In meinem Buch „Kommen Sie da runter!“ setze sich mich ausführlich mit Vertikalität und Demonstrationen auseinander. Und ich könnte mühelos eine Fortsetzung schreiben, so absurd Ausführungen der Polizei zur Rechtfertigung willkürlicher Eingriffe gegen Kletterdemonstrationen sind. Aktuelle Fälle aus Berlin und Essen
Am vergangenen Montag fand vor dem Verwaltungsgericht Berlin ein Erörterungstermin statt. Es ging um meine Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit von Polizeimaßnahmen bei der Energiewendedemonstration vom 30.11.2013. Ich wollte zusammen mit einem weiteren Aktivisten ein Anti-Kohle-Banner auf einem ca. 30 Meter hohen Mast aufhängen. Die Polizei versuchte mich daran zu hindern. Ich konnte mich schließlich mit der Unterstützung von zahlreichen DemonstrantInnen durchsetzen. Die Polizeiaktion brach mich aber zunächst in einer lebensgefährlichen Situation und ich wurde verletzt.
Die Polizei begründete ihren Eingriff nicht. In der Akte schrieb sie dann später, sie sei „auf Grund der Wetterverhältnisse“ gegen mich vorgegangen. Außerdem sei das Besteigen des Mastes mitten auf dem Bahnhofsvorplatz ein Landfriedensbruch – oder ein Hausfriedensbruch.
Im Erörterungstermin vor dem Verwaltungsgericht Berlin ging es darum, ob eine Einigung zwischen den Parteien möglich ist. Dies war wohl nicht der Fall. Der Vertreter der Polizei schien nicht ganz klar zu haben, dass es um meine Klage gegen die Polizei ging, und nicht umgekehrt. Er erklärte, ich und andere AktivistInnen würden ständig auf Masten Klettern, das sei nervig, das tue man doch nicht, das müsse untersagt werden. Dem Vertreter des Justiziariat der Polizei fehlen offensichtlich Grundkenntnisse im Verfassungsrecht. Es gibt nämlich sowas wie Gewaltenteilung… das Verwaltungsgericht wird wohl kein „Mastkletterverbotgesetz“ erlassen! Dafür wäre der Gesetzgeber zuständig – und er müsste dabei den Gehalt von diversen Grundrechten beachten, um kein verfassungswidriges Gesetz zu erlassen. Denn: es gibt kein Gesetz à la „Du sollst Dich horizontal bewegen, Du sollst nicht auf Masten demonstrieren“. Viel mehr darf der Grundrechtsträger bei einer Versammlung selbst entscheiden, wie er seinem Anliegen Ausdruck verleiht. Er darf seine Meinung in der Form von Klettern und Banner aufhängen kund tun!
Ich habe schon über das Urteil, das ich vor dem VG Lüneburg erstritten habe, berichtet.
Urteil vom 30.7.2014, Az.: 5 A 87/13 (Bestätigt durch OVG Niedersachsen 11 LA 233/14)
aa. Eine Versammlung ist gemäß § 2 Abs. 1 NVersG eine ortsfeste oder sich fortbewegende Zusammenkunft von mindesten zwei Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (ebenso zum Versammlungsbegriff des Art. 8 Abs. 1 GG BVerfG, Beseht. v. 07.03.2011 – 1 BvR 388/05- juris, Rn. 12; Beseht. v. 10.12.2010- 1 BvR 1402/06- juris, Rn. 19; Beschl. v. 19.12.2007- 1 BvR 2793/04- juris, Rn. 14). Die Klägerin und ihre Begleiter hatten die Absicht, sich an der öffentlichen Meinungsbildung zu beteiligen, indem sie an der Caster-Transportstrecke befindliche Bäume erklettern und an diesen gelbe Kreuze in X-Form als Symbol für die Ablehnung der Atomenergie im Allgemeinen und der Castor-Transporte in das Wendland im Speziellen anbringen. Das Handeln der Klägerin und ihrer Begleiter stellt sich dabei als Kundgebung – eine Zusammenkunft, mittels derer die Teilnehmer ihre gemeinsame Überzeugung zeigen (UIIrich, NVersG, 2011, § 2, Rn. 25) – dar.
Dem Versammlungscharakter des Zusammentreffens steht nicht entgegen, dass das Erklettern von Bäumen und Anbringen gelber Kreuze in X-Form zum Zwecke der gemeinsamen Meinungskundgabe eine eher ungewöhnliche Form der Versammlung darstellt. Denn hinsichtlich der Art und Weise der Ausgestaltung der Versammlung besteht Typenfreiheit, die Versammlungsfreiheit umfasst als spezifisches Kommunikationsgrundrecht auch die Befugnis zum Einsatz besonderer und ungewöhnlicher Ausdrucksmittel (OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 02.05.2006,- OVG 1 B 4.05 -, juris, Rn. 29; VG Frankfurt, Beschl. v. 06.08.2012-5 L 2558/12.F -, juris, Rn. 19; Dietel/Gintzel/Kniesel, VersG, 15. Aufl. 2008, § 1, Rn. 54; Ullrich, NVersG, 2011, § 2, Rn. 29).
Nur: die Polizei ist unbelehrbar, wenn es darum geht, die Interessen der großen Kohle- und Atomlobbyisten zu verteidigen.
