Interview zu meinem Buch „Kommen Sie da runter!“ aus der Zeitschrift KOmmUNIkation – Ausgabe 1 – 25.06.14
Cécile Lecomte – auch „Das Eichhörnchen“ genannt – brachte Anfang dieses Jahres ihr Buch raus mit dem Titel „Kommen Sie darunter!“. Im Rahmen ihrer Lesereise hat sie am 05.06. auch in Koblenz einen kurzen Stopp gemacht und von ihren Erfahrungen erzählt. […]
* Cécile, du hast dein erstes Buch „Kommen Sie darunter“ geschrieben. Aus welchem Grund hast du es geschrieben? Was soll das Buch vermitteln?
Ich bin davon überzeugt, dass Vielfalt und Kreativität Schlüssel zum Erfolg von politischen Bewegungen sind. In meinem Buch erzähle ich in Form von – autobiografischen – Kurzgeschichten und Erzählungen von meinen Erfahrungen aus den letzten zehn Jahren umwelt- und sozialpolitischen Engagement. Das Buch soll vermitteln, was politisch aktivistisches Leben bedeutet. Es ist zugleich ein Appell, sich politisch zu engagieren.
Den Fokus habe ich außerdem bewusst auf die Begegnungen mit der Staatsmacht (Behörden wie Polizei und Justiz) gerichtet, denn diese sind bei politischen Aktionen im Bereich des zivilen Ungehorsams unvermeidbar.
Ich habe zunächst mit losen Texten angefangen und diese bei den Vorträgen, die ich bereits seit Jahren halte, eingeführt. Ich habe dabei festgestellt, das die Texte, die ich schreibe, sehr gut ankommen. Das hat mich dazu motiviert, ein Buch daraus zu machen und einen Verleger zu suchen.
Es lag Nahe, das beim Verlag Graswurzelrevolution zu machen, weil es ein selbstverwalteter nicht kommerzieller Verlag ist. Das passte sehr gut zu meinem politischen Engagement. Ich will nicht, dass Politik oder Kultur kommerziell wird.
* Nun bist du ja schon ziemlich lang politisch aktiv. Wie kam es, dass du dich für Politik interessiert hast? Wie fing es an und in welchen sozialen Bewegungen bist du nun engagiert?
Ich habe sehr früh damit angefangen, Zeitungen zu lesen. Ich habe mich dafür, was in der Welt passiert interessiert. Ich habe außerdem schnell bemerkt, dass viele Dinge mir nicht gefallen und das Bedürfnis gehabt, dies klar und deutlich zu äußern. Es hat mit Antifa-Demonstrationen während meiner Schulzeit in Orléans, wo ich aufgewachsen bin, angefangen. Ich habe Abitur mit Leistungskurs Soziologie und Wirtschaft gemacht. Dort lernt man viel über den wirtschaftlichen „Wachstum“ und ich hatte das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt. Als ich 1999 angefangen habe, in Chambéry Außenwirtschaft und Fremdsprachen zu studieren, das war es gerade ein Höhepunkt der globalisierungskritischen Bewegung mit internationalen Demonstrationen und Protestaktionen gegen diverse Gipfel wie G8- oder WTO-Gipfel (Welthandelsorganisation). In diesem Zusammenhang habe ich angefangen, mich mit dem Thema „décroisance“ (übersetzt etwa „Schrumptum“ oder „Entwachstum“) auseinanderzusetzen. Die Erdressourcen sind nicht unendlich, es gibt immer mehr Kriege um diese Ressourcen. Mit unserem aktuellem Wirtschaftsmodell gehen wir in die Wand, es kann und darf so nicht weiter gehen. Zu dieser Zeit habe ich die öko-libertäre Aktionsgruppe „Chiche!“ kennen gelernt, die Politik auf die Straße z.B. in Form von Straßentheater machte und ziviler Ungehorsam pflegte. Das hat mir sehr gefallen.
Ich habe seitdem nicht mehr aufgehört, mich politisch zu betätigen. Ich bin heute überwiegend in der Umweltbewegung aktiv.
