Prozessbeobachtung: Castor-Prozess in Celle

Ein Eichhörnchen-Artikel, erschienen in der Zeitschrift GWR Nr. 375 (Januar 2013)

60 Tagessätze à 15 Euro wegen Nötigung und Störung öffentlicher Betriebe. Das ist für Amtsrichterin Precht das Ergebnis einer dreitägigen Gerichtsverhandlung gegen einen Atomkraftgegner in Celle.

ProzessbeobachterInnen sprechen auch ihr Urteil: Staatsanwalt und Richterin machten sich der Einschränkung der Gerichtsöffentlichkeit sowie der willkürlichen Beschneidung von Rechten der Verteidigung schuldig. Der Angeklagte führte den Prozess offensiv und stellte mit Anträgen, Stellungnahmen und Rügen den Atomstaat auf der Anklagebank.

Ein Eichhörnchen-Artikel, erschienen in der Zeitschrift GWR Nr. 375 (Januar 2013)

60 Tagessätze à 15 Euro wegen Nötigung und Störung öffentlicher Betriebe. Das ist für Amtsrichterin Precht das Ergebnis einer dreitägigen Gerichtsverhandlung gegen einen Atomkraftgegner in Celle.

ProzessbeobachterInnen sprechen auch ihr Urteil: Staatsanwalt und Richterin machten sich der Einschränkung der Gerichtsöffentlichkeit sowie der willkürlichen Beschneidung von Rechten der Verteidigung schuldig. Der Angeklagte führte den Prozess offensiv und stellte mit Anträgen, Stellungnahmen und Rügen den Atomstaat auf der Anklagebank.

Hintergrund der Verhandlung war eine erfolgreiche Castorblockade bei Dalle (Niedersachsen) im November 2010. Insgesamt drei AktivistInnen ketteten sich auf den Gleisen in beiden Fahrtrichtungen. Wer die Verhandlung im Saal 144 des Amtsgerichtes Celle besuchen wollte, musste sich zuvor einer zweifachen körperlichen Durchsuchung unterziehen. Für Journalisten waren Stühle reserviert. Dort durften allerdings nur unkritische Journalisten Platz nehmen. Der Autorin dieses Artikels wurde trotz gültigem Presseausweis der Zugang verwehrt, so dass sie im Publikum Platz nehmen musste – wegen angeblich vollem Verhandlungssaal mussten Menschen draußen vor der Tür warten. Der Angeklagte beantragte mehrfach die Aufhebung der einem Terroristenprozess ähnelnden Sicherheitsvorkehrungen. Die vorsitzende Richterin lehnte dies jedoch ab.

Als später ein Polizeibeamter im Zeugenstand aussagte, die Polizei habe von Beginn an gewusst, es gehe von den DemonstrantInnen keine Gefährdung für die Polizeibeamten aus, griffen einige ZuschauerInnen den Widerspruch mit dem Verhalten vom Gericht auf. „Gefährlich sind für das Gericht nicht die Menschen, sondern ihre politische Botschaft. Darum die Kriminalisierung durch übermäßige Sicherheitsmaßnahmen“, fasste eine Frau zusammen.

Gestört, wurde die Verhandlung letztlich nicht durch das Publikum, sondern durch den Eifer anwesender WachtmeisterInnen: „Frau Richterin, er hat gelacht, er hat dies und jenes gemacht“, riefen sie immer wieder dazwischen. Sie forderten gar eigenmächtig Zuschauer auf, den Saal zu verlassen und gingen die Menschen körperlich an – obwohl sie hierfür keine Anweisung erhalten hatten.

Der Beweisaufnahme ging nicht nur der Streit um Sicherheitsvorkehrungen, sondern ebenfalls ein Schlagabtausch zwischen Richterin und Ange klagten über die Rechte der Verteidigung voraus. Die Verweigerung der Akteneinsicht und die Ablehnung von fünf WahlverteidigerInnen sorgte für Befangenheitsanträge gegen die Richterin. Die VerteidigerInnen wurden mit der Begründung abgelehnt, es könne nicht vorausgesetzt werden, dass sie die Pflichten eines Verteidigers beachten würden – man würde die Personen ja nicht kennen. Dass die Verteidigung und insbesondere ein Angeklagter nicht nur Pflichten sondern auch Rechte hat – wie das Recht, sich vom Verteidiger seiner Wahl verteidigen zu lassen –, ließ sie außer Acht. Richterin Precht entzog dem Angeklagten das Wort. Erst zum Ende eines jeweiligen Sitzungstages durfte er seine Anträge stellen. „Die Rechtsstaatsinszenierung begann zunächst mit einem Quodlibet, in dem Richterin und Angeklagter unverständlich, aber stur gegeneinander anredeten“, hieß es auf dem Blog der Aktionsgruppe.

Erst am zweiten Verhandlungstag, nachdem die Vernehmung etlicher ZeugInnen abgeschlossen war, wurde dem sechsten Antrag auf Genehmigung eines Wahlverteidigers stattgegeben. Der Betroffene kannte sich entgegen der zuvor beantragten Personen im Strafrecht zwar nicht aus, war aber von Beruf Ingenieur und trug an jenem Tag eine Krawatte. Ein Umstand, der die Richterin wohl dazu verleitete, die Voraussetzung zur Genehmigung eines Verteidigers als erfüllt anzusehen. Das Wertlegen auf das Erscheinungsbild passt gut zur Scheinjustiz.Die Genehmigung eines Verteidigers entzog der Atmosphäre einige Spannungen.

