Vom Baum in den Bau – Mein K(n)astor-Transport in der JVA Preungesheim – Teil6

Castor Knast- und Aktionsbericht Teil VI – Vorauseilender Gehorsam – niX für mich – Eichhörnchen bringt im Knast einiges durcheinander  

Als ich am Nachmittag um 16 Uhr beim Hofgang zum ersten Mal richtig Luft schnappen durfte, habe ich noch tiefer gespürt, dass nicht nur die Bediensteten, sondern auch viele Gefangenen mit ihren Gedanken – und nicht nur körperlich – eingesperrt sind. Sie haben das System aufgenommen und kommen nicht auf die Idee, es in Frage zu stellen. Und es kommt noch schlimmer, sie verstärken es sogar, indem sie sich selbst einschränken und ungeschriebene Regeln folgen. Die Gefangenen laufen immer im Kreis und gegen die Uhrzeiger, obwohl sie keiner dazu verpflichtet. Eine Frau lädt mich dazu ein, mitzulaufen, sie hat ein starkes Kommunikationsbedürfnis und irgendwie interessiert es mich zu wissen, wie die Menschen hier ticken…

Castor Knast- und Aktionsbericht Teil VI – Vorauseilender Gehorsam – niX für mich – Eichhörnchen bringt im Knast einiges durcheinander  

Als ich am Nachmittag um 16 Uhr beim Hofgang zum ersten Mal richtig Luft schnappen durfte, habe ich noch tiefer gespürt, dass nicht nur die Bediensteten, sondern auch viele Gefangenen mit ihren Gedanken – und nicht nur körperlich – eingesperrt sind. Sie haben das System aufgenommen und kommen nicht auf die Idee, es in Frage zu stellen. Und es kommt noch schlimmer, sie verstärken es sogar, indem sie sich selbst einschränken und ungeschriebene Regeln folgen. Die Gefangenen laufen immer im Kreis und gegen die Uhrzeiger, obwohl sie keiner dazu verpflichtet. Eine Frau lädt mich dazu ein, mitzulaufen, sie hat ein starkes Kommunikationsbedürfnis und irgendwie interessiert es mich zu wissen, wie die Menschen hier ticken…



Das Gespräch dreht sich um das Kind, das sie in ihrer Haftzeit zu Welt gebracht hat und nun in einer Pflegefamilie lebt. Die Frau hat mit 25 Jahre bereits 3 Kinder. Es ist nicht zu übersehen, viele Frauen sind schwanger – eine Frau erklärt mir, sie wollte vor ihrem Haftantritt unbedingt schwanger werden, weil sie so nicht arbeiten muss und gedanklich beschäftigt ist. Irgendwie fühle ich mich hier fremd… Irgendwann kommen meine rheumakranken Füße sowieso nicht mehr mit. Ich setze mich auf eine Bank und unterhalte mich kurz auf englisch mit einer Kanadierin aus Toronto. Es ist mir aber kalt.

Meine eigene Kleidung darf ich hier nicht tragen, ich habe Anstaltskleidung bekommen. Aber neue Zugänge bekommen derzeit keinen Parka. Es gibt nicht genug Winterjacken für alle Gefangenen. Also müssen die Neuen frieren… daran sieht man im Hof, wer hier neu ist! Ich habe alle Oberteile angezogen, die ich im Wäschesack gefunden habe. Warm ist es mir an diesem dunklen, grauen und nebligen Nachmittag nicht. Und weil das Eichhörnchen sich nicht einfach so einsperren lässt … ich kann und will nicht der Verlockung widerstehen, ein paar Turnübungen an den unteren Ästen eines Baumes zu machen. Und schwupps hänge ich kopfüber – und es ist mir warm. Es dauert eine Weile, bis die Aufpasser in Uniform es überhaupt bemerken. Der Gang der Gefangenen im Kreis wirkt auf sie wie ein Schlafmittel. Plötzlich höre ich Geschrei und unverständliche Parolen aus der Ferne.

Es ist aber keine Zeit für eine weitere Zuspitzung der Situation übrig – die Stunde Hofgang ist gerade um, wir werden in « unseren » Flügel zurückgeführt. « Mäh, mäh » schreie ich dabei. Ich werde etwas schief angeguckt. Überidentifikation als Mittel der Kritik am System … das ist wohl eine Sprache, die die Menschen hier nicht verstehen – oder sie kommen schlicht nicht auf die Idee, ein System zu kritisieren, was für sie zur Normalität geworden ist. Keine Ahnung, was auf Dauer hier aus mir werden würde … Die Wachtmeister scheinen froh darüber zu sein, dass ich morgen schon wieder verschwinde. Jedes Gespräch mit mir überfordert sie, weil ich sie bei jeder Kleinigkeit mit juristischen Einwänden zutexte – die Hausordnung habe ich sehr genau gelesen. Von Baumkletterverbot ist nicht die Rede. Aber darüber wollen sie sich nicht mal mit mir unterhalten,die anderen Gefangenen gehen ihnen vor!

