Etappensieg gegen die A69 in Frankreich

Luftaufnahme der Baustelle mit vielen Zubringerstrassen der Autobahn

mein GWR499 Artikel

Der Klimakrise zum Trotz werden in vielen europäischen Ländern weiterhin Autobahnen gebaut. Die Autofixierte Politik ist weit verbreitet und die Autolobby ist besonders einflussreich in Staaten mit Autoindustrie. Aktivist*innen kämpfen vielerorts gegen diese großen klimaschädlichen Unnützprojekte.

Baustelle mit Areal für Kies/Bitum und Feld daneben so gemäht, dass ein Totenkopf aus der Luft zu sehen ist
Baustelle mit Protestkunst im Feld

Das Projekt

Das Projekt eine 53 Kilometer lange Autobahn zwischen Toulouse und Castres zu bauen, stammt aus dem Jahr 1985: Herr Pierre Fabre, ein einfacher Apotheker, der im Laufe der Jahre die gleichnamigen Labore gegründet hat, wird zum größten Arbeitgeber im Departement Tarn (Teil der Region Okzitanien im Südwesten Frankreichs). Für seine Erweiterung will er die Stadt Castres mit einem Flughafen und einer Autobahn (oder einer verbesserten Bundesstraße) ausstatten, um die Stadt Toulouse leichter anbinden zu können. Der Flughafen wurde 1990 eröffnet.
Später ging dem französischen Staat das Geld aus. Die Abgeordneten des Tarn (Landkreis) sorgten dafür, dass die französische Regierung den Bau einer privaten Maut-Autobahn parallel zur Bundesstraße absegnete. Sie argumentierten mit der wirtschaftlichen Rolle von Pierre Fabre, dessen Labore inzwischen ein international einflussreiches Unternehmen geworden waren, ähnlich wie Ferrero Rocher Einfluss auf den Bau der A49 hatte oder Volkswagen auf den Bau der A39, etc… Überall stehen Profite über Menschen.

viele Menschen auf einer breitspurrigen Straße. Eine occitanische rot gelbe Fahne ist zu erkennen
Demo gegen die A69

Teuer, unnütz, klimaschädlich

Schon 2008 formiert sich der Widerstand gegen den Bau einer Autobahn (Stop Carrière Montcabrier, RN126, PACT), um den Unsinn dieses Projekts anzuprangern, und unterbreitet 2016 mit der Unterstützung mehrerer Gemeinden entlang der Strecke eine Studie, die eine ernsthafte Alternativlösung vorschlägt. Diese besteht in der Fortsetzung des Ausbaus der Bundesstraße. Dies verhinderte jedoch nicht den Beginn des Genehmigungsverfahrens für diese Autobahn: öffentliche Debatte, Voruntersuchung, Erklärung der Gemeinnützigkeit der Autobahnverbindung Castres-Toulouse und schließlich die öffentliche Umweltprüfung im Jahr 2023. In der Folgezeit häuften sich die Einwendungen mit für das Projekt negativen Stellungnahmen. Zivilgesellschaftliche Bündnisse, der Investitionsbeauftragte, Wissenschaftlerinnen, Bürgerinnen, alle prangern dieses Projekt mit zahlreichen Argumenten an.
Diese sei ungerecht, weil die Maut sehr teuer sein werde. Unnötig, da die bestehende Bundesstraße für die gleiche Verbindung nicht ausgelastet ist. Klimaschädlich, denn der Bau einer Autobahn hat Bodenversieglung zur Folge. Frankreich hat in der EU bereits die meisten Straßen- und Autobahnkilometer pro Einwohnerin. Hinzu kommt, dass die Autobahn mehr als 300 ha gutes Agrarland, Hecken, Feuchtgebiete und Wälder mit hunderten majestätischen Bäumen zunichte gemacht hat. Das ist leider bereits weit vorangeschritten. Zahlreiche Einwohnerinnen wurden enteignet, Wohnhäuser zerstört, landwirtschaftliche Flächen in zwei Hälften geteilt. Nicht zu vergessen sind die Auswirkungen auf die Gesundheit durch Errichtung von zwei Bitumenfabriken, sowie die Zunahme des Verkehrs in den beiden Städten, die keine Umleitung mehr haben werden (steigende Unfallzahlen, Lärmbelästigung, Umweltverschmutzung durch Kraftfahrzeuge).
Die Finanzierung ist außerdem sehr undurchsichtig, ein Korruptionsverdacht schwebt über die Finanzkonstruktion. Macron soll 17 Millionen Euro zur Finanzierung seines Wahlkampfs erhalten haben (1). Die Pierre-Fabre-Labore sind Anteilseigner der lokalen Zeitung und beeinflussen die Berichtserstattung. Sie sind darüber hinaus Anteilseigner des A69-Konzessionärs ATOSCA. Es bestehen außerdem Interessenkonflikte bei mehreren einflussreichen Abgeordneten, deren Angehörige für die Pierre-Fabre-Labore arbeiten.
Schließlich wird die fehlerhafte Raumordnungsplanung kritisiert: Man baut eine Autobahn und überlegt erst dann, welche weiteren Pläne/Raumnutzung der Bau ermöglichen wird. Normalerweise ist es umgekehrt.

