Justizabsurdum "Erzwingungshaft"

Karsten sitzt seit Montag und voraussichtlich bis kommenden Montag in der JVA Lüneburg wegen nicht bezahltem Bußgeld in Erzwingungshaft ein, er wurde nach Schluss der Verhandlung im sogenannten Keksprozess von EPHK Vietgen (der im Prozess als Zeuge auftritt) verhaftet. Die Nachricht hat die Runde gemacht und viele Fragen aufgeworfen. Meine eigene Verhaftung die zuvor während der Gerichtsverhandlung gegen Karsten erfolgte, wurde im gleichen Zug in Medienberichten erwähnt. Es hieß ebenfalls Erzwingungshaft – die Rechtsgrundlage war aber eine andere als bei Karsten.

Ich versuche hier die Hintergründe beider Verhaftungen für nicht rechtskundigen verständlich zu machen. Das klingt nach Realsatire. Justizabsurdum pur!

Karsten sitzt seit Montag und voraussichtlich bis kommenden Montag in der JVA Lüneburg wegen nicht bezahltem Bußgeld in Erzwingungshaft ein, er wurde nach Schluss der Verhandlung im sogenannten Keksprozess von EPHK Vietgen (der im Prozess als Zeuge auftritt) verhaftet. Die Nachricht hat die Runde gemacht und viele Fragen aufgeworfen. Meine eigene Verhaftung die zuvor während der Gerichtsverhandlung gegen Karsten erfolgte, wurde im gleichen Zug in Medienberichten erwähnt. Es hieß ebenfalls Erzwingungshaft – die Rechtsgrundlage war aber eine andere als bei Karsten.

Ich versuche hier die Hintergründe beider Verhaftungen für nicht rechtskundigen verständlich zu machen. Das klingt nach Realsatire. Justizabsurdum pur!

Erzwingungshaft wegen nicht bezahltem Bußgeld.

Karsten wurde auf Grund eines Haftbefehls zur Vollstreckung der Erzwingungshaft nach der Verhandlung vor dem Landgericht festgenommen. Seine Verhaftung hat allerdings mit der besagten Verhandlung rechtlich nichts zu tun. Politisch aber schon.

Vor dem Landgericht steht Karsten, weil er abgelaufene Kekse aus einer Mülltone einer Großkonditorei entwendet hat. Karsten « containert » aus politischer Überzeugung, aus Protest gegen die Wegwerfgesellschaft. Aber auch auf Grund seiner « prekären finanziellen Verhältnisse », wie er sagt.

Im Gefängnis sitzt Karsten ebenfalls aus Grund seiner « prekären finanziellen Verhältnisse ». Im Fachjargon heißt es Erzwingungshaft. Faktisch geht es um Klassenjustiz. Mit der Haft soll von Karsten Geld erzwungen werden, das es nicht hat! Und durch die Erzwingungshaft wird die Forderung nicht getilgt.

Das Szenario dieses Justiztheaters basiert auf das §96 des Ordnungswidrigkeitsgesetzes. Im konkreten Fall geht es um ein nicht bezahltes Bußgeld wegen Verkehrsordnungswidrigkeit (Karsten hat früher als LKW-Fahrer gearbeitet) aus dem Jahr 2008 in Höhe von 290 Euro.

Obwohl Karsten seine Verhältnisse längst offen gelegt und seine Zahlungsunfähigkeit dargelegt hat, soll die Bezahlung des Bußgeldes erzwungen werden.

Dem Gesetz nach darf Erzwingungshaft eigentlich nur dann vollzogen werden, wenn der Betroffene zahlungsfähig ist. Im Weltbild von Richtern, die selbst zu den wohlhabenden Menschen gehören, ist ein Mensch, der sich u.a. aus Geldnot von weggeworfenen Lebensmittel ernährt, zahlungsfähig !

Unglaublich? Nein, absolut nicht. Das sagt sogar die Kommentarlitteratur. Ja ja selbst wer in einem Bauwagen lebt und sein Essen aus dem Müll holt ist « zahlungsfähig ». Weil er ja Arbeit suchen könnte und sein nicht pfändbares Hab und Gut auf dem Flohmarkt verkaufen könnte, um das Bußgeld zu zahlen!

Aus dem Göhler Gesetzkommentar zur Ordnungswidrigkeitsgesetz:  » […]Deshalb sind zur Feststellung der Zahlungsfähigkeit die gesamten Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Betroffenen sowie seine Arbeitsfähigkeit zu berücksichtigen, namentlich ob es ihm zuzumuten ist, durch die Aufnahme von Arbeit oder eines Kredits oder auf andere Weise (zB Verkauf von Gegenständen, Einschränkung seiner Lebenshaltung) Mittel zur Bezahlung der Geldbuße zu beschaffen.[…]

Lieber eine Straftat als eine Ordnungswidrigkeit…

Wer eine Straftat begeht, hat im Falle einer Verurteilung zu Tagessätzen die Möglichkeit, seine Strafe abzuarbeiten (gemeinnützige Arbeit), statt diese ab zu sitzen. Wer wegen Ordnungswidrigkeit verurteilt wird und das Bußgeld nicht zahlen kann, darf die Strafe nicht abarbeiten und wandert ins Gefängnis! Aber der Gesetzgeber sagt, das ist keine « Strafe » im Sinne des Strafgesetzes, das ist nur « ein Beugemittel ».

