Ich aktualisiere diesen Text aus 2017 aus aktuellem Anlaß. Ich habe eine Verfassungsbeschwerde wo es um eine Klage um Schmerzensgeld geht, gewonnen (siehe update unten)
Wenn es bei politischen Aktionen zu Auseinandersetzungen mit den Ordnungsbehörden kommt, gelten die Aktivist*innen häufig als die „schuldigen“ und „Verursacher“. Wer eins aufs Maul bekommen hat oder verhaftet worden ist, muss doch irgendwie Schuld daran sein. Und die Behörden – bei demonstrativem Geschehen in der Regel die Polizei – zeigen sich oft sehr erfinderisch, wenn es darum geht, ihre Maßnahmen zu rechtfertigen. Sie zeigen Demonstrant*innen wegen angeblichen Straftaten an, fantasieren unmittelbar bevorstehende Gefahren herbei. Uniformierte haben den Vorteil, dass sie vor Gericht prophylaktisch als glaubwürdig gelten. Meine Erfahrung ist, dass die Behörden, insbesondere die Polizei, die eigenen Gesetze regelmäßig mit Füssen treten. Es ist aber schwierig, gegen dieses System juristisch anzukämpfen. Viele Menschen versuchen es erst gar nicht. Viel bringt eine Klage nämlich nicht. Mensch erhält ein Beschluss, worauf steht, das die Maßnahmen der Polizei rechtswidrig waren. Na toll. Ich habe eine ganze Sammlung solcher Beschlüsse zu Hause! (Auflistung). Ein Gerichtsbeschluss macht eine Freiheitsberaubung, eine Verletzung oder Schmerzen nicht wieder gut! Strafrechtlich werden die Täter*innen zudem kaum belangt, selbst wenn der Fall klar ist: die Staatsanwaltschaft findet Wege, den Vorsatz zu verneinen und einzustellen. „Erlaubnistatbestandsirrtum“ heißt es dann. Das habe ich in Gießen erlebt ( zu dem Bericht). Selbst meine zwei 2018 vor dem Bundesverfassungsgericht gewonnen Klagen (zum Bericht) bringen mir nichts mehr als ein Zettel Papier worauf „Urteil“ steht. Das Verfahren hat zudem so lange gedauert, dass ich keine Chance mehr habe, zivilrechtliche Ansprüche geltend zu machen.
A propos Zivilrechtliche Ansprüche: genau darüber wollte ich heute schreiben und Tipps geben. Im Hinblick auf zivilrechtlichen Ansprüchen können Klagen gegen Maßnahmen der Polizei (oder anderer Behörden) doch noch was bringen: Schmerzensgeld
Im Folgenden erläutere ich wie ich mich da regelmäßig durchsetze, vielleicht ist es anderen Betroffenen nützlich!
Aktivist*innen, die 2016 in Essen bei einer Protestaktion gegen RWE willkürlich in Gewahrsam genommen worden sind, hat es gerade genutzt. Sie erhalten zwischen 650 Euro und 850 Euro Schmerzensgeld für einen mehrstündigen (es waren über 5 Stunden, unterschiedliche Höhe auf Grund der Umstände) rechtswidrigen präventiven Gewahrsam nach dem Polizeigesetz. Meine Ratschläge und das eigene gewonnene Verfahren vom letzten Dezember vor dem Landgericht Essen haben da sehr geholfen (Aktenzeichen 4 O 113/16, Landgericht Essen). Weil die Polizei nun weiß, dass sie solche Klagen vor dem Landgericht verliert, ist sie in vergleichbaren Fällen zu einer gütlichen Einigung bereit. Das bittere daran: zahlen tun die verantwortlichen Polizeibeamten nicht, sondern das Land. Also der Steuerzahler.
Gute Chancen auf Schmerzensgeld haben Menschen, deren Ingewahrsamnahme rechtswidrig war. Schmerzensgeldklagen sind Amtsanhaftungsklagen, spricht sie werden in erster Instanz vor dem Landgericht verhandelt und es gibt Anwaltszwang.
Das Prozesskostenrisiko ist insofern sehr hoch, zu hoch für die meisten Betroffenen. Aus diesem Grund klage ich erst auf Schmerzensgeld, wenn ich mich vor dem Amts- (und Landgericht) oder Verwaltungsgericht (je nach Bundesland und Zuständigkeitsregelung) bei meiner Klage / meinem Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der polizeilichen Maßnahmen durchgesetzt habe. Diese Klagen können nämlich ohne Anwalt geführt werden (auf Nachfrage kann ich auch Musterklagen zukommen lassen).
