LKA überwachte monatelang Telefone von Aktivist_innen

A propos Überwachung. Ich übernehme diesen Text von Indymedia.

Übers Ermitteln, Bespitzeln und Abhören

Über den Jahreswechsel 2013 / 2014 hörte das Landeskriminalamt (LKA) Niedersachsen drei Monate lang die Handys von drei Personen ab, die in der Kampagne gegen Tierfabriken aktiv sind. Die Kampagne richtet sich seit 2010 gegen Schlachthofbauten und -erweiterungen in Niedersachsen und wurde bereits wiederholt mit Verfahren, Prozessen und Überwachung konfrontiert.

A propos Überwachung. Ich übernehme diesen Text von Indymedia.

Übers Ermitteln, Bespitzeln und Abhören

Über den Jahreswechsel 2013 / 2014 hörte das Landeskriminalamt (LKA) Niedersachsen drei Monate lang die Handys von drei Personen ab, die in der Kampagne gegen Tierfabriken aktiv sind. Die Kampagne richtet sich seit 2010 gegen Schlachthofbauten und -erweiterungen in Niedersachsen und wurde bereits wiederholt mit Verfahren, Prozessen und Überwachung konfrontiert.

Hintergrund: Brennende Mastanlagen und planlose Repressionsbehörden

Eine von mehreren Möglichkeiten, diese Geschichte zu erzählen, ist es, bei den Hühner­mastanlagen in Alvesse und Mehrum (beide im Landkreis Peine in Niedersachsen) zu beginnen. Diese wurden beide im Jahr 2011 – jeweils kurz vor ihrer Inbetriebnahme – in Brand gesetzt (1). Zu den Aktionen bekannten sich die Gruppe Ei (2) sowie die Animal Liberation Front (ALF) (3), die in ihren Erklärungen beide unter anderem den Kampf gegen Tierausbeutung als Motivation nannten.

 Wegen des hohen Sachschadens – alleine in Alvesse betrug er zirka 500.000 Euro – und wegen der unaufgeklärten Brände der Mastanlagen in Sprötze (Juli 2010), zu dem sich ebenfalls die ALF bekannte, sowie in Schnega (Dezember 2011) hatten Polizei und Staatsanwaltschaft ein erhöhtes Aufklärungsinteresse. Das kann den Ermittlungsakten entnommen werden, die uns inzwischen vorliegen und insgesamt knapp 700 Seiten umfassen. Ein Großteil dieses Artikels basiert auf ihren Inhalten.

Doch wie kam es schließlich zur Abhörung der Telefone? Zunächst fand die Polizei keinerlei Spuren oder Hinweise, die auf bestimmte Personen hindeuteten – obwohl das darauf spezialisierte Kriminaltechnische Institut des LKA Niedersachsen mehrere Fund­stücke von der Brandruine in Alvesse genau untersuchte, die es als „Bestandteile von Brandvorrichtungen“ identifizierte. Im März und April 2012 beendete die lokale Polizeiinspektion schließlich erfolglos ihre Ermittlungen bezüglich beider Aktionen und übergab die Akten nacheinander der Staatsanwalt­schaft Braunschweig. Was genau diese Behörde sowie der LKA-Staatsschutz dann taten, lässt sich anhand der Akten nicht so richtig nachvollziehen. Ob da wohl weitgehende Ahnungs- oder Planlosigkeit eine Rolle gespielt haben mögen? Jedenfalls stellte die Staatsanwaltschaft die Alvesse-Ermittlungen in der Folge offiziell gleich zwei Mal ein – im April und im August 2012.

 Währenddessen blieben andere Teile des Repressionsapparates aktiv. Zum Ersten: Das LKA observierte sechs Monate lang einen Aktivisten im Rahmen eines sogenannten Gefahren­ermittlungsvorgangs und produzierte zwei Ermittlungsberichte durch Kriminal­oberkommissar (KOK) Stefan Spittler (LKA-Staatsschützer gegen „links“). Der Gefahrenermittlungsvorgang scheint vor allem dazu angelegt zu sein, Vorwände für Ermittlungen und Überwachung zu schaffen. Zum Zweiten: Das Bundeskriminalamt versuchte, ein gemein­sames Treffen von Behörden­vertretungen aus Niedersachsen, Berlin und Bologna (Italien) zu koordinieren, da die Staatsanwaltschaft Bologna Zusammenhänge zwischen den Aktionen in Alvesse, Mehrum und einer Aktion in Bologna am 21. Juli 2011 vermutete, als fünf Tage nach dem Brand in Alvesse dreißig Hühner aus einem Forschungszentrum befreit wurden, welches anschließend in Brand gesetzt wurde (4). Ob dieses angedachte Treffen zustande kam, ist aus der Ermittlungsakte nicht ersichtlich. Zum Dritten: Auch die Aktivitäten der V-Person Ralf Gross, die explizit zur Aufklärung der Brände auf die Kampagne gegen Tierfabriken eingesetzt worden war, vermehrten sich im weiteren Verlauf noch (5).

