Mein Artikel, veröffentlich in GWR 502

SaLü ist die Salztherme mit Rehabereich, Wasserviertel und Sportbad in Lüneburg. Verantwortlich für den Betrieb ist die Gesundheitsholding Lüneburg. Stein des Anstoßes für die Recherche zu Barrierefreiheit und Teilhabe dort war ein Termin bei der Eingliederungshilfe der Hansestadt Lüneburg. Ich habe selbst eine Behinderung und bin Rollstuhlnutzerin. Ich habe beim Amt die Kostenübernahme für einen Sportrollstuhl beantragt. Im Gespräch wurde mir Schwimmen statt WCMX (skaten) nahe gelegt. Das sei nicht so gefährlich wie skaten und gut für mein Rheuma. Ein Jahr später: Ich habe immer noch keinen Bescheid für den Sportrollstuhl erhalten.
Ironie der Geschichte: Das einzige Sportbad in Lüneburg befindet sich im SaLü und ist für Rollstuhlnutzende unerreichbar. Es gibt eine Treppe. Wie kann das sein, frage ich mich. Schließlich hat es in den letzten Jahren immer wieder größere Bau- und Modernisierungsphasen gegeben. Wurde Barrierefreiheit hinten angestellt? Als „Nice to have“, wenn es gerade passt, jedoch nicht als „MUSS“?
Zum Zeitpunkt meiner Anfrage beim SaLü, waren auf der Homepage keinerlei Informationen zu Barrierefreiheit verfügbar – außer zu Behindertenparkplätzen. Gehbehinderte kommen hin. Aber ob sie das Angebot dann nutzen können? Die Homepage war außerdem für blinde Menschen nicht zugänglich.
Beim Ortstermin wurde mir dann eine neue Unterseite zu Barrierefreiheit vorgestellt. Die Seite ist inzwischen auch Screenreader-tauglich. Ein Fortschritt. Doch für eine Teilhabe braucht es mehr als digitale Barrierefreiheit.
Blinde Menschen müssen draußen bleiben.
Blinde Menschen können nun immerhin zur Kenntnis nehmen, dass sie nicht alleine ins Schwimmbad dürfen.
„Hinweis zur Begleitungspflicht
https://www.salue.info/barrierearm
Aus Sicherheitsgründen ist der Besuch der Salztherme Lüneburg für bestimmte Personengruppen nur in Begleitung einer volljährigen Betreuungsperson gestattet.
Dies betrifft insbesondere Personen mit Neigungen zu Krampfanfällen, Ohnmacht oder Epilepsie, Personen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Personen mit geistiger Behinderung, die auf Unterstützung angewiesen sind und Personen mit speziellen Sehbehinderungen.
Die Begleitperson ist während des gesamten Aufenthalts für die Aufsicht und Sicherheit verantwortlich.“
Die Anti-ableistische Aktion Lüneburg kritisiert diese Abwägung zwischen vermeintlicher Sicherheit und Teilhabe. Teilhabe ist ein Menschenrecht und nicht verhandelbar. Die Initiative hält die Verpflichtung für grundrechtswidrig.
Judith ist blind und bei der Anti-ableistischen Aktion Lüneburg aktiv:
„Auf der Homepage vom SaLü ist die Rede von Betreuungsperson, die ein Blinder haben soll. Erstens, das nennt man Begleitpersonen. Zweitens, wenn ein Blinder das Schwimmbad mehrfach besucht hat und gut kennt und jeden Stolperstein kennt, kann er auch komplett ohne Hilfe alleine dorthin.“
Judith, aaa-LG
Judith erwähnt weiter die Behinderung, die eine solche Regelung mit sich bringt: „Ich habe früher Leistungssport gemacht und kann nur sagen, so oft, wie ich trainieren war, konnte eine Begleitpersonen gar nicht dabei sein, da es sonst den Rahmen sprengen würde. Da ich jede Woche mindestens vier Mal dort war. Beim Training kannte ich das Schwimmbad komplett wie meine eigene Westentasche.“