« Du bist doch verrückt, das ist doch verboten » wiederholt immer wieder eine slowakische Gefangene im Bezug auf die Baumkletterei, als wir den B-Flügel erreichen. Mein Eindruck ist, dass sie hier eine dominierende Rolle spielt und unter Gefangenen meist das Sagen hat. Denn bald folgen ihr weitere Gefangenen. Ich erkläre sachlich, dass ich in der Hausordnung keinen Baumkletterverbot gesehen habe und dass ich mir Spaß nicht durch vorauseilenden Gehorsam verbieten lassen will. « Das macht man aber trotzdem nicht, außerdem sind wir keine kleine Kinder. Wir sind Erwachsene, hier wird nicht gespielt. »

Ausgerechnet diese Reaktion finde ich infantil. Es kommt mir vor, als würden Kinder Erwachsene spielen und dabei ein Verhalten produzieren, das deren Vorstellung von der Erwachsenenwelt, nicht aber der Wirklichkeit entspricht. Mit etwas Traurigkeit stelle ich fest, dass die viele Gefangenen nicht mal merken, wie sie sich « freiwillig » unterwerfen und ihre eigene Willensbestimmung und Verantwortung als Mensch (das meine ich im existentiellen Sinne, wie beim Philosophen Jean Paul Sartre) aufgegeben haben. Soziale Kontrolle wird im Knast zum Selbstläufer. Vorauseilender Gehorsam, « Petzen » bei den AufsichtsbeamtInnen und Streit um Kleinigkeiten zwischen Gefangenen. Ich fühle mich an die Schule erinnert. In mir löst es Revolte aus!  Ich begehre also auf meinem Standpunkt und frage, warum Regeln eingehalten werden sollen, die nicht einmal schriftlich vorliegen.

Und es kommt schon die nächste Drohvorstellung, die ich gleich als Erklärung für diesen vorauseilenden Gehorsam sehe. Die Mehrheit ist plötzlich fest davon überzeugt, dass ich morgen nicht frei komme und nicht aus dem Gefängnis entlassen werde – weil ich beim Hofgang in einem Baum geklettert bin! Ich glaube durchaus, dass man sich im Gefängnis, für ein Verhalten, das der Norm nicht entspricht, sehr schnell Ärger einholen kann. Einen Gummiparagraphen , der Tür und Tor für Willkür öffnet, gibt es in der Hausordnung wohl. « Anweisungen von Vollzugbeamten sind stets zu befolgen » Bei Zuwiderhandlung drohen Disziplinarmaßnahmen. Wie an der Schule… Die Gefangenen dürfen sich über Anweisung der Beamten schriftlich beschweren – hierzu gibt es Formulare, aber diese Beschwerden haben keine aufschiebende Wirkung.

Die Reaktion der anderen Gefangenen, die der Auffassung sind, dass ich nun nicht freikomme, weil ich in einem Baum geklettert bin, zeigt allerdings, dass viele Ängste auf Unkenntnis des Rechtssystems basieren. Wenn auf dem Haftbefehl 3 Tage Ordnungshaft stehen, da können es nicht plötzlich 4 werden. An den 3 Tagen ist nichts zu rütteln. Nur eine weitere rechtskräftige Gerichtsentscheidung kann dazu führen, dass ich länger und wieder ins Gefängnis komme. Nicht aber Baumklettern – auch wenn dies hinter diesen traurigen Mauern unerwünscht ist.

Eine Gefangene erzählt mir, sie sei zu 3 Monaten Gefängnis verurteilt worden und als sie eingeliefert wurde, hieß es plötzlich 7 Monate. Also sei es durchaus möglich, dass ich wegen Baumklettern hier länger bleibe. Meine Vermutung… Ihre Verurteilung zu 3 Monaten Gefängnis hat zur Folge gehabt, dass eine Bewährung aus einem früheren Verfahren zurückgenommen wurde… Und keiner hat sich die Mühe gegeben, ihr dies zu erläutern. Dadurch werden Ängste geschürt, die der Aufrechterhaltung des Systems Gefängnis dienlich sind…

Als die « arbeitenden » Frauen in der Küche eintreffen, verdrängt ein neuer Konflikt die Diskussion um das Baumklettern.. Die Frauen, die einer Beschäftigung in der Anstalt nachgehen, kommen erst abends gegen 18 Uhr zurück und heute ist kein Brot mehr für sie da, die anderen Frauen haben bereits alles aufgegessen. Im Gefängnis ist Knappheit die Regel. Selbst beim Essen. Es wird um alles gekämpft und gerungen. Ich selbst habe für den Abend noch kein Brot genommen, ich bin nicht auf die Idee gekommen, schon um 17 Uhr Brot zu horten… Pech gehabt…Mein Gefühl ist, dass es hier mit dem Essen das die JVA austeilt, von vorne und hinten nicht reicht!

In einer Ecke sitzt ein zierliche schüchternd wirkende Frau, mit der ich heute mittags schon ein paar nette Worte austauschen konnte. Als sie mich fragt, ob ich mit ihr Bratkartoffeln essen will, zögere ich keine Sekunde. In einem mit Schlüssel verschließbaren Kühlschrankfach hat sie Lebensmittel, die sie sich alle zwei Wochen beim « Einkauf » in einem überteuerten Gefängnisladen, von ihrem Taschengeld erwirbt. Wir kommen ins Gespräch. Ich glaube wir haben einen guten Draht zueinander, das freut mich sehr.

Eichhörnchen

Zum Teil VII : Das Mythos der Resozialisierung