Alles geht gut…

Wieder einmal eine zwangswillige Abgabe der Eidesstattliche Versicherung

Wer Bußgelder nicht zahlen kann oder will… geht ins Gefängnis. Selbst für ein 5-Euro Bußgeld! Der Richterin, die deswegen 2008 einen Tag Erzwingungshaft gegen mich verhängte, schrieb ich folgendes « Nicht bezahlen, nicht freiwillig kommen, das ist mein Weg, meine Handlung politisch zu verteidigen, dazu zu stehen. Flüchten werde ich nicht, weil ich – zwar ohne zu Kooperieren – die Folgen meiner Handlungen in Kauf nehme – auch wenn es Gefängnis sein muss. Dies lasse ich aber nicht ohne Widerstand, ohne Worte auf mich ergehen. Denn ich bin ein freier Mensch und es ist meine Verantwortung NEIN zu sagen. Ich empfehle Ihnen diesbezüglich die Werke vom französischen Philosoph Jean-Paul Sartre. »

Der Staat antwortete auf die Provokation und zeigte seine Zähne, ich wurde verhaftet und zur JVA Lüneburg gebracht. Das war eine Steilvorlage um die Absurdität des Systems Justiz und Gefängnis aufzuzeigen.

Es folgte eine interessante Anfrage im Landtag, die ich auszugsweise zitiere:

Erzwingungshaft wird in den Justizvollzugsanstalten vollzogen. Der aktuelle rechnerische Haftkostensatz
beträgt pro Tag bei kameralistischer Berechnungsweise 91,92 € und nach den Grundsätzen der Kosten-und Leistungsrechnung 117,86 €.

Die bei den Staatsanwaltschaften und Gerichten im Zusammenhang mit der Anordnung und Vollstreckung von Erzwingungshaft entstehenden Personal- und Sachkosten werden in Niedersachsen nicht landesweit erfasst. Nach den Ergebnissen der im Oberlandesgerichtsbezirk Oldenburg modellhaft praktizierten Kosten- und Leistungsrechnung sind im Jahr 2007 bei den Amtsgerichten für das gesamte Erzwingungshaftverfahren unabhängig von der Haftdauer durchschnittliche Personal- und Sachkosten in Höhe von 39,78 € pro Fall entstanden. Bei den Staatsanwaltschaften hat die Vollstreckung von Erzwingungshaftsachen durchschnittliche Kosten in Höhe von 55,31 € je Verfahren verursacht.

Der Staat gab also über 200 Euro aus, mit dem ziel, die Zahlung von 5 Euro zu erzwingen… und diese 5 Euro wurden nicht gezahlt, weil das Eichhörnchen unbelehrbar ist.

Das ist Justizias Vorstellung von Verhältnismäßigkeit. Ich lasse die Leserinnen zusammen rechnen, wie viel Karstens Gefängnisaufenthalt dem Staat gerade kostet.

Erzwingungshaft gibt es aber nicht « nur » für nicht gezahlte Bußgelder. Sondern auch nach der § 903 der Zivilprozessordnung, wenn eine Person sich weigert, die eidesstattliche Versicherung abzugeben. Es geht hier also nicht um Bußgelder, sondern um zivilrechtliche Forderungen. In meinem Fall geht es um nicht bezahlten Gerichtskosten. Dafür kommt ein Schuldner nicht ins Gefängnis, aber der Gläubiger darf die Abgabe der Eidesstattliche Versicherung also die Offenlegung der Vermögensverhältnisse des Schuldners verlangen. Erzwingungshaft soll den Schuldner dazu zwingen die Versicherung freiwillig abzugeben. Zwangswillig nenne ich das.

Mit einem Staat, der für die Zerstörung unserer Lebensgrundlage aller verantwortlich ist, kooperiere ich ungern. Also erschien ich im Juni zum Termin zur erneuten Abgabe der eidesstattlichen Versicherung (Als ob ich seit der letzten Abgabe 2008 plötzlich reich geworden wäre…) ins Büro des Gerichtsvollziehers nicht. Wenn der Staat solchen Unsinn von mir haben will, soll er ihn sich selber holen. Es wurde erwartungsgemäß ein Haftbefehl erlassen, der nur in Anwesenheit des Gerichtsvollziehers vollzogen werden darf. Dieser nahm meine Anwesenheit bei Karstens Gerichtsverhandlung gestern zum Anlass, um mich – 6 Monate nach Erlass des Haftbefehls – festnehmen zu lassen. Und weil Papastaat es mit der Verhältnismäßigkeit so gerne hat, stürmten 5 Beamten auf mich… erst nachdem ich zu Boden gefallen war und weil ich es anregte, kamen sie auf die Idee mich zu fragen, ob ich einwillige, die Eidesstattliche Versicherung abzugeben. Irgendwie können es die Herrschaften nicht anders. Der Spaß mit dem Fragebogen dauerte dann ca. 20 Minuten an. Ich wurde anschließend aus der « Haft » entlassen. Meine schönen Antiatomplakaten durfte ich nicht
einmal als « Wertgegenstand » eintragen. Und natürlich habe ich erwähnt, dass ich gerne containern gehe…

Und wie viel hat das Theater wieder gekostet? Justizabsurdum, ja wirklich!

Weitere Eichhörnchen-Informationen zu diesem Thema

Eichhörnchen


Die Adresse von Karsten bis zum 16.1.2012 lautet wie folgt:
Karsten Hilsen
Justizvollzugsanstalt Uelzen Abteilung Lüneburg
Am Markt 7c
21335 Lüneburg