Es geht auch anders! Ohne Bevormundung! Die Verpflichtung eine Begleitperson mitzubringen, ist ableistisch. Warum wird Betroffenen als Expert*innen in eigener Sache nicht vertraut? Sie wissen, welchen Unterstützungsbedarf sie haben! Dieser variiert von Mensch zu Mensch. Das Schwimmbad könnte von sich aus eine Führung durch das Gelände anbieten, damit blinde Menschen sich dann alleine orientieren können.
Dies macht beispielsweise das Jugendstil-Bad in Darmstadt. Sandra Patsis erläutert:
„Das Thema Barrierefreiheit verstehen wir umfassend. Zwar bestehen aktuell noch keine spezifischen Orientierungshilfen oder taktile Leitsysteme für blinde oder sehbehinderte Menschen, jedoch unterstützen wir diese Gäste gerne individuell. Sofern es der laufende Betrieb zulässt, bieten wir bei einem ersten Besuch eine persönliche Einführung an, um eine selbstständige Orientierung bei künftigen Besuchen zu ermöglichen.“
Pressestelle Jugendstil-Bad Darmstadt
Behindertenbeirat wurde nicht einbezogen
Erwähnenswert ist dabei, dass der Behindertenbeirat der Hansestadt Lüneburg bei den Umbauten der letzten Jahre nicht beteiligt wurde:
„Der Beirat für Menschen mit Behinderungen wurde zu keinem Zeitpunkt vor oder während des Bauvorhabens einbezogen. Üblicherweise passiert dies bei Bauvorhaben dieser Größenordnung, insbesondere bei öffentlichen Gebäuden“
Miriam Ihnen, Behindertenbeirat
Dirk Günther, Geschäftsführer der Gesundheitsholding Lüneburg GmbH, erläutert das Vorgehen:
Dirk Günther, Geschäftsführer der Gesundheitsholding Lüneburg GmbH
„Das Thema Barrierefreiheit wurde in Zusammenhang mit allen erforderlichen Anträgen zur Um- und Neugestaltung der einzelnen SaLü-Bereiche seit 2010 immer mit dem Bauamt der Hansestadt besprochen. Außerdem waren an den Bau- und Projektmeetings auch immer Vertreter des SaLü-Gesellschafters Hansestadt Lüneburg vertreten, zuletzt Rainer Müller, der zum Landkreis wechselte.
Bei verschiedenen Fachtagungen habe ich die Gelegenheit genutzt, auch mit einem Kollegen der Branche zu sprechen, der sich auf das Thema spezialisiert hat: Hans-Peter Matt. Offizielle Gutachten hat es hier nicht gegeben, eher den direkten Austausch zu einigen Fragen.
Vor Ort haben wir zudem noch Kontakt zu zwei betroffenen Stammgästen aufgenommen, ihnen unsere Vorhaben präsentiert und ihre kritische Meinung erbeten.
Die Ergebnisse all dieser Abstimmungen sind dann jeweils in die endgültige Umsetzung eingeflossen.“
Auf Nachfrage bei einem Ortstermin heißt es, die Stammgäste seien keine Rollstuhlnutzenden.
aaa-LG
„Das ist ein Witz! Ein ableistischer Witz! Nichts über uns ohne uns“,
kontert die Anti-ableistische Aktion Lüneburg.

