner fest entschieden war, den Angeklagten einen kurzen Prozess zu machen, zeichnete sich schon vor Beginn des Prozesstages ab. Sämtliche geladene Zeugen waren abgeladen worden, ohne Ersatztermin und ohne Absprache mit der Verteidigung. Die Verteidigung verlangte hierfür Erläuterungen und widersprach die Abladung der Zeugen. Die Beanstandung wurde jedoch ignoriert, es erging trotz Antrag keinen Gerichtsbeschluss. Weitere Beanstandungen und Anträgen aus dem zweiten Prozesstag wurde ebenfalls nicht beschieden – obwohl die Richterin damals lediglich die Zurückstellung der Entscheidung über die Anträge verfügte – damit war nicht gemeint, dass sie diese niemals bescheiden würde. Dies entspricht ja auch nicht der Strafprozessordnung. Ist aber möglicherweise Stuttgarter Landrecht.

Die Verteidigung trug an diesem Mittwoch ein paar Erklärungen und Beanstandungen vor. Nachdem sie erklärte, „zum jetzigen Zeitpunkt“ keine Anträge mehr stellen zu wollen, wurde die Beweisaufnahme geschlossen und die Staatsanwältin um ihr Plädoyer gebeten.

Die Staatsanwältin erklärte, die Angeklagten seien auf Grund ihrer politischen Erklärungen zu Beginn der Verhandlung überführt. Einen Tatnachweis hat die Beweisaufnahme nämlich nicht zu Tage gefordert. Und es sei klar, dass sie an einer nicht angemeldeten Versammlung teilgenommen hätten und sich trotz Aufforderung durch den Hausrechtsinhaber aus dem Rathaus nicht entfernt hätten. Wer genau der oder die Hausrechtsinhaber-in gewesen sein soll, blieb im Vortrag der Staatsanwältin nebulös. Immerhin: zum ersten mal seitens der Staatsanwaltschaft wurde von einer Versammlung gesprochen. Die Staatsanwältin setzte sich sogar ausführlich mit dem Thema auseinander, vertrat jedoch eine seltsame Rechtsauffassung. Es sei Hausfriedensbruch, weil die Versammlung nicht angemeldet gewesen sei und man versammle sich doch nicht in geschlossenen Räumen, diese seien keine geeigneten Versammlungsorte. Das Flughafenurteil vom Bundesverfassungsgericht aus dem Jahr 2011, wo es ausgerechnet um Versammlungen in geschlossenen aber mindestens zum Teil öffentlichen räumen geht, erwähnte sie nicht. Auch nicht die Entscheidungen vom Bundesverfassungsgericht wonach Art 8 GG auch dann gilt, wenn die Versammlung nicht angemeldet wurde.
Sie beantragte eine Verurteilung in Höhe von 15 Tagessätzen. Sie hätte auf Grund der Vehemenz mit der die Angeklagten ihr tun verteidigen gerne mehr beantragt, aber wenn ein Verfahren nach der erfolgreichen Revision der Angeklagten neu aufgerollt wird, darf das Urteil nicht höher ausfallen als das aufgehobene. Die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung müsse aber auch deshalb nicht berücksichtigt werden.

Es folgten nach einer Pause die Plädoyers und Erklärungen der Verteidigung. Mitverteidigerin Petra Brixel legte in einem schönen literarisch geprägten Plädoyer die Ungereimtheiten, die das Verfahren prägten, dar. Gepickt von Gedichten von Erich Fried.
Diese prangerte ich sodann ebenfalls an und erläuterte wie absurd dieser Prozess sei: AktivistInnen, die altruistisch für mehr Bürgerbeteiligung und gegen das Milliardenprojekt S21 kämpfen werden angeklagt. Altnazis oder Waffenlobbyisten dagegen nicht – oder erst nach mehreren Jahren so dass die Hälfte der Verfahren bereits verjährt ist. Den Angeklagten werde weiter trotz unvollständiger Akte der Prozess gemacht. Zeugen die mit Erinnerungslücken glänzten, beriefen sich auf einen „Wichtiges Ereignis Bericht und einen „Vorkommnismeldung“ in dem alles Informationen sich befinden würden. Die Berichte fehlten aber in der Akte ganz. Auf solch einer Grundlage könne keine Verurteilung fußen, zumal es für die Täterschaft der Angeklagten keinen Tatnachweis gibt und diese sich zur Sache nicht geäußert haben. Weiter fragte ich an die Adresse der Staatsanwältin, wieso nicht das gesamte mit den Angeklagten solidarische Publikum und die TeilnehmerInnen der Montagsdemonstrationen auf der Anklagebank sitzen. Sie geben auch politische Erklärungen ab. Nach der Logik der Staatsanwaltschaft sind diese somit des Hausfriedensbruchs ebenfalls überführt!