Der Widerstand

ZAD Banner in Bäumen

Alt eingesessene Kollektive haben sich zusammengeschlossen und am 21. November 2021 das Bündnis La Voie Est Libre (LVEL auf Deutsch „Der Weg ist frei“) gegründet.
Dank einer kreativen, festlichen, humorvollen und erfinderischen Kommunikation sowie Aktionen, hat sich der lokale Widerstand verstärkt. Insbesondere zu Beginn der Bauarbeiten im März 2023 kamen neue Unterstützerinnen und Protestformen. Im April 2023 kamen trotz Einschüchterungen und Polizeigewalt 10.000 Menschen auf einer Großdemonstration gegen die A69 zusammen. Der Kampf erlangte frankreichweite Bedeutung. Es folgten diverse „ZAD“ (Zu verteidigende Zone) und Baumbesetzungen. Die Besetzerinnen werden Ecureuilles genannte (zufällig genauso wie der Spitzname der Autorin dieses Beitrages). Hungerstreiks gehörten auch zur Choreografie des Widerstandes. Die Protestaktionen wurden mit erheblicher Polizeigewalt geräumt, viele Menschen vor Gericht gestellt, einige direkt nach ihrer Gerichtsverhandlung einem Gefängnis zugeführt. 2023 und 2024 folgten jeweils eine viertägige festlich-informative Fahrradtour entlang der geplanten Strecke der künftigen Autobahn. Es folgten weitere Großdemonstrationen mit mehreren Tausenden Menschen.

Polizeifahrzeuge Stoßstange an Stoßstange im abendlicht bei der Baumbesetzung Cremarbresetzung
Polizei bei der Baumbesetzung Cremarbre


Die Repression war jedes Mal derart gewalttätig, dass sogar der UN-Berichterstatter Michel Forst das Vorgehen Frankreichs gegen Demonstrierende bei seinem Besuch der ZAD „la Crem’Arbre“ öffentlich anprangerte (2). Im Zuge der Räumungen von Baum- und Strukturbesetzungen kamen mindestens drei Kletteraktivistinnen zu Fall, verursacht durch den jeweiligen Polizeieinsatz. Für einige hatte der Sturz mehrere Brüche in der Wirbelsäule zur Folge. Die Polizei verhinderte teilweise wochenlang die Versorgung der Baumbesetzerinnen mit Wasser und Lebensmittel durch Unterstützerinnen, diese wurde mittels Tränengas- und Blendschock-Granaten verjagt und festgenommen. Die letzte große Haus- und Baumbesetzung fand auf der Obstplantage le Verger (mit vielen alten Bäumen) statt. Die Bewohnerin Alexandra wurde genötigt, ihren Hof aufzugeben (3). Einschüchterung, Morddrohung und im September 2024 innerhalb von zwei Wochen zwei Brandanschläge auf ihr Auto und das Tor. Die Brände hätten ohne die aufmerksamen Unterstützerinnen, die sich auf dem Gelände aufhielten, auf das Haus übergreifen können. Weitere Benzinkanister waren in der Nähe deponiert worden. Alexandra und ihre Familie waren mit den Nerven am Ende. Nach ihrem Auszug im September wurden Haus und Bäume von Aktivistinnen besetzt gehalten, bis zur gewaltsamen gefährlichen Räumung durch die Polizei.

