Das Video dokumentiert die Abseilaktion der Gruppe Brückentechnologie aus einer 75 Meter hohen Brücke gegen den Castortransport nach Gorleben 2010 bei Altmorschen (Hessen). Der Zug kam auf Grund der Protestaktionen in luftiger Höhe und auf dem Boden ein paar hundert Meter entfernt für 2:45 Stunden zum stehen.
Ich verlinke hier das Video und übernehme einen Eichhörnchen-Bericht, den ich für den TV Sender Arte schrieb anläßlich der Erstaustrahlung der Doku « Rebellen im Namen der Erde« .
Das Video wurde anhand von Beweis-Aufnahmen der Polizei, die gegen die KletterInnen ein Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet hat, zusammen gestellt. Die Verfahrne wurden eingestellt.
Der Bericht (Erschienen auf der Homepage von Arte, 2010):
Tatort 75 Meter hohe Fuldatal-Brücke
Mit einer spektakulären Kletteraktion an der 75 Meter hohen Fuldatalbrücke bei Kassel demonstrierten in der Nacht zum 7. November 2010 AktivistInnen der Gruppe „Brückentechnologie“ gegen den Castortransport und die Atompolitik. Gleichzeitig besetzten gut fünfzig weitere DemonstrantInnen die Schiene. Der Castor musste eine dreistündige Pause machen. Ich war eine der KletterkünstlerInnen am Seil…
„Ob wir es schaffen werden? Ob wir schon geortet worden sind?“ Auf den Gesichtern ist trotz Dunkelheit eine gewisse Anspannung zu spüren. Es ist Nacht, Castornacht. Die Zeit scheint stehen geblieben zu sein, die Stimmung ist gespenstisch, noch ist es im Wald absolut still. Bei jedem Knacken schrecken die AktivistInnen auf. Sie sind von der Außenwelt abgeschottet – sogar das Telefonnetz ist gestört: „nur Notrufe möglich“ zeigt das Display an, trotz gutem Empfang. Die erfahrenen AktivistInnen bewahren ihre Ruhe, Panik bricht nicht aus. Die wenige hundert Meter entfernt vorbei rasenden ICE -Züge vermitteln ihnen ein Zeitgefühl. Als zwei Polizeihubschrauber DemonstrantInnen durch Wald und Böschungen jagen, schlägt das Herz der AktivistInnen – zum Glück ist das Waldland besonders uneben und nicht einsehbar.
Ohne Kontakt zur Außenwald, greifen die AktivistInnen auf Erfahrung und Gefühle zurück – sie gehen nun los.
Die KletteraktivistInnen begeben sich auf die Fuldatalbrücke, einer ICE Brücke, und ankern sorgfältig ihre Seile. Zwei Personen seilen sich langsam in der Dunkelheit ab, sie verschwinden in einem schwarzen tiefen Loch. Nach unten reicht der Lichtstrahl der Lampe nicht. Doch sie wissen, dass die Castorstrecke sich unter ihnen 75 Meter tiefer befindet, in der Ferne sind die Standlichter eines Polizeiautos zu sehen. Für ihre Aktion haben sie sich ein wichtiges Bahnkreuz ausgesucht. Es fühlt sich wie in einem Film an. Doch es ist Wirklichkeit. Die Vorbereitung war sorgfältig, eine Generalprobe mit echten Verhältnissen hat es aber nicht gegeben. Eine Aktion der Größenordnung hat es noch nie gegeben. Der Fantasie sind im Protest keine Grenzen gesetzt…
Der Hubschrauber hat sich schon lange nicht mehr sehen lassen. „Ob der Castor schon durchgefahren ist?“ Das Telefonnetz geht – oh Wunder – nun wieder, es kommt die Meldung, der Castor stehe in Bebra, der Zeitablauf ist richtig!
Gegen 3:15 Uhr ist es nun so weit, die zwei KletteraktivistInnen entfalten auf einer Höhe von ca. acht Metern ihr Transparent. Die Botschaft „Castor stoppen“ ist eindeutig und das Motiv, eine kopfüber abseilende Antiatomsonne, passend. Die AkrobatInnen befinden sich auf Augenhöhe mit dem Polizeifahrzeug auf der Autobrücke gegenüber. Entdeckt werden sie allerdings erst, als sie Knicklichter auf die Schiene werfen. Die Polizisten springen aus ihrem Fahrzeug und starren hilflos auf die in der Luft hängenden AktivistInnen. „Wo kommen die denn her?“
Eine riesige Polizeiarmee setzt sich nun in Bewegung – und hat alle Hände voll zu tun. Es kommt die Nachricht, dass rund fünfzig AktivistInnen ein Katz- und Mausspiel zwischen Böschung und Castorstrecke treiben. Zeitgleich wird die Presse benachrichtigt. „Mit dieser Aktion des zivilen Ungehorsams protestieren die AktivistInnen gegen das geplante Endlager Gorleben und den geplanten Weiterbetrieb von Atomanlagen. Die einzige akzeptable Option ist die sofortige Stilllegung aller Atomanlagen weltweit“, heißt es seitens der AktivistInnen. Mit Fantasie halten sie einen ganzen Polizeiapparat in Schach. Die KletteraktivistInnen tanzen dem Atom- und Polizeistaat auf der Nase herum.