Ich klage vor dem Essener Landgericht auf Schmerzensgeld für eine polizeiliche Ingewahrsamnahme, die vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen bereits für rechtswidrig erklärt wurde. Die Polizei hinderte mich am Aufhängen eines Banners in einem Baum bei einer Versammlung gegen den Atom- und Kohlekonzern EON im Mai 2012. Und was schreibt der bevollmächtigte der beklagten Polizei? Baumklettern sei verboten! Halluziniert er auch ein Gesetz à la „Du sollst Dich horizontal bewegen“? Köstlich ist auch folgende Äußerung: „Aus dem gesamten Vorbringen der Antragstellerin entsteht der Eindruck, als verdiene sich diese dadurch, dass sie an Demonstrationen teilnimmt, dabei auffällig wird und sich festnehmen lässt, ihren Lebensunterhalt.“ Ja sicher! Polizeiliche Misshandlungen und Freiheitsberaubungen, das macht doch so viel Spaß! Im ernst: Die Polizei darf gerne selbst Abhilfe schaffen, wenn sie meinen Unterhalt nicht mitfinanzieren will. Sie kann von willkürlichen gewaltsamen Maßnahmen Abstand halten! Ich hätte nichts dagegen! So lange sie zur Einsicht nicht fähig ist, kämpfe ich um meine Grundrechte weiter. Nö! Ich werde mir Kletterhappenings nicht verbieten lassen!
Und ich werde meine Klage selbstverständlich aufrecht erhalten. Das ist in Essen bitter nötig… die Polizei ist dort Wiederholungstäterin.
Jüngst am vergangenen Mittwoch, hat die Essener Polizei AktivistInnen erneut ihrer Freiheit beraubt. AktivistInnen protestierten am Sitz von RWE anlässlich der Jahreshauptversammlung des Klimakiller-Konzerns. Sie wollten, wir schon vor einem Jahr, Banner an den Säulen des Vordachs des Gebäudes aufhängen. Die Säulen befinden sich auf dem Gehsteig. Die Polizei sprengte damals die Versammlung, nahm uns fest als wir den Boden erreichten und warf uns „Hausfriedensbruch“ vor. Das Verfahren wurde wenige Wochen später nach § 170 II StPO eingestellt. Die Staatsanwaltschaft stellte fest, dass es sich bei dem „Tatort“ um kein eingefriedetes Gelände handelt. Tja, der Bürgersteig gehört RWE nicht.
Aber im Namen von RWE ist die Polizei sehr gerne tätig. Protest ist dem Konzern zu lästig und lässt sich mit etwas Willkür totschweigen – das ist zumindest die Hoffnung des Konzerns.
Ein Security wurde am vergangenen Donnerstag gegen einen Kletterer handgreiflich. Der andere Aktivist schaffte es an der Säule empor und breitete sein Transparent aus – mit einem zur RWE Jahreshauptversammlung passenden Spruch: « Verstrahlt, Verkohlt, Pleite. » Als er nach drei Stunden herunter kletterte, wurde er und drei weiteren Personen „zur Gefahrenabwehr“ in Gewahrsam genommen, zur Verhinderung weiterer – welche auch immer – Straftaten. Die Vier wurden über neun Stunden von der Polizei festgehalten.
Und ein williger Amtsrichter machte sich zum Handlager von Polizei und RWE. Er bestätigte die Gewahrsamnahmen mit der Begründung, die Betroffenen würden sicherlich weiter protestieren wollen und vor Straftaten nicht zurückschrecken. Die „Anhörung“ fand durch die Klappe der Polizeizelle statt. Ein konkreter Verdacht oder eine konkrete Prognose gibt es nicht. Die Gerichtsbeschlüsse liegen mir vor: da entsteht der Eindruck, der Richter habe zum ersten mal in seinem Leben einen solchen Beschluss geschrieben. Und man fragt sich wo er Jura gelernt hat. Versammlungsfreiheit? Nicht bekannt. Die Bedeutung von „unerlässlich“ und „unmittelbar“ ? Unbekannt. Ein präventiver Gewahrsam ist nur dann zulässig, wenn dieser unerlässlich ist –
was vorliegend nicht der Fall war, ein Platzverweis wäre ein milderes Mittel gewesen. Auch muss die Begehung einer Straftat unmittelbar bevorstehen – was auch nicht der Fall war…
Ein Betroffener erklärte dem Richter, das was die Polizei angeordnet habe und er nun unterstütze, sei Schutzhaft, wie in der Nazizeit. Da gibt ihm die Kommentierung zum Hessischen Sicherheits- und Ordnungsgesetz recht.
OLG Frankfurt/M., Beschluss 18.06.07 – 20 W 221/06 zu § 32 I Nr. 2 HSOGDa das Instrument des Gewahrsams während der Nazizeit äußerst massiv missbraucht wurde, sollte es durch die Tatbestandsmerkmale ‘ unerlässlich’ und ‘ unmittelbar bevorstehend’ rechtlich unmöglich gemacht werden, dass die Vorschrift zu einer Ermächtigung zum sog. Vorbeugegewahrsam (früher: Schutzhaft) ausgeweitet wird (Hornmann, § 32 HSOG Rn 16 und 3).
Es war vorliegend NRW, aber die gesetzlichen Voraussetzungen zur Anordnung von präventivem Gewahrsam zur Gefahrenabwehr unterscheiden sich in diesem Punkt nicht. Mal sehen, ob die nächste Instanz die Schutzhaft bestätigt. Im RWE-Land ist alles möglich.