Der Behindertenbeirat kritisiert:
„Nach Einschätzung des Beirats für Menschen mit Behinderungen reicht es nicht aus, wenige ausgewählte Stammgäste zu ihrer Meinung zu befragen oder ein Gespräch am Rande zu führen. Wenn echte Teilhabe gewollt ist, sollte nach Möglichkeit eine Begehung mit Gespräch stattfinden sowie eine Durchsicht der Baupläne mit fachkundigen Betroffenen-Vertretungen. Es reicht auch nicht, DIN-Normen abzuarbeiten, um eine echte Nutzbarkeit zu erreichen. Der Beirat hätte sich eine rechtzeitige Kontaktaufnahme durch das SaLü gewünscht, um auf direktem Wege zu eruieren, welche sinnvollen Maßnahmen ergriffen werden können, um die Nutzung des Bades für möglichst viele Menschen möglich zu machen.“
Miriam Ihnen, Behindertenbeirat Lüneburg
Stefan Ahrens von der Pressestelle der Stadt Lüneburg verweist auf Ausnahmeregelungen im Gesetz:
„Zum Zeitpunkt des Umbaus des Sportbads 2009 zum Beispiel bestand die Anforderung an die barrierefreie Zugänglichkeit und Benutzbarkeit bestimmter baulicher Anlagen, zu denen auch Erlebnisbäder gehören, gemäß §48 der Niedersächsischen Bauordnung (NBauO). Die NBauO sah zu dem Zeitpunkt aber auch Ausnahmen vor, soweit die Anforderungen nur mit unverhältnismäßigem Mehraufwand erfüllt werden können.
Stefan Ahrens, Pressestelle der Stadt Lüneburg
Zu dem Zeitpunkt galt zudem die DIN 18024, die Anforderungen an das barrierefreie Bauen öffentlicher Verkehrswege und Gebäude für Menschen mit Behinderungen und ältere Menschen festlegt und durch die Liste der Technischen Baubestimmungen in Teilen bauordnungsrechtlich eingeführt wurde. Das bedeutet, dass auch nur diese Teile bauordnungsrechtlich unter Abwägung des §48 Abs. 3 NBauO gefordert werden konnten. Es ist davon auszugehen, dass seinerzeit ein entsprechender Abwägungsprozess der örtlichen Gegebenheiten mit den Anforderungen gegenseitig stattgefunden hat.“
Inklusion wird behindert
„Wie wird es gehandhabt, wenn eine Schülerin mit Gehbehinderung am Schwimmunterricht teilnimmt?“, frage ich beim Ortstermin. Es sei Sache des Lehrpersonals, wird mir erläutert. Ob das Kind getragen wird, krabbelt oder die Schulklasse statt dem Sportbad das Becken für Schwimmanfänger*innen nutzt. Immerhin gebe es diese Alternative.
Niemand scheint sich zu fragen, ob es für betroffene Kinder nicht eine traumatische Erfahrung sein kann. Wo ist die Menschenwürde beim Getragenwerden oder Krabbeln? Läuft das behinderte Kind nicht Gefahr, gemobbt zu werden? „Wegen dir durften wir nicht ins Sportbad.“ Das ist keine Inklusion.
„Eine Nutzung des Sportbades ist aus Sicht des Beirates für alle Menschen zu ermöglichen, da Schwimmen der Gesunderhaltung und Teilhabe dient und das vorhandene Therapiebecken sowie das Wellenbecken im SaLü nicht für alle Zwecke ausreichen. Beispielsweise ist die Wassertiefe nicht ausreichend, um die Prüfung für das Bronze-Abzeichen abzulegen und es sind keine Sprungtürme bzw. Startblöcke vorhanden“,

gibt Miriam Ihnen vom Behindertenbeirat zu bedenken.
Eine weitere Treppe verdirbt gehbehinderten Kindern den Badespaß: Der Zugang zur großen Rutsche nach Draußen ist nur über eine Treppe erreichbar.
Wir kommen beim Ortstermin ins Plaudern, die Atmosphäre ist freundlich. Die verschiedenen Bereiche werden mir gezeigt.