Die DemonstrantInnen auf der Schiene werden nach und nach abgedrängt und eingekesselt. Nach der Durchfahrt des Transportes dürfen sie gehen.
Es wird gemeldet, eine Spezialeinheit sei auf dem Weg zu den KletteraktivistInnen. Doch der Polizeieinsatzleiter erteilt plötzlich den Befehl, den Zug unter den KletteraktivistInnen durch fahren zu lassen. Per Megafon versucht ein Polizist die beiden zum Abbruch ihrer Aktion zu nötigen, indem er mit lebensgefährlicher Verletzung bei der Durchfahrt des Castors droht. Die AktivistInnen haben ihre Aktion sorgfältig vorbereitet und die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen getroffen, um die Gefahr eines Stromschlages auszuschließen. Die Durchsagen der Polizei sind allerdings in der Stresssituation sehr verwirrend. Die AktivistInnen behalten ihre Ruhe, Panik würde in der Tat eine lebensgefährliche Situation auslösen. Jeder Kletterer kennt die Gefahr des „Hängetraumas“. Der Polizist mit dem Megafon, der seine Lügen verbreitet, hat dagegen überhaupt keine Ahnung davon! Und auch keine Ahnung davon, ob die KletteraktivistInnen in der Lage sind, weg zu kommen. Die Komplexität der Seilkonstruktion macht ein schnelles Wegklettern unmöglich – was den Druck auf die beiden erhöht. Der Castor naht. Der Polizist mit dem Megafon droht weiter. Die KletteraktivistInnen verlangen den Kontakt zu SanitäterInnen. Sie wollen der Strahlung nicht ausgesetzt werden und suchen nach Vermittlern, die die Polizei über die Gefahren aufklären. Über das Vorgehen der Polizei sind sie überrascht – bei früheren Transporten zeigte sich die Einsatzleitung nämlich vorsichtiger. Unter KletterInnen fuhr der Transport nicht durch. Für die körperliche Unversehrtheit der AktivistInnen interessiert sich die Polizei heute nicht – die Strahlung ist ja weder zu sehen noch zu spüren. Die Polizei denkt nur daran, den Castor so schnell wie möglich durchzusetzen – gegen den Willen der Bevölkerung versteht sich. Der Castor hat noch einige Hundert Kilometer zu fahren und tausende von Menschen besetzen die Gleise!
Gegen 5:30 Uhr ist es so weit, der Zug passiert die Stelle. Weil er sehr schwer ist, kommt er nur langsam in Bewegung, ein Kletterer kriegt eine volle Ladung Dieselruß aus der Lok, bald beträgt der Abstand zwischen den strahlenden Behältern und den DemonstrantInnen nur noch drei bis vier Meter. Der Zug besteht aus sechs Personenwagen und elf Castorbehältern. Aus den Fenstern zeigen PolizistInnen den Mittelfinger.
Nach seiner Durchfahrt steht der Zug ca. dreißig weitere Minuten in Sichtweite, die Beamten steigen nach und nach wieder ein. Die Polizei erklärt den KletteraktivistInnen, dass sie herunter kommen müssten, um in Gewahrsam genommen zu werden.
Wer geht denn freiwillig in den Knast? Luftakrobatik ist doch viel attraktiver.
Kurz drauf trifft die Sondereinheit der Polizei mit einem mit zwei Hebebühnen ausgestatteten Turmtriebwagen ein. Die Polizisten vom „Technischen Einsatzdienst für Höhen und Tiefen“ holen die AktivistInnen herunter. Gegen 6:45 Uhr befinden sich die KletterkünstlerInnen „Brückentechnologie“ in Gewahrsam. Geg
en Mittag kommen alle frei.
Die Luftblockade war ein Glied in einer langen Kette von Protestveranstaltung gegen die Atomkraft. Es war ein heißer, kreativer, stark umkämpfter Herbst! Mit ihrer kreativen spektakulären Aktion wollte die Gruppe ihre Entschlossenheit im Protest gegen die atomare Demokratur zeigen. Das ist ihr gelungen. Atomausstieg ist auch Seilarbeit!
Presseschau zur damaligen Aktion:
FR ; HNA ; RBS-TV ; Nh24 ; DAPD ; Tagesschau ; TAZ ;
Das schreibt die Polizei...
Bericht vom Eichhörnchen auf der Homepage von Arte