Ich beschäftige mich aber auch viel mit dem Thema Repression. Wenn der Protest die Mächtigen dieser Welt stört, versuchen diese ihn zu unterbinden: durch Wegsperren, Prozesse, Gewalt… Ich bin der Auffassung, dass Solidarität nicht nur eine Frage des Geldsammelns sein darf, es muss mehr sein. Aus diesem Grund verteidige ich immer wieder andere AktivistInnen vor Gericht – und umgekehrt. Wir haben uns da nötige Wissen angeeignet, das eröffnet viele Möglichkeiten der politischen Prozessführung. Der Prozess gehört zur Aktion. Davon erzähle ich in meinem Buch.
* Wie ist dein Beiname Eichhörnchen entstanden? Und wie hast du entdeckt, dass Klettern deine Form des Demonstrierens ist?
Ich bin ehemalige Frankreichmeisterin im Sportklettern. Als Jugendliche haben mir Wettkämpfe Spaß gemacht. Irgendwann habe ich aber gemerkt, dass ich dort keine FreundInnen finde, ich wollte nicht immer gegen die anderen sein. Als ich für mein Studium der Linguistik (mein zweites Studium) ein Praktikum bei Mannheim absolviert habe, habe ich KletteraktivistInnen kennen gelernt und das hat mir sofort gefallen, meine frühere Erfahrung als Bergsteigerin ist heute noch sehr nützlich.
Mein Spitzname kommt daher, dass ich seit ca. 9 Jahren in Lüneburg lebe und dort das Beklettern von Straßenbäumen verboten ist und mir deswegen 2006 ein Prozess gemacht wurde, weil ich bei einer Demonstration in einem Baum geklettert war. „Freiheit für das Eichhörnchen“ stand auf ein Soli-Transaprent. Das wurde zu meinem Spitznamen, weil ich mich nicht einschüchtern lasse und weiter mit Transparenten in die Bäume klettere. Inzwischen hat die Lüneburger Justiz keine Lust mehr auf Baumkletterverfahren mit mir, das ist ihr zu aufwändig, die Verfahren werden – selbst gegen meinen Willen – eingestellt! Davon erzähle ich in meinem Buch, wie kreativer Protest die Behörden dazu gebracht hat, das Klettern zu dulden, wie man sich gegen Repression wehren kann.
* Zum Stichwort „ziviler Ungehorsam“: Was wird darunter verstanden und was bedeutet es für dich?
Beim zivilen Ungehorsam geht es um eine bewusste Grenzüberschreitung (Gesetzesverstoß), um auf Ungerechtigkeiten im politischen Prozess hinzuweisen. Für meinen Teil überlege ich mir nicht ob eine Aktion „legal“ oder „illegal“ ist, sondern ob ich sie für sinnvoll und notwendig erachte. Aktionen, an denen ich mich beteilige, sind oft juristisch nicht eindeutig als „illegal“ oder „legal“ zu betrachten. Damit setze ich mich in meinem Buch immer wieder auseinander. Die Gesetze wurden für die Erdoberfläche formuliert, an Aktionen in der Dritten Dimension hat der Gesetzgeber nicht gedacht… Kreativität ist eine politische Waffe.
* Du hast auch Erfahrungen gesammelt zum Thema Gewalt. Oft wird ja linken AktivistInnen Gewaltbereitschaft unterstellt. Was hältst du von Gewalt und wer übt wie Gewalt aus? Was ist deine Einschätzung dazu und was hast du bisher erlebt?