 

Infoquellen: Spitzel und anonyme Hinweisgebende

An dieser Stelle bietet sich ein Exkurs an, denn wir erfuhren aus den Akten: Ralf war nicht die erste Person, die der Polizei Informationen lieferte. Bereits am 27. Dezember 2011 trafen sich Beamte des LKA mit einer Person, die bei einem Vortrag anwesend gewesen sei, den Aktivistis elf Tage zuvor in Lüneburg gehalten hatten. Sie zeigte in einer vorgelegten Mappe auf die Fotos der Vor­tragenden, die sie erkannt habe. Fast zwei Jahre (!) später – am 2. September 2013 – sei diese V-Person mit der Bezeichnung „Info 1“ dann in Lüneburg befragt worden, wobei sie ausgesagt habe, dass die Vortragenden sich bei ihren Berichten über vergangene Aktionen „radikal“ geäußert hätten.

Zusätzlich zu den zwei V-Personen gab es (angeblich) am 11. März 2013 per E-Mail einen anoymen (sehr dürftigen!) Hinweis über die herbeispekulierte Beteiligung einer konkret benannten Person an der Inbrandsetzung der Mastanlage in Sprötze. Die_der anonyme Hinweisgebende sei – ihren eigenen Angaben zufolge – um den 30. Juli 2010 herum auf der Bauplatzbesetzung in Wietze gewesen und beschrieb nun – also knapp zwei Jahre später – der Mäster*innen-Familie Eickhoff und der Polizei, was sie dort beobachtet habe: Im Grunde nichts außer angeblich verdächtigen Verhaltens wie z.B. Besprechungen in Kleingruppen. Ob und wie dieser sogenannte Hinweis in weitere oder neue Ermittlungen einfloss, ist nicht bekannt. Das LKA notierte jedenfalls: „Es ist nicht auszuschließen, dass es sich bei der […] erwähnten blonden, weiblichen Person auch um die [Name einer später abgehörten Person] handeln könnte.“ In Anbetracht der Tatsache, dass über die erwähnte Person ansonsten nichts geschrieben wurde, wirkt diese Feststellung nicht sonderlich erkenntnisreich in Bezug auf konkrete Verdachtsmomente oder Ermittlungsansätze. Aber warum auch sollte es dem LKA auf einmal um konkrete Ermittlungs-Erkenntnisse gehen anstatt ums willkürliche Sammeln von Informationen über eine Bewegung, die sich der kapitalistischen Verwertung von Menschen, anderen Tieren und der Umwelt entgegenstellt?

 

Beginn und Verlauf der Telefonüberwachung

Soweit der Exkurs zu Spitzeln und Hinweis-Personen. Was das LKA bezüglich der Alvesse-Mehrum-Ermittlungen nun vorliegen hatte, waren eine Aussage von „Info 1“, Sammlungen von Aktionen und früheren Ermittlungsverfahren gegen Aktivistis sowie diverse vermeintliche Belastungen durch den V-Mann Ralf Gross. Daraus konstruierte es einen Anfangsverdacht gegen die genannten zwei Vortrag-Personen, woraufhin die Staatsanwaltschaft sie ab Oktober 2013 als Beschuldigte behandelte und die beiden Ermittlungsverfahren bezüglich der Brände in Alvesse und Mehrum zusammenführte. Rasch folgte vom Amtsgericht Braunschweig die Anordnung, drei Monate lang die Telefone der Aktivistis abzuhören, womit der Staatsschutz am 28. Oktober begann – also bereits zwei Jahre nach den In-Brand-Setzungen; und an genau jenem Tag, als zum zweiten Mal eine geheim geplante Schlachtfabrik-Blockade scheiterte (höchtwahrscheinlich durch die geplante Teilnahme von Ralf Gross). Deswegen war der Tag des Beginns der Abhörungen somit zugleich auch identisch mit dem Tag des Beginns unserer intensiven Recherche nach dem offensichtlich gewordenen Informationsleck. Kurz später meinte das LKA dann zu wissen, dass eine dritte Person kurz zuvor „in kleinem Kreis“ über Brandlegungen geredet habe. Da auch er „eine Führungsperson der militanten Tierrechtsszene“ sei, gab’s den nächsten Gerichtsbeschluss und ab dem 8. November sodann die dritte Person, deren Telefonate mitgehört und SMS gelesen wurden.