Der Reha-Bereich wurde weitestgehend barrierefrei umgebaut. Der Zugang zu den verschiedenen Bereichen erfolgt mit Transponder für die Drehtüre. Wer den Zugang über die Schwingtür benötigt, muss jedes Mal klingeln und auf Personal warten. Der Aufzug in den Sole-Bereich wird ebenfalls nur durch Personal gesteuert.
Gegen die für Schwingtüren programmierte Transponder für behinderte Badegäste spreche die Gefahr des Missbrauchs durch Nichtbehinderte, die sich zu den Bereichen, für die sie nicht bezahlt haben, unerlaubt Zugang verschaffen könnten, heißt es beim SaLü. Das ist Spekulation. In Darmstadt im Jugendstil-Bad zum Beispiel, erhalten behinderte Badegäste für die Schwingtüren programmierte Transponder, besondere Probleme sind nicht bekannt. „Die bisherigen Erfahrungen mit diesem System sind durchweg positiv », erklärt Sandra Patsis auf Nachfrage beim Jugendstil-Bad.
Behinderte Badegäste fühlen sich willkommen statt bevormundet.
Das Sportbad kann ich mir nur von oben anschauen. Es ist tiefer gelegen und nur über eine Treppe zu erreichen. Dirk Günther erläutert:

„Leider konnten bei den Umbaumaßnahmen in den Jahren 2009 und 2010 keine Möglichkeiten gefunden werden, einen barrierefreien Zugang zum Sportbad zu schaffen. Hintergrund sind die unterschiedlichen Bauhöhen der einzelnen Bereiche des vorhandenen ‚SaLü-Gebäudekomplexes’, die immer einen Treppenzugang in das Sportbad notwendig machten. Der Bau einer Rampe war wegen Flächenmangels nicht möglich, die maximale Steigung einer solchen Rampe von 6 % plus Zwischenabsätzen waren baulich nicht umsetzbar.“
Dirk Günther
Es wurden sich Gedanken gemacht. Aber ersetzt dies die Expertise vom Behindertenbeirat? Ein Gutachten?
Schafft Zugang!
Die Verantwortlichen machen es sich zu einfach, kontert der Behindertenbeirat. Es könnte ein Gutachten zu barrierefreien Zugangsmöglichkeiten für das Sportbad erstellt werden. Eine Lösung könnte in der Schaffung eines Zuganges über die Tiefgarage bestehen.
„Aus Sicht des Beirates könnte kostengünstig und kurzfristig das Sportbad umgestaltet werden, indem gehbehinderten Menschen der direkte Zugang durch die Tiefgarage zum Sportbad ermöglicht wird. Es sind abgeteilte, alkovenartige Bereiche vorhanden, die zu Dusche, Toilette und Umkleideraum umgestaltet werden können“
Behindertenbeirat Lüneburg
Der Reha-Bereich mit Bewegungsbad ist erreichbar. Ob mit „Sport“ das für Eingliederungshilfe und Teilhabeleistungen zuständige Amt den Rehasport im Bewegungsbad meinte? Wohl-wissend dass das Sportbad nicht erreichbar ist? Gut möglich.

Rehasport ist jedoch nicht gleich (Para)Sport. Der Ansatz ist ein anderer. Rehasport ist Medizin, dafür da, Menschen zu „rehabilitieren“, die „Maschine Mensch“ zu reparieren. Der Ansatz basiert auf dem medizinischen Modell von Behinderung.
Es ist aber anders herum, betont die Anti-ableistische Aktion Lüneburg und bezieht sich dabei auf das gesellschaftliche Modell von Behinderung.
« Die Gesellschaft behindert uns mit ihren Vorurteilen über Behinderung, ihren Diskriminierungen und Barrieren. Wir wollen selbstbestimmt leben! Teilhabe ist ein Menschenrecht. Parasport gehört dazu. Die Entscheidung, welche Sportart behinderte Menschen ausüben, auch. Schafft Zugang, keine Ausreden!“
aaa-LG
Ob die Kritik gehört und der obige Vorschlag vom Behindertenbeirat aufgegriffen wird? Inklusion ist ein Menschenrecht!
Cécile Lecomte

