Ein Prozessbericht von Christian Iwert
Am Dienstag, den 20.10.2011 musste sich der Lüneburger Umweltaktivist Christian Iwert vor dem Amtsgericht Hamburg verantworten, da er ein Sicherstellungsverzeichnis der Polizei mit „ACAB“ unterschrieben haben soll. Hierdurch fühlt sich eine Polizeibeamtin in ihrer Ehre verletzt, da sie es als Kürzung für „All Cops Are Bastards“ interpretiert. Staatsanwalt Fink erhob deshalb Anklage und verlangt vom Aktivisten 30 Tagessätze à 10 €.
Hintergrund des Vorfalls ist die abgebrochene Robin Wood-Kletteraktion im Rahmen der Vattenfall Cyclassics am 21.08.2011, bei der Christian und seine Kletterpartnerin Cécile von einem Zug der Hamburger Bereitschaftspolizei in Gewahrsam genommen wurden (dagegen laufen noch Klagen der AktivistInnen gegen die Polizei, die Justiz hat es nicht eilig, wenn sie gegen OrdnungshütterInnen ermitteln muss). Während dieser Ingewahrsamnahme wurden beide misshandelt, erniedrigt und beleidigt. Zudem wurde ihnen notärztliche Versorgung ihrer Blessuren und stark blutenden Wunden verwehrt.
Auszug aus dem Gedächtnisprotokoll des Angeklagten Christian:
„Die Beamten gaben sich keinerlei Mühe, mich verletzungsfrei zu tragen und schleiften mich hängenlassend erneut über den Fußboden der Polizeiwache bis einer der Beamten sagte: „Ich habe keine Lust mehr auf diese Scheiße – ich ziehe jetzt deine Drecksfresse über den Boden.“. Daraufhin drückte er meine linke Gesichtshälfte auf den Boden und zog mich weiter. Ich klagte über Schmerzen und richtete mich auf. Später entdeckte ich unter meinem linken Auge, entlang der linken Schläfe, meiner linken Schulter sowie an beiden Handgelenken Verbrennungen.“
Siehe auch den Bericht von Eichhörnchen Cécile dazu.
Das Skandalpotenzial zeichnete sich schon gleich zu Beginn des Prozesses ab, als die Verfahrensbeteiligten von Richterin Dr. Behr in den Gerichtssaal hineingebeten wurden. Der Angeklagte wollte sich wie gewohnt an den Platz der Verteidigung setzen, jedoch forderte ihn die Richterin dazu auf, sich auf eine alte, niedrige Holzbank in der Mitte des Saals zu setzen. Der Angeklagte fragte nach dem Grund und protestierte gegen diese Entscheidung, da er einen angemessen Arbeitsplatz brauche, um seine Verteidigungsfähigkeit wahren zu können. Auch wollte ihm weder Richterin Behr noch der sich in der Zwischenzeit in die Diskussion eingeschaltete Staatsanwalt Fink einen (rechtlichen) Grund dafür nennen. Die Richterin stellte sogleich die Personalien des Angeklagten fest und Staatsanwalt Fink verlas unverzüglich die Anklage. Die Versuche des Angeklagten verteidigungsrelevante Anträge zu stellen wurden einfach unterbunden. Es wirkte, als würden beide einen neuen Guinness-Rekord in Sachen Schnellverurteilung aufstellen wollen, denn seit Betreten des Saals waren nur wenige Minuten vergangen.
Richterin Behr fragte den Angeklagten, ob er sich äußern wolle. Absurderweise kannte dieser bis zum jetzigen Zeitpunkt keinerlei Inhalt der Verfahrensakte. Die Richterin gewährte ihm trotz mehrfacher Beantragung im Vorfeld des Prozesstages keine Akteneinsicht, da er ja keinen Anwalt hätte. Diese Rechtsauffassung von Richterin Behr ist höchstgradig rechtswidrig. Denn Urteile und Rechtskommentare zu der Frage der Akteneinsicht eines Betroffenen ohne Anwalt sind unmissverständlich geregelt. Im Folgenden drohte Staatsanwalt Fink dem Angeklagten, wenn er nicht endlich still wäre, würde das Strafmaß höher ausfallen!
Die Richterin händigte dem Aktivisten letztendlich zwei kopierte Seiten – von augenscheinlich über 30 Seiten – der Akte aus. 10 Minuten Pause sollte nach ihrer Ansicht reichen, um auf dieser Grundlage eine Zeugenbefragung sowie eine umfassende Verteidigungsstrategie zu entwickeln… Erneut forderte der Angeklagte mehr von der Akte sehen zu dürfen, ohne Erfolg. Immer wieder mischte sich auch Staatsanwalt Fink lautstark ein. Offenkundig führte er statt der total überforderten Richterin Behr den Prozess. Der Angeklagte stellte aufgrund der unzureichenden Akteneinsicht einen Antrag auf Ablehnung von Richterin Behr, da diese willentlich massiv versuchte seine Verteidigungsfähgikeit zu beschneiden.
Nach etwa 15 Minuten Pause ging es dann weiter – wie erwartet natürlich mit der für nicht-befangen erklärten Richterin Behr. Der Angeklagte wies nochmals daraufhin, dass er sich ohne einen geeigneten Arbeitsplatz nicht verteidigen könne und bat darum den vorhandenen Tisch der Verteidigung zu nutzen. Jeder stark überfüllte Unihörsaal wäre ein würdigerer Ort gewesen, um adäquat arbeiten zu können. Richterin Behr und freilich auch Staatsanwalt Fink, der seinen Kompetenzbereich mehr als nur überschritt, versagten dem Angeklagten diese Möglichkeit. Die hitzige Stimmung bei dieser Diskussion um prozessuale Grundrechte schlug auch auf das entsetzte Publikum im Saal über. Staatsanwalt Fink bemächtigte sich dabei wiederholt der Prozessführung und drohte dem Publikum mit Ordnungsgeldern. Als wäre das nicht schon genug, stand dieser auf und holte die geladene Zeugin zur Vernehmung herein, ohne dass Richterin Behr dazu irgendjemanden aufgefordert hätte. Der Angeklagte protestierte gegen diese Maßnahme, zumal eine Zeugenbefragung seinerseits nicht möglich wäre, da es ungeachtet der widrigen Arbeitsbedingungen bislang keine ausreichende Gelegenheit gab, diese vorzubereiten.
Die Zeugin wurde in atemberaubendem Tempo befragt und entlassen. Diese gab außerdem an, sich durch die vor dem Justizgebäude stattfindende Occupy-Soli-Demonstration beleidigt zu fühlen… 😀
Obwohl der Angeklagte noch Fragen an die Polizeibeamtin Komp hatte, entließ Richterin Behr diese.
Der Angeklagte stellte wiederum einen Befangenheitsantrag gegen Richterin Behr, da sie nach wie vor willkürlich seine prozessualen Rechte einschränkt, um seine Verteidigungsfähigkeit zu torpedieren.
Die Verhandlung wurde unterbrochen, eine Fortsetzung dieses an mittelalterliche Hexenprozesse erinnerndes Theaters findet am 10.01.2011 um 14:30 Uhr wieder im Raum 192 statt.
UPDATE 10.1.2012 : Angeklagter ist krank, neuer Prozesstermin (noch) nicht bekannt.
Kontakt zum Angeklagten:
christian-iwert@nirgendwo.info