Tränengas und Polizei auf einer Wiese am Waldrand
Protest gegen die A39

Baustopp!!

Es folgte die juristische Auseinandersetzung und das lang erwartete Urteil im Hauptverfahren. Das Gericht hatte den Einspruchrechtsschutz verwehrt. Nach zwei Jahren Hauptverfahren stellte es nun fest: Die Autobahn ist illegal! Die Autobahn steht, unter Beachtung der Umweltbelange, nicht im öffentlichen Interesse. Das Urteil ist von großer Bedeutung auch für andere Projekte in anderen europäischen Ländern, da es sich auf Umweltrichtlinien aus dem Europarecht bezieht.
Die unmittelbare Folge: Ein Baustopp. Dies, obwohl der Bau schon um etwa die Hälfte der Autobahn vorangeschritten ist!
Es ist das erste Mal, dass ein so weit fortgeschrittenes Projekt gestoppt wird. Der Widerstand vor Ort, auch mit Aktionen wie Baumbesetzungen, hat die Zerstörungen verlangsamt
Der Staat hat bereits Berufung gegen das Urteil eingelegt. Darüber wird frühestens in zehn bis 18 Monaten verhandelt. Der Staat hat deshalb einen Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung der erstinstanzlichen Entscheidung gestellt. Sollte der Antrag innerhalb der nächsten drei Monaten Erfolg haben, hätte dies die Wiederaufnahme der Bauarbeiten bis zum Berufungsurteil zur Folge. Die Aktivist*innen sind jedoch zuversichtlich, dass der Antrag, trotz des großen Drucks aus der Politik von oben (Minister und Präsident Macron), wenig Chancen auf Erfolg hat. Dafür müssen nämlich sehr restriktive Kriterien erfüllt werden. Lokale Abgeordnete haben aus Furcht vor dem unsicheren Ausgang des Verfahrens bereits einen Gesetzesvorschlag im Parlament eingereicht. Sie wollen die Entscheidung des Gerichtes und ihre gesetzliche Grundlage damit umgehen.
Der Widerstand ist fast am Ziel, der Kampf hat einen großen symbolischen Wert erlangt. Er steht für den Widerstand gegen unnötige und umweltschädliche Großprojekte. Die Aktiven konzentrieren sich derzeit auf die „Zeit nach der A69“. Sie wollen die Bevölkerung und die Politik davon überzeugen, dass EIN ANDERER WEG möglich ist! Zum Beispiel auf der bereits verdichteten Fläche, „Une Autre Voie“ (UAV), einer 57 Kilometer langen „Fahrradroute“, ein ehrgeiziges, futuristisches, innovatives und realistisches Projekt.

Eichhörnchen l’écureuille, mit Informationen von Laurent, collectif „la voie est libre“

Baumbesetzung gegen die A39 mit Baumhäusern

Bilder: Collectif La Voie est Libre

Anmerkungen:
1) https://www.off-investigation.fr/autoroute-a69-un-renvoi-dascenseur-aux-financeurs-de-macron/
2) https://unece.org/sites/default/files/2024-02/UNSR_EnvDefenders_Aarhus_De%CC%81claration_fin_mission_Tarn_29.02.2024_FR.pdf
3) Interview mit Alexandra: https://www.dailymotion.com/video/x9hdf0q

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