Quelle: nirgendwo.info
Vor dem Amtsgericht Harburg läuft aktuell ein Prozess gegen eine Anti-Atom-Aktivistin, der vorgeworfen wird, eine Angekettete bei einer Urantransportblockade mit Lebensmitteln versorgt zu haben. Zu Beginn des zweiten Tages beantragte die Angeklagte eine weitere Wahlverteidigung nach §138(2) StPO (also eine solidarische Nicht-Juristin zur Unterstützung), was das Gericht allerdings mit wirrer Begründung ablehnte. Ansonsten bestand der zweite Verhandlungstag primär aus Zeug_innenbefragungen. Das Gericht hatte zwei weitere Aktionsbeteiligte als Zeuginnen geladen, beide verweigerten vollumfänglich die Aussage. Eine der beiden Zeuginnen beantragte jedoch zuvor einen Zeugenbeistand nach § 138 (3) StPO (also wie bei einer Laienverteidigung die Zulassung eines Nicht-Juristen als Beistand) und dieser wurde auch genehmigt. Danach folgte die Vernehmung des Lokführers. Der führte aus, es habe in dem bereit stehenden Uranzug einen falsch beladenen Wagen gegeben und „der Mensch der das verladen hat, hat da nicht aufgepasst“.
Neben der Selbstverständlichkeit mit der hier Fehler im Umgang mit radioaktiven Stoffen eingeräumt wurden, benannte der Zeuge auch, dass er selbstverständlich pünktlich Feierabend gemacht habe, er selbstverständlich ganz normal bezahlt worden sei und dass er das Verhalten der Aktivist_innen nicht als Gewalt gegen sich empfunden habe. Es bleibt anzunehmen, dass das Gericht in ihm dennoch eindeutig ein Nötigungsopfer sehen wird. Es folgten drei Polizeizeug_innen und es blieb der Tag der „selbstverständlichen“ Dinge: Der erste Polizeizeuge betonte, er habe sich selbstverständlich vor der Vernehmung eingelesen. Das „eine oder andere“ wisse er aber noch aus der Erinnerung. Wie beispielsweise, dass keine Lok am Zug war (obwohl da eine war) und dass die Räumung eingeleitet wurde, „um die Angeketteten zu schützen“. Er führte dann aus, die Betreuungspersonen außenrum hätten sich „völlig passiv“ verhalten. Das passte dem Richter jedoch nicht und er fragte solange nach bis aus der ersten Aussage „völlig passiv“ nun eine „aktive Unterstützung“ wurde. Das passte dem Gericht besser und landete im Protokoll. Wahrheit ist eben, was das Gericht hören will. Damit konfrontiert, dass sein angeblich alleine verfasster Einsatzbericht in weiten Teilen wortgleich mit dem seines Kollegen sei, antwortete der Zeuge, „Berichtsfertigung ist auch Teamarbeit“. Es folgte ein weiterer Polizeizeuge, der sich an keine Versorgungshandlung der Angeklagten erinnern konnte und ihr passives Verhalten bescheinigte, auf Nachfrage dann aber (trotz explizit gegenteiliger Darstellung in seinem Einsatzbericht) bemüht war zu betonen, er sei später gekommen als sein Kollege und habe daher die fragwürdigen Situationen garnicht beobachten können. Die letzte Zeugin für diesen Tag war ebenfalls Polizistin und konnte, da sie zwischen beiden Ankettaktionen hin- und hergelaufen war am Einsatztag, wenig konkretes beitragen bis auf die Aussage, dass ihr der blockierte Urantransport im Vorfeld bekannt gewesen sei, was die vorherigen Zeugen verneint hatten. Das Gericht wird sich am Fortsetzungstermin am 10.5. voraussichtlich mit Beweisanträgen der Verteidigung beschäftigen müssen – wer Lust hat auf eine Vorlesestunde zu den Gefahren von Atomanlagen und -Transporten ist herzlich eingeladen.