Und sie sind eine gute Voraussetzung für eine gütliche Einigung über Schmerzensgeld oder eben für eine Amtsanhaftungsklage. Das Landgericht baut auf das Urteil, das die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung feststellt, auf und entscheidet nur noch über die Höhe des Schmerzensgeldes. Das Bundesverfassungsgericht und das EGMR haben mehrfach geurteilt, dass eine rechtswidrige Freiheitsentziehung ein Anspruch auf Schmerzensgeld begründet (u.a. Beschluss vom 11.11.2009 Az. 1 BvR 2853/08).
Der Versuch einer gütlichen Einigung ohne das Gericht einzuschalten ist zunächst ratsam, wenn keine Verjährung droht. Verjährung tritt am 31.12 drei Jahre nach einem Vorfall ein. (Beispiel: Gewahrsam im Jahr 2017 -> Verjährung am 31.12.2020)
Ich nutze zu diesem Zweck ein selbst formuliertes Muster, das der jeweiligen Situation angepasst wird. Ich stelle es hier zur Verfügung (es ist ein .odt Dokument, damit Du es anpassen kannst).
Wenn die Polizei nicht darauf reagiert oder Verjährung droht, muss Klage beim Landgericht eingereicht werden. Mittellose Personen sollten zugleich Prozesskostenhilfe beantragen, weil eine Amtsanhaftungsklage nur mit Anwalt durchgeführt werden darf. Das Prozesskostenhilfeverfahren kann ohne Anwalt geführt werden, das Gericht prüft die wirtschaftlichen Verhältnisse und die Erfolgsaussichten.
Um dem Gericht eine Prüfung der Erfolgsaussichten zu ermöglichen, reicht eine Schilderung des bisherigen Verfahrensablaufs und eine Begründung wie bei dem Muster für den Versuch einer gütlichen Einigung.
Ich habe mich in der Vergangenheit häufig so durchgesetzt. Das Gericht hat Prozesskostenhilfe bewilligt und der Polizei zur Vermeidung weiterer Kosten geraten, auf meine Schmerzensgeldforderung einzugehen.
Meine Schilderungen betreffen Schmerzensgeldforderungen im Zusammenhang mit rechtswidrigen Freiheitsentziehungsmaßnahmen. Die Rechtslage ist klar. Betroffenen haben Anspruch auf Schmerzensgeld.
Unklar ist es, wenn es um andere rechtswidrigen polizeilichen Maßnahmen geht. Ich vertrete die Auffassung, dass es hierfür auch einen Anspruch geben muss, weil Urteile, die die Rechtswidrigkeit einer Maßnahme keine ausreichende Genugtuungsfunktion haben.
An dieser Stelle möchte ich betonen: Schmerzensgeld macht das Geschehen nicht wieder gut. Das System, das Menschenverachtung und Umweltzerstörung möglich macht, bekämpfe ich nach wie vor. Die Sache mit dem Schmerzensgeld ist lediglich ein kleineres Übel im System. Damit finanziert die Polizei aber immerhin – unfreiwillig – die nächsten Aktionen.
UPDATE 2019: Was tun wenn das Gericht die Prozesskostenhilfe ablehnt?
Ich habe gerade eine Verfassungsbeschwerde in der Sache gewonnen. Der Beschluss des Landgerichtes mit dem mir die Prozesskostenhilfe (PKH) verweigert wurde, hat das Bundesverfassungsgericht aufgehoben. Az. 1 BvR 2666/18
Das Landgericht Lüneburg hatte die PKH abgelehnt, mit der Begründung die Klage habe keine Aussicht auf Erfolg. Ich habe bereits 100 Euro Schmerzensgeld für 2 Stunden Gewahrsam nach einer Kletteraktion gegen einen Urantransport 2016 erhalten, das reicht aus, so das Landgericht. Ohne PKH kann ich das Verfahren nicht weiter führen, weil ich kein Geld für einen Anwalt habe. Also keine Chance auf Beweisaufnahme, auf eine fakten-basierte Entscheidung. Das Bundesverfassungsgericht sieht darin eine Verletzung des Anspruchs auf Rechtsschutzgleichheit(Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes)
Das Landgericht hat die Erfolgaussicht nach Aktenlage geprüft, es hat keinen Beweis erhoben. Im PKH verfahren darf es dies auch nicht tun, dass ist Sache des Hauptverfahrens. Aber es darf um die aussicht auf Erfolg zu prüfen auch nicht duchentscheiden » und eine Entscheidung treffen, die zum Hauptverfahren gehört. Das war jetzt der Fehler vom Landgericht. Die Höhe eines Schmerzensgeldes richtet sich nach den Umständen. Das Landgericht hat pauschal entschieden, das was ich vorgetragen habe reicht für ein höheres Schmerzensgeld nicht aus. Das Bundesverfassungsgericht hat geurteilt, dass das gericht es sich nicht so einfach machen darf, das kann im PKH Verfahren wo keine Beweisaufnahme stattfindet gar nicht beurteilt werden. jedenfalls geht das Bundesverfassungsgericht, dass es durchaus sein kann, dass mit ein höheres Schmerzensgeld wegen der Umständen der Gewahrsamnahme zu denen eine beweisaufnahme nötig wäre, zusteht.
