Ist ziviler Ungehorsam Staatsgefährdend?

Wenn verschiedene Welten aufeinander prallen – Castorprozess vor dem Lüneburger Landgericht

Ein Kommentar von Eichhörnchen

Am gestrigen Tag fand vor dem Lüneburger Landgericht eine Berufungsverhandlung gegen Simon E. statt. Zusammen mit weiteren AktivistInnen hatte er sich aus Protest gegen den Castortransport und die Atompolitik von Regierung und Konzernen im November 2010 an der Schiene bei Dalle (Nähe Celle) gekettet. Er war in erster Instanz in Celle nach einem Strafverfahren, der mehr von „Willkür“ als von „Rechtsstaatlichkeit“ geprägt wurde, von Amtsrichterin Precht zu 60 Tagessätzen wegen „Störung Öffentlicher Betriebe » und « Nötigung » verurteilt worden. Ich verfolgte die Verhandlung als „Gerichtsöffentlichkeit“ im Publikum. Doch, gegen den Willkür half selbst das Mitführen eines Presseausweises nicht. Über die Verhandlung berichtete ich in der Zeitschrift GWR.

Die Verhandlung vor dem Landgericht gestern verlief entspannter. Ich wurde sofort als Verteidigerin von Simon genehmigt – in erster Instanz war ich ohne Begründung abgelehnt worden – und wir konnten sachlich vortragen. Doch, wer von einem Gericht Gerechtigkeit erwartet, wird bitter enttäuscht. Es prallen Welten aufeinander.

Wenn verschiedene Welten aufeinander prallen – Castorprozess vor dem Lüneburger Landgericht

Ein Kommentar von Eichhörnchen

Am gestrigen Tag fand vor dem Lüneburger Landgericht eine Berufungsverhandlung gegen Simon E. statt. Zusammen mit weiteren AktivistInnen hatte er sich aus Protest gegen den Castortransport und die Atompolitik von Regierung und Konzernen im November 2010 an der Schiene bei Dalle (Nähe Celle) gekettet. Er war in erster Instanz in Celle nach einem Strafverfahren, der mehr von „Willkür“ als von „Rechtsstaatlichkeit“ geprägt wurde, von Amtsrichterin Precht zu 60 Tagessätzen wegen „Störung Öffentlicher Betriebe » und « Nötigung » verurteilt worden. Ich verfolgte die Verhandlung als „Gerichtsöffentlichkeit“ im Publikum. Doch, gegen den Willkür half selbst das Mitführen eines Presseausweises nicht. Über die Verhandlung berichtete ich in der Zeitschrift GWR.

Die Verhandlung vor dem Landgericht gestern verlief entspannter. Ich wurde sofort als Verteidigerin von Simon genehmigt – in erster Instanz war ich ohne Begründung abgelehnt worden – und wir konnten sachlich vortragen. Doch, wer von einem Gericht Gerechtigkeit erwartet, wird bitter enttäuscht. Es prallen Welten aufeinander.

In den Köpfen von StaatsanwältInnen und RichterInnen muss alles seine Ordnung haben, man kann sich auf den Rechtsstaat verlassen, damit alles schön und gut läuft. BürgerInnen, die selbstständig denken und handeln, die für einen Atomausstieg von unten kämpfen, weil die Politik längst versagt hat und von Profit-Interessen gelenkt wird, gehören bestraft. Sie gefährden die Reproduktion von Ruhe und Ordnung – hierzu gibt es ein sehr schönes Gedicht von Erich Fried.

Reproduktion von RUHE und ORDNUNG
von Erich Fried
Die Ordnung ist dazu da
die Ruhe zu wahren
Die Ruhe ist dazu da
die Ordnung zu wahren
Die Frage
wem diese Ruhe und Ordnung dient
ist unstatthaft weil sie
Unruhe und Unordnung stiftet
Als Antwort darauf
geruht nun öfter die Ordnung
ihre ewigen Störer
zur ewigen Ruhe zu bringen

Und weil aufmüpfige BürgerInnen durch ihr politisches Engagement den Staat gefährden, wird bei politischen Verfahren von der Staatsanwaltschaft immer das „öffentliche Interesse“ an der Strafverfolgung bejaht. Bei der Atomkraft steht dies im Widerspruch zum gesellschaftlichen Trend. Die Bevölkerung sieht in großen Teilen die Atomkraft kritisch. Aber die STAATsanwaltsschaft, die die Interessen des STAATes vertritt, will verfolgen.