 

Einschätzung

Diese Eskalation staatlichen Schnüffelns in den Privatsphären von Menschen aus der Kampagne gegen Tierfabriken endete am 9. Februar 2014, zwei Wochen nach Ralf Gross’ Enttarung als Spitzel. Zirka drei Monate später lieferte KOK Spittler seinen dritten und finalen Ermittlungsbericht, in welchem er die Telekommunikationsüberwachung ziemlich knapp auswertete und zu dem Schluss kam, „dass sich durch die Überwachungsmaßnahmen keinerlei neue Ermittlungsansätze hinsichtlich einer Aufklärung der oben angegebenen Brandanschläge gegeben haben.“. Kurz später die bereits dritte Verfahrenseinstellung durch die Staatsanwaltschaft, diesmal gefolgt von postalischen Benachrichtigungen der Betroffenen im Spätsommer 2014. Sowohl jene Betroffenen als auch einer von zwei Journalistis und eine Rechtsanwältin, deren Telefonate mitabgehört wurden, beantragten die gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Abhörungen, deren Ergebnis noc
h aussteht.

 

Der Staat bewies mit seinem Lauschangriff, dass ein eineinhalb-jähriger Spitzeleinsatz nicht das letzte widerliche Mittel ist, das er bereit ist im Dienste der Fleischindustrie einzusetzen. Was der Staat ebenso bewies, formulierte „ein hochrangiger Staatsschützer eines Landeskriminalamts, der ungenannt bleiben will“ folgendermaßen gegenüber der Zeitung Die Zeit (6): „Wir wissen einfach zu wenig. […] Uns fehlen einfach die Klärungsansätze. […] Wir kennen die Zellen schlichtweg nicht.“ Der Sprecher dieser Worte dürfte aus dem engsten Umfeld des Lauschers Stefan Spittler stammen, denn in dem Absatz, in den dieses Zitat integriert ist, geht es um die Brandlegungen in Nieder­sachsen sowie um Telefonate, während derer „die Extremisten“ nie über ihre Aktionen sprächen. Die formale Konsequenz der polizeilichen Ahnungslosigkeit ist, dass inzwischen bezüglich aller fünf Mastanlagenbrände in Niedersachsen ab 2010, bei denen von einer politischen Motivation ausgegangen wird, die Ermittlungen eingestellt wurden. Betreffend die Aktionen in Sprötze (Juli 2010) und Klein Fullen (November 2012) ist dies zu entnehmen aus einer öffentlichen Erklärung des niedersächsischen Innenministers Boris Pistorius vom 28. Januar 2014 (7). Betreffend die Aktionen in Alvesse (Juli 2011), Mehrum (Oktober 2011) und Schnega (Dezember 2011) ist dies von den betroffenen Personen bekannt, gegen die zwischenzeitlich ermittelt wurde. So viel zu dem, was bewiesen wurde und feststeht.

Was unklar bleibt: Glaubten die Menschen vom Staatsschutz ernsthaft, die Abgehörten würden am Telefon über militante Aktionen sprechen, die über zwei Jahre zurücklagen? Wichtiger dürfte es gewesen sein, mehr über widerständige Strukturen und persönliche Beziehungen herauszufinden sowie Abschreckung zu erzeugen. Was es nun zu beweisen gilt, ist, dass der Widerstand gegen Tierfabriken auch nach dieser Repressionseskalation weitergeht – wie es auch nach allen Besetzungs- und Blockade-Räumungen, nach den Sprötze-Ermittlungen, nach allen staatlichen Gewalt­handlungen und nach Ralf Gross der Fall war.

Mehr Infos zur Kampagne: www.kampagne-gegen-tierfabriken.info

Fußnoten

(1) Siehe z. B. zu Alvesse http://celleheute.de/fast-fertige und zu Mehrum http://www.paz-online.de/Peiner-Land/Hohenhameln/Tierschutzorganisation-…

(2) Quelle: https://linksunten.indymedia.org/de/node/44055

(3) Quelle: https://linksunten.indymedia.org/de/node/48389

(4) Siehe z. B. https://linksunten.indymedia.org/de/node/58083

(5) Siehe z. B. https://linksunten.indymedia.org/de/node/104559

(6) Die Zeit, 28. August 2014: „Die Vegane Armee Fraktion“; online: http://www.zeit.de/2014/36/tierschutz-tierrechte-radikale-aktivisten

(7) Quelle: www.landtag-niedersachsen.de/Drucksachen/Drucksachen_17_2500/1001-1500/1… (Seite 3)