Das Bundesverfassungsgericht bezeichnet meine Forderung als vertretbar. Aus dem Beschluss:
bb) Hier hat das Landgericht die Frage nach der im Ermessen stehenden Höhe des Schmerzensgeldes bereits im Prozesskostenhilfeverfahren „durchentschieden“. Es hat in der Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache ausgeführt, dass die Kammer die Höhe der bislang gezahlten Entschädigung in Höhe von 100,00 Euro nach Würdigung der vorgetragenen Umstände für angemessen und ausreichend halte. Die Kammer setzt sich insoweit mit Umständen auseinander, die für die Entscheidung über die Höhe des Schmerzensgeldes von Bedeutung sind; erkennbar ist jedoch nicht, dass angesichts unbestrittener erschwerender Umstände völlig außerhalb eines denkbaren Rahmens sei, ein höheres Schmerzensgeld als 100,00 Euro zu verlangen. Damit hat das Landgericht die Frage nach der Höhe des angemessenen Schmerzensgeldes in das Nebenverfahren vorverlagert und der Beschwerdeführerin die Chance genommen, ihre Auffassung in der mündlichen Verhandlung und in einer zweiten Instanz weiter und nun anwaltlich unterstützt zu vertreten.
Das zeigt: es lohnt sich weiter zu kämpfen, selbst wenn das Gericht die PKH ablehnt. Gerichte machen e
s sich gerne einfach, würgen alles ab und hoffen Menschen wehrt sich nicht weiter, die Akte ist vom Tisch, das ist bequem.
Vorliegend bin ich wie folgt vorgegangen
- Klage zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme -> vor dem Amtsagericht und Oberlanbdesgericht gewonnen (Polizei hatte nach der AG Entscheidung Beschwerde – erfolglos – eingelegt)
- Schreiben an die Polizei mit Schmerzensgeldforderung
- Polizei hat nur 100 Euro schmerzensgeld zugestimmt, ich habe mehr gefordert
- Klage vor dem Landgericht (wie im Muster, angepasst zur situation) und Antrag auf Gewährung von PKH. ich klage auf mehr als 600 Euro, um bei einer Ablehnung des Schmerzensgeldes in Berufung gehen zu können (bei einem geringeren Streitwert gibt es keine Berufung)
- Landgericht hat PKH abgelehnt
- Ich habe Beschwerde beim Landgericht eingereicht
- Das landgericht hat nicht abgeholfen und an das OLG weiter gereicht.
- Das OLG hat der Beschwerde nicht statt gegeben+
- Ich habe eine Gehörsrüge eingereicht, wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs
- Die Gehörsrüge wurde zurück gewiesen
- Zeitgleich zu Gehörsrüge hatte ich innerhalb eines Monates nach der OLG Entscheidung Verfassungsbeschwerde eingereicht: darin schildert man den Sachverhalt, den Gang durch die Inastanzen und welche Grundrechtsverletzungen man dort geltend gemacht hat udn weshalb man der Meinung ist, dass die Grundrechte weiter verletzt sind. Die verletzten Grundrechte sind zu benennen. Es muss auch erläutert werden, weshalb das Bundesverfassungsgericht Adressat der Klage ist (belegen dass man alle Instanzen durch hat, alle Rechtsbehelfe genutzt hat und die Frist für die Beschwerde einhält). Klage und Entscheidungen der Vorinstanzen werden als Anlage beigefügt.
- Das Bundesverfassungsgericht teilt dann ein Aktenzeichen mit. Weil das Gericht beabsichtigte die Beschwerde zur Entscheidung anzunehmen, bekam ich weitere Post. Das beklagte Land wurde zur Stellungnahme aufgefordert. Vorliegend hat es keine abgegeben (in einer früheren Beschwerde die ich gewann, hatte die Bundesregierung eine abgegeben, ich durfte dann erwidern)
- Ich habe die Zahl nicht im kopfe nicht, aber über 90% der Verfassungsbeschwerden werden gar nicht zur Entscheidung angenommen. oft wegen formfehlern, weil der Rechtsweg nicht ausgeschöpft ist oder das gericht keine Grundrechtsverletzungen sieht. Vorliegend wurde die Beschwerde zur Entscheidung angenommen und positiv für mich beschieden. immerhin. Ist gar nicht einfach als Laie ohne Anwalt so weit zu kommen!
- Das Bundesverfassungsgericht hat die Entscheidung vom Landgericht aufgehoben. Das Landgericht muss nun über die PKH neu entscheiden, mit den Vorgaben vom bundesverfassungsgericht. Also muss es nun die PKH gewähren, dann mir einen Anwalt beiordnen, Beweis erheben und über die Höhe des Schmerzensgeld entscheiden…