Dies wurde klar als gestern vor dem Landgericht eine Einstellung des Verfahrens gegen Simon wegen „Geringfügigkeit“ im Raum stand. Der hätte möglicherweise Richter Bendtsen zugestimmt. Staatsanwalt Vonderberg erklärte jedoch, er dürfe nicht einstellen, er habe von seinem Vorgesetzten Weisungen erhalten. Es ist bekannt, dass Oberstaatsanwalt Vogel als Chef der politischen Abteilung der Lüneburger Staatsanwaltschaft AktivistInnen mit großem Eifer verfolgt. Eine Teileinstellung durfte der Staatsanwalt nach Rücksprache mit seinem Chef zustimmen. Die Verteidigung hatte zuvor in einer Stellungnahme den Vorwurf der Nötigung scharf entkräftet – der Vorsitzende Richter stellte daraufhin der Staatsanwaltschaft anheim, den Vorwurf fallen zu lassen. Aber nur wegen „Geringfügigkeit“. Es wurde schließlich ein Urteil „im Namen des Volkes“ gesprochen: 40 Tagessätze à 15 Euro und die Hälfte der Verfahrenskosten. Was das „Volk“ davon hält? Den RichtergöttInnen ist es schlicht egal! Und ein „Volk“ was ist es denn überhaupt? Wissen die RichterInnen, in wessen Namen sie sprechen?

Der Angeklagte hatte auf juristischem Ebene keine Chance, den Vorwurf der „Störung öffentlicher Betriebe“ zu entkräften. Sowohl die obere Instanz, das Oberlandesgericht Celle, als auch das Bundesverfassungsgericht winken eine Verurteilung wegen diesem Vorwurf einfach durch.

Bei der Störung Öffentlicher Betriebe geht es um eine „gemeingefährliche Straftat“, der Paragraf schützt gemeinschaftswichtige Einrichtungen und Anlagen in ihrem Betrieb gegen Sabotageakten. Ist ziviler Ungehorsam so Staatsgefährdend? Gerichte sagen ja. Strafe muss sein. Wo kämen wir denn sonst hin? Die Reproduktion von Ruhe und Ordnung wäre gefährdet!

Dem Angeklagten gehörte trotzalledem mit seinem Vortrag zur Atomkraft die inhaltliche Führung des Prozesses. Und das war gut so.

Bericht aus der Perspektive des Angeklagten

Bericht aus der Prespektive eines Zuschauers

Bericht der Landeszeitung

Weiterer Polit-Prozess vor dem Landgericht am 18. Juli 2013, ein Bericht

Am 18. Juli wurde ebenfalls vor dem 9. Landgerichtskammer in Lüneburg verhandelt. Der Vorwurf lautete dieses mal Hausfriedensbruch – wegen einer Protestaktion gegen Tierfabriken.

Schon im Gang wurde ich vom Richter gegrüßt und gefragt, ob ich heute verteidige. Dies verneinte ich und erklärte, eine andere Person würde heute als Verteidigerin tätig werden. Das ist aber schon ein komisches Gefühl, von einem Richter gefragt zu werden, ob ich verteidigen will… Unsere Strategie mit der Laienverteidigung findet er augenscheinlich spannend – was bei Richtern nicht so oft vorkommt, dennwie gehören ja nicht zu dieser gehobenen Kaste der Justiz, die Roben trägt.

Die Rolle des Verteidigers können wir aber auch ohne Robe spielen, das nötige Wissen dafür haben wir uns angeeignet. Antirepressionsarbeit soll sich nicht auf’s Geldsammeln begrenzen. Aneignung, Selbstermächtigung, Akteuere vom eigenen Prozess sein.
Das ich am Dienstag als Verteidigerin genhemigt wurde, brach natürlich Staatsanwalt Vögel in Rage, so dass er nun persönlich  zur Verhandlung   erschien.  Mit den absurdesten Begründungen, sorgte Herr Vogel in der Vergangenheit für eine Ablehnung meiner Person als Verteidigerin: zum Beispiel weil ich an chronischem Rheuma leide – oder weil ich wegen meiner politischen Einstellung nicht vertrauenswürdig sei.