Die Beweisaufnahme verlief schleppend. Es entstand der Eindruck, die Richterin habe sich kaum auf den Prozess vorbereitet. Geladen waren zahlreiche Polizeibeamte, die zur Beweisaufnahme nichts beitragen konnten: Einer hatte mal eine E-Mail verschickt, ein anderer, von der Ermittlungsgruppe CASTOR, hatte sich mal ein Video angeschaut, mehr nicht. Geladen worden waren sie offenbar, weil ihre Namen in der Akte auftauchen – und „weil die Prozesskosten ja nun mal irgendwie in die Höhe getrieben werden müssen“, so die Vermutung einiger UnterstützerInnen. Interessanter wurde die Befragung zahlreicher Lokführer. Für den Lockführer des Castortransportes sei der Zug ein Zug wie jeder andere. Er stünde allerdings in Dauer-Funkverbindung mit der Polizei und einem

Polizeihubschrauber. Es sei bei diesem Zug immer mit Störungen zu rechnen. Kopfschütteln verursachte die Aussage eines Metrome-Lokführers. Er habe erst eine Schnellbremsung eingeschaltet, als er ein Banner auf dem Gleis wahrgenommen habe. Die einige Kilometer zuvor winkende Polizistin oder auch eine gezündete Rakete sei für ihn kein Signal gewesen, außerdem hätten sich Dortmund-Fans im Zug befunden. Er habe es eilig gehabt „sie wollten Randale machen“, erklärte er im Zeugenstand. Die winkende Polizistin hatte offenbar in Unkenntnis des internationalen Signals zum Stoppen von Zügen, einer kreisförmigen Bewegung mit roter Flagge oder einem Licht gewunken. Doch der Lokführer wusste nach eigenem Bekunden über den Castortransport Bescheid. Es sei allgemein bekannt, dass es am Transporttag zu Störungen kommen könne. In letzter Sekunde will der Lokführer letztlich angehalten haben. Eine Frau habe sich auf dem Gleis befunden. Später räumte er ein, dass er nur aus der Zeitung wisse, dass Personen sich an die Schiene gekettet haben. Gesehen hatte er sie also nicht.

Die vernommenen PolizeibeamtInnen legten ihrerseits ein selektives Erinnerungsvermögen zu Tag. An die böse Handlung des Angeklagten wollten sie sich genau erinnern. Ob es Transparente gegeben habe oder Presse anwesend gewesen sei, wollten sie vergessen haben. Bei dem Vorwurf der Nötigung und der Verwerflichkeitsprüfung sind juristisch gesehen die Umstände einer Handlung von großer Relevanz. In diesem Zusammenhang stellte der Angeklagte zahlreiche Beweisanträge, die die Gefahren der Atomkraft sowie die Verstrickungen der Atomkraft mit der Atomwaffenindustrie thematisierten. Am letzten Verhandlungstag gehörte ihm die inhaltliche Führung des Prozesses.

Im Theater endet eine Tragödie mit dem Tod der Schlüsselfiguren. In einem Szenario nach den Regeln des politischen Justiztheaters werden die Angeklagten „im Namen des Volkes“ verurteilt. Auch wenn niemand das besagte Volk befragt hat und allein der „Volks“-Begriff in sich problematisch ist. Insbesondere hinsichtlich des Vorwurfs der Nötigung, wie der Angeklagte es in der Verhandlung thematisierte. Der Paragraf wurde 1943 von den Nazis zu einem Willkürparagraphen ausgestaltet. Ab diesem Zeitpunkt war schon die „Drohung mit einem empfindlichen Übel“ unter Strafe gestellt, wenn sie „dem gesunden Volksempfinden“ zuwider lief. Lediglich eine wortkosmetische Änderung wurde seitdem vorgenommen und ersetzte die völkische Klausel durch das Konstrukt der „Verwerflichkeit“ – ebenso wie das „Volksempfinden“, selbstverständlich durch das Gericht selbst definiert.

Große Mühe, sich mit der Tatbestandsvorsetzungen des Nötigungsparagrafen oder der Störung öffentlicher Betriebe auseinander zu setzen, gab sich die Richterin nicht. Trotz der Tatsache, dass nicht die AktivistInnen, sondern die Polizei den Castorzug stoppten. Außerdem hatte ein hochrangiger Polizist bekundet, es gebe für den Fall einer größeren Blockade im voraus festgelegte Abweichrouten. Man rechne ja mit Protesten. Die Richterin folgte mit ihrem Urteil dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft und zur Begründung der Höhe der Strafe seinem Konstrukt des „Geständnisses“. Wenn einem Angeklagten ein Strafbefehl zukommt, wird davon ausgegangen, dass er geständig wäre, wenn sein Fall vor Gericht verhandelt werden würde. Dies gilt als Bonus, Strafbefehle würden deshalb meist geringer ausfallen als ein Urteil mit Hauptverhandlung. Diesem Konstrukt folgend, ford
erte die Staatsanwaltschaft 90 Tagessätze für den Angeklagten. Die Richterin verurteilte ihn daraufhin zu 60 Tagessätzen. Das letzte Wort wurde noch nicht gesprochen. Die Verteidigung hat Berufung eingelegt.

Eichhörnchen

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