Hier spielen Feindbilder eine große Rolle. Gegenüber Demonstranten und ihrer angeblichen Gewaltbereitschaft. Die Kampagne „Castor Schottern“ ist ein in der Öffentlichkeit weit bekanntes Beispiel dafür. Die Aktion wurde als eine gewaltfreie Aktion des zivilen Ungehorsams angekündigt. Die Gefährdung von Menschen durch diese Aktion war ausgeschlossen, es ging nur darum, die Castorstrecke durch das Entfernen von Schottersteinen, unpassierbar zu machen. Der Staat wollte verhindern, dass viele Menschen sich beteiligen und hat Angst verbreitet, die AktivistInnen mit ihrem Vorhaben als „Gewaltbereite“ DemonstrantInnen dargestellt. Es wurde im Vorfeld gezielt Stimmung gemacht. Dies hatte zur Folge, dass diese Feinbilder bei den beim Castor dann eingesetzten Polizeibeamten stark verbreitet waren. Die Polizei ging bei der Aktion mit unglaublicher Gewalt gegen die DemonstrantInnen vor, sie schoss Tränengas in die Menge, knüppelte wild auf die Menschen los. Augenzeuge verglichen das Geschehen mit dem Verhalten, von aggressiven Hunde, dessen Leine auf einmal los gemacht wird und die auf Menschen gehetzt werden. Ich kenne mehrere Personen, die schwer verletzt wurden. Ohne die Feindbilder wäre das Ganze möglicherweise deutlich entspannter verlaufen.
Neben der körperlichen Gewalt gibt es auch die psychische Gewalt. Das ist subtile Gewalt, weil es nicht zu sehen ist und die Menschen trotzdem verletzt. Das nenne ich weiße Folter. Wenn du zum Beispiel tagelang „Präventiv“ und „zur Gefahrenabwehr“ in einer Zelle ohne Fenster in einem Polizeikeller eingesperrt wirst. Davon trägst du keine blutige Wunde, es kann aber psychische Folgen haben und sich zu einem Traumata entwickeln (bekannt als post traumatische Belastungsstörung). Die unsichtbare Wunde genauso wie die sichtbare benötigt eine Behandlung. In meinem Buch beschreibe ich, wie ich dies erlebt habe. Anlässlich eines CASTOR-Transportes wurde ich präventiv – also ohne Vorwurf gegen mich – für 4 Tage in einem Polizeikeller unter belastenden Haftbedingungen eingesperrt, um zu Verhindern dass 3 Tage später vielleicht Ordnungswidrigkeit begehe. Mir war damals nicht bekannt, dass die Polizei Menschen mehrere Tage ohne Vorwurf rein Präventiv in einem Polizeikeller festhalten darf. Ich leide s
eitdem an post-traumatischen Belastungsstörung. Ich denke, dass Traumata eine Gesunde Reaktion auf ein krankes System sind. Das Problem muss an seinen Wurzeln, dem System angepackt werden. Nichtsdestotrotz müssen Betroffenen einen Umgang mit dem Traumata finden. Es war mir wichtig, dies anhand meiner Erfahrungen in meinem Buch zu thematisieren, weil es darüber in politischen Zusammenhängen zu wenig Bewusstsein gibt. Als Betroffene-r kann man dieser psychischen Gewalt nur dann widerstehen, wenn das Umfeld diese ernst nimmt und sich solidarisch zeigt. Repression ist gegen Einzelne am effektivsten. „Gemeinsam sind wir stark“ ist nicht nur eine Parole, sondern Realität. Gemeinsam können wir besser gegen die Repression ankämpfen. Das ist meine Erfahrung.
* Nun schreibst du auch, dass du nicht nur während deiner Aktionen mit staatlicher Gewalt konfrontiert wirst. Nehmen wir hier die Gefahrenabwehr. Was ist eigentlich Gefahrenabwehr und wie wurdest du davon betroffen?
Das Buch setzt sich sehr viel mit Begriffen wie „Gefahr“ oder „Gefahrenabwehr“ auseinander. Ich bin der, dass Klimawandel durch Klimakiller wie Kohlekraftwerke usw. oder eben auch Castortransporte oder Atomkraftwerke die eigentliche Gefahr sind für uns Menschen. Diese von oben durchgesetzten Technologien gefährden und zerstören unsere Lebensgrundlage.