Und weil die Beweisaufnahme durch die Abladung sämtlicher Zeugen und durch die Weigerung der Richterin von Amt wegen im Rahmen ihrer „Aufklärungspflicht“, Beweis über wesentliche Tatsachen  zu führen, dürftig ausfiel, stellte ich zusammen mit den anderen VerteidigerInnen und Angeklagten gut ein Dutzend Beweisanträge. Diese betrafen insbesondere die Rechtsgüterabwägung zwischen Versammlung und Hausrecht (und Eigentumsschutz), das Hausrecht, sowie die Frage des Vorsatzes als Voraussetzung zur Verwirklichung des Tatbestandes des Hausfriedensbruchs. Wie können Menschen vorsätzlich einen Hausfriedensbruch begehen, wie können sie davon ausgehen, dass es eins ist, wenn PolitikerInnen wie Bürgermeister Wölfle selbst von offenem Rathaus und Bürgerbeteiligung sprechen? Gut, nach der Wahl vergisst man gerne seine Versprechen und verfolgt, die die Parolen bei Wort nehmen und in Taten umsetzen. Es geht ja nur ums Stimme fangen, nicht um echte Bürgerbeteiligung und schon gar nicht um die Umsetzung von Wahlversprechen.
RA Tronje Döhmer hielt ein beeindruckendes rechtswissenschaftliches Plädoyer und erklärte, er würde als Ausbilder von Referendaren der jungen Staatsanwältin,  für ihr Plädoyer und ihre Rechtsverdrehungen keine gute Note geben.
Die Angeklagten gaben brillante politische Erklärungen ab, das Publikum zeigte sich sehr berührt. Richterin Löhner jedoch nicht. Ein Zuschauer führte eine Strichliste, wie oft die Richterin während der Schlussvorträge gähnte.

Es wurde nach den ersten Plädoyers auf Grund der gestellten Beweisanträge wieder in die Beweisaufnahme eingestiegen. Diese wurden nach einer kurzen Pause pauschal als „zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich“ beschieden.

„Es gibt Wahrheiten, meine Wahrheit, deine Wahrheit und die Wahrheit“ besagt ein chinesisches Sprichwort. Die Richterin hatte bereits „ihre“ Wahrheit gefunden.
Vor Gericht geht es nämlich nicht um „die Wahrheit“, sondern ums Wahrheitsschaffen. Wenn man die Sache so sieht, kann es egal sein, ob es wirklich einen Tatnachweis gibt, wie widersprüchlich die Erklärungen der Zeugen zum Hausrechtsverhältnis sind oder ob es sich um eine Versammlung gehandelt hat.

Die zweiten Schlussvorträge nutzten die Angeklagten für weitere politischen Erklärungen – nicht für die gähnende Richterin, sondern für das Publikum, das sich begeistert zeigte. Ich beschränkte mich auf die Feststellung der Unbelehrbarkeit von der Richterin, deren Verhandlungsführung und Körperhaltung eindeutig zeigten, dass von einem fairen Prozess keine Rede sein könne. Es müsse sogar sehr anstrengend und schmerzhaft sein, so die ganze Zeit in die Gegenrichtung der Anklagebank Richtung Fenster links oben zu gucken.

Das Urteil fiel kaum verständlich und knapp aus. Kaum in der Tür erschienen sprach die Richterin – noch im Gehen – ihr „im Namen des Volkes“ aus. Die Angeklagten wurden zu 10 Tagessätzen auf 2 Jahre Bewährung verurteilt. Sie beendete die Sitzung ohne ihr Urteil groß zu begründen. Es war ca. 16:00 Uhr.

Die Verteidigung hat inzwischen gegen das Urteil Rechtsmittel eingelegt. Es ist aber zu befürchten, dass die Staatsanwältin deshalb 15 Tagessätze gefordert hat, obwohl ihr ja klar ist, dass die Strafe auf Grund der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung geringer ausfallen muss, weil sie einen Grund haben will, gegen das Urteil Berufung einzulegen, um eine erneute Revision – wofür es dieses mal wieder zahlreiche Anhaltspunkte gibt –  der Verteidigung zu verhin
dern. Mal sehen wie es tatsächlich läuft. Ich berichte dann. Für mich war das Verfahren wegen der langen Reisen nach Stuttgart anstrengend, aber ich habe viel dazu gelernt.

Bilder: oben: im Gerichtssaal am 4.5.2016, Foto Petra Brixel – unten: Angeklagten dund VerteidigerInnen vor dem Amtsgericht nach dem Urteil am 4.5.2016. Foto Wolfgang Rüter

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