Die Genehmigung einer Aktivistin als Verteidigerin lehnte Staatsanwalt Vogel am Donnerstag  – wie zu erwarten – vehement ab. Der  politisch motivierten Ablehnung der Staatsanwaltschaft folgte die Kammer aber nicht.

Im weiteren Verlauf der Verhandung bewies Staatsanwalt Vogel ein mal mehr seinen Verfolgungswahn gegen Polit-AktivistInnen. Ob Keksprozess oder Zaunprozess, Oberstaatsanwalt Vogel ist dafür bekannt, dass er Polit-AktivistInnen nicht leiden kann.
Weil ich am Nachmittag nach Metelen zum Antiatomcamp aufbrechen musste und nun die ersten Stunden der Hauptverhandlung verfolgen konnte, füge ich an dieser Stelle den Bericht des Betroffenen selbst ein. Die Zusammenfassung: Schlappe für Oberstaatsanwalt Vogel!

Freispruch für Tierbefreiungsaktivisten in Lüneburg

Kurz vorweg

Dem Tierbefreiungsaktivisten Karl-C. wurde vorgeworfen, am 23.05.2012 mit anderen Aktivist_innen eine sogenannte Anhörung zum geplanten Neubau von zwei Mastanlagen im Kreis Celle „gestört“ und der Aufforderungen den Saal zu verlassen nicht Folge geleistet zu haben. Richterin Precht vom Amtsgericht Celle verurteilte ihn zu 20 Tagessätzen. Gegen dieses Urteil legte Karl-C. Und die Staatsanwaltschaft Berufung ein. So das die selbe Verhandlung vor dem Landgericht in Lüneburg nochmal verhandelt wurde. Hier kam es zu einem Freispruch.

Der Oberstaatsanwalt Vogel forderte u. a. mit der Begründung, dass die Interessen der Wirtschaft gewahrt werden müssten, eine Strafe von 40 Tagessätzen à zehn Euro für den wegen Hausfriedensbruchs angeklagten Tierbefreiungsaktivisten. Der Angeklagte und seine Laienverteidigerin forderten in einem juristischen Plädoyer einen Freispruch und trugen zusätzlich ein politisches Plädoyer für die Befreiung von Mensch und Tier und die damit einhergehende Abschaffung von Staat und Kapitalismus vor.

Richter Bendtsen ließ verkünden, dass er nicht bereit sei, sich mit seiner Rolle in diesem System auseinander zu setzen, und auch die Idee einer befreiten Gesellschaft stieß bei ihm auf wenig Anklang. Er stimmte aber der juristischen Argumentation der Verteidigung zu, dass hier kein Hausfriedensbruch vorliege, und sprach den Angeklagten frei.

Die juristische Begründung des Freispruchs stützte sich im Wesentlichen auf folgende Punkte:
– Lediglich das Halten von Transparenten st
ellt keine Störung von Veranstaltungen dar, sondern fällt unter den Schutz der Meinungsfreiheit.
– Es konnte nicht nachgewiesen werden, mit welchem Wortlaut und ob der Kreisdezernent dem Angeklagten das Hausverbot mitteilte.
– Die Zeugen sprachen zwar von „einer Gruppe von Störern“, aus deren Reihen es auch zu dem Rufen von Parolen kam, das aber eine Gruppe die sich von den anderen Teilnehmer_innen abgrenzte existierte konnte nicht nachgewiesen werden. Ebenso ob der Beschuldigte sich an den Rufen der Parolen beteiligte. Das Hausverbot hätte demzufolge jeder Person einzeln erteilt werden müssen.

Karl-C. verweigerte alle Aussagen zur Sache, dies steht aber nicht im Widerspruch mit der aktiven Beteiligung an eigenen Verfahren. Er stellte Anträge, gab politische und juristische Stellungnahmen ab und beteiligte sich an der Zeugenbefragung.

Offensive / politische Prozessführung und Selbstverteidigung vor Gericht – ein automatischer Fall ins offene Messer?

Entgegen vielen Behauptungen aus linken Zusammenhängen in Deutschland, macht nicht nur dieses Verfahren deutlich, dass sich durch einen politischen und offensiven Umgang mit Repression und Strafverfahren und die selbstorganisierte Aneignung von juristischem Wissen politische und persönliche Erfolge erkämpfen lassen.

Weitere Infos: http://antiindustryfarm.blogsport.de/