Der Staat dagegen ist der Meinung, dass er die Nutzung dieser Energiequellen durchsetzen muss, auch gegen den Willen von sämtlichen Menschen. Dafür greift zu autoritären Maßnahmen, die mehr das Stigma eines Willkür- als eines Rechtsstaates tragen. Weil ich mich gegen die Politik von oben zur Wehr setzte, werde ich zu einer „Gefahr“ deklariert. Die Polizei erstellt eine so genannte „ Gefahrenprognose“. Die schreibt ich bin gefährlich, weil ich hier und dort in einem Baum geklettert bin, einen Redebeitrag gehalten habe oder Straßentheater vor dem atomaren Zwischenlager Gorleben gespielt habe. Meine Gefährlichkeit wird weiter dadurch untermauert, dass die Polizei gegen mich zahlreiche Ermittlungsverfahren eingeleitet hat – dass die Verfahren eingestellt werden mussten, findet keine Erwähnung, das ist für die „Gefahrenprognose“ nicht relevant. Wenn ich so oft „angetroffen“ werde, heißt das, dass ich gefährlich bin.
In meinem Buch erzähle ich was diese an sich harmlosen Datenspeicherungen für weitgehende Folgen haben können: präventive Überwachung durch mobiles Einsatzkommandos (MEK), präventive tagelange Ingewahrsamnahme, Begleitung durch Polizeibeamten im Zug nach Hamburg weil ich Seile mit mir führe… dabei gibt es in meinem Buch, so ernst die Sache an sich ist, viel zum Lachen, denn es führt zu sehr abstrusen Situationen wenn Eliteeinheiten dir wochenlang auf Schritt und Tritt folgen und aufschreiben, ob du mit dem Ein- oder Zweirad durch die Gegend fährst, etc.
* Im Umkehrschluss könnte man auch sagen, dass du Gefahren abwehrst und damit eine Gefahrenabwehr bist, was meinst du dazu?
Ja, ich möchte nicht erst zu Tat schreiten, wenn die Großkonzerne bereits Fakten geschaffen haben, ich möchte nicht erst dann aktiv werden, wenn es vor meiner Haustür brennt, wenn es zu spät ist.
* Liest man dein Buch, so erkennt man, dass du oft einen ironischen und humorvollen Stil verwendest. Welche Rolle spielt Ironie und Humor in deinem Leben?
Es hat vielleicht damit zu tun, dass ich Französin bin. Ironie findet in Frankreich deutlich mehr Verwendung als in Deutschland. Ich denke außerdem, dass man mit Ironie und Humor Dinge, die an sich schwer zu schlucken sind, besser vermitteln kann. Der Leser hat Lust die Geschichte zu Ende zu lesen. Es passt außerdem zu meiner Art, Politik zu machen. Politik muss Spaß machen können, so bitter das Thema manchmal sein kann. Ich bezeichne mich als „Aktionskletterkünstlerin“. Künstler sind kreativ, haben Spaß bei der Arbeit. Meine Kunst ist überwiegend die des Happenings. An der richtigen Stelle zum richtigen Zeitpunkt da zu sein, um seine Botschaft zu vermitteln, Sand im Getriebe der Mächtigen zu sein. Das ist eine Kunst dies zu schaffen. Im Buch erzähle ich sowohl über gelungenen und gescheiterten Aktionen (das gehört ja auch zum Aktivismus). Und über diesen „Ätsch-Faktor“ den ich so schätze, wenn eine Aktion mal wieder geklappt – obwohl es zu Beginn gar nicht danach aussah.
* Und zum Schluss nun noch: Liegt dir etwas auf dem Herzen, was du den Studierenden sagen möchtest?
Ich habe mich auf die Lesung in Koblenz gefreut.
Gemeinsam sind wir stärker. Seid kreativ und unbequem. Oder « Empört euch! », wie Stéphane Hessel es wunderbar zusammenfasste.
Liebe Cécile, vielen, lieben Dank für die Zeit, die du für das Interview genommen hast. Außerdem bedanke ich mich auch herzlich für die wirklich tolle abwechslungsreiche und interessante Lesung und wünsche Dir weiterhin viel Erfolg. ali