In ihrer Pressekonferenz unmittelbar nach der Ankunft eines Castortransportansportes im Zwischenlager Gorleben, schildert die Polizei immer wieder mit großem Elan wie heldenhaft die Beamten gegen gewaltbereiten dunkel gekleideten DemonstrantInnen vorgegangen sind. Belegt wird diese Darstellung mit einer beeindruckenden Anzahl an verletzen PolizistInnen. Solch ein Opfer wurde heute vor dem Dannenberger Amtsgericht als Zeuge vernommen. Die Schilderung der Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift ließ eine hohe kriminelle Energie beim angeklagten Castorgegner vermuten. Mutwillig hätte er den Polizisten Scheibe, Beamter einer Beweis- und Festnahmeeinheit aus Leipzig, eine steile Böschung an den Gleisen hinunter geschubst. Billig hätte er eine Verletzung des Beamten in Kauf genommen. Die Krönung noch zum Schluss: der Angeklagte soll anschließend in den Wald geflüchtet sein und sich seiner Festnahme widersetzt haben. Damit alles ins Klischee passt und die Anklage durch geht, noch die Betonung: der Angeklagte war dunkel gekleidet.
Diese Klischeehafte Anklage hielt keine fünf Stunden Verhandlung stand.
Manch eine-r dürfte sich sogar gefragt haben, ob der angebliche Täter doch nicht Opfer von Gewalt gewesen sein könnte. Ärztlich bestätigt wurden damals nur die Verletzungen des Angeklagten. Sanitäter hätten sogar auf die Polizei einwirken müssen, damit sie zu schlagen aufhört, so die Verteidigung in einem Beweisantrag zu Beginn der Verhandlung. Zur Klärung dieser und anderer Fragen kam es aber an diesem Donnerstag nicht. Das Verfahren wurde schließlich auf Staatskosten eingestellt. Zum Fall der Bilderbuch-Anklage trug das „in sich Geschäft“ der Polizeibeamten erheblich bei, wie Verteidiger Lemke die schlampigen Ermittlungen der Behörde nannte.
„Kumpanei“, „Corpgeist“ „Eigenbetrieb“ „in sich Geschäft“ der Polizei. Diese Worte fielen noch vor Vernehmung des ersten Polizeizeugen. Rechtsanwalt Lemke kritisierte die von der Polizei geführten Ermittlungen gegen seinen Mandanten und beantragte ein Beweisverwertungsverbot für die sich in der Akte befindlichen schriftlichen Polizeizeugenvernehmungen. Die Zeugen wurden nicht von einer neutralen externen Abteilung vernommen, sondern durch einen Kollegen aus der selben Einheit. Die Aussagen der verschiedenen Zeugen seien zudem wortgleich, was kein Zufall sein könne. Nicht ein mal ihre vollständigen Personalien, hätten die Zeugen angegeben. „PK“ sei entgegen der Angaben im Vernehmungsprotokoll kein Vorname. All das sei Grund genug, die Glaubwürdigkeit der Aussagen und Zuverlässigkeit der Zeugen anzuzweifeln.
Richter Graf Grote interessierte aber nur, ob es höhere Rechtsprechung mit Verweis auf einem Verwertungsverbot gäbe, es sei ja nur ein Fehler. „Das ist kein Fehler, das hat System“ erwiderte RA Lemke. Davon zeugte die Reaktion von Oberstaatsanwalt Vogel, der die Sache ohne weiteren Nachermittlungen oder Nachprüfungen zur Anklage gebracht hatte. Er sah den „Fehler“zwar als problematisch an, er führe aber nicht zu einer Unverwertbarkeit der Aussage.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt drang sich in den Zuschauerreihen die Frage auf: Wie kann der Richter den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlass eines Strafbefehls mit seiner Unterschrift durch gewunken haben? Dies darf nur dann geschehen, wenn dem „keine Bedenken“ entgegen stehen, wenn nach Aktenlage die Schuld des Beschuldigten bewiesen ist (§408 StPO). Richter und Staatsanwaltschaft sind offensichtlich in diesem Fehler, der System hat, ver- be- und gefangen.
Die Zeugenvernehmungen warfen anschließend mehr Fragen auf, als sie Beweise für die Schuld des Angeklagten lieferten. Die Zeugen hatten kurz vor ihrer Vernehmung ihre schriftliche Aussage gelesen und konnten dessen Inhalt präzise wieder geben. Als sie zu Einzelheiten befragt wurden, mochten sie sich nur noch an belastenden Tatsachen konkret erinnern. Dafür wollte sich der geschädigte Zeuge Scheibe nicht an seine Gespräche mit den Kollegen auf der Hinfahrt zum Gericht erinnern, er habe außerdem im Fahrzeug hinten gesessen , es sei sehr laut gewesen, er habe nichts hören können. Ein Blick auf das nagelneue Mercedes Fahrzeug in der Pause, ließ jegliche Glaubwürdigkeit des Zeugen vergehen. Sein Kollege, der Zugführer Golze, gab schlüssigere Antworten. Doch sein Erinnerungsvermögen erwies sich ebenfalls als sehr selektiv. Arrogant kam seine Aussage rüber. Als Zugführer ist er der zuverlässige der alles mitkriegt und im Griff hat, so das Bild, das er von sich geben wollte. Seine Aussage blieb aber widersprüchlich. Er hatte den Zugriff auf den Angeklagten angeordnet. Der Hacken: Möglicherweise wurde die falsche Person erwischt. Denn dunkle Oberkleidung tragen viele Menschen in der Novemberkälte.
Schlampige Ermittlungen im „in sich Geschäft“ und Zeugen ohne Erinnerungsvermögen, die auf miteinander abgesprochenen schriftlichen Aussagen zurück greifen: damit konnte eine Einstellung des Verfahrens auf Staatskosten ausgehandelt werden.
Doch, die Praxis der Polizei hat System, Polizeibeamte werden vor Gericht in der Regel bevorzugt und als glaubwürdiger als andere Zeugen eingestuft. Verurteilungen sind die Folge. Dagegen werden PolizistInnen äußerst selten für ihre Gewalttaten belangt. Die Statistik spricht für sich. Dies Vorausgesetzt ist eine Einstellung die pragmatischeste Beendigung eines Verfahrens, dessen Aussgang « das System » stark beeinflusst.
Eichhörnchen, Prozessbeobachterin in Dannenberg am 27. September 2012.