Der hartnäckiger Widerstand hat in seiner Vielfalt zum Erfolg geführt. Der Großflughafen von Notre-Dames-des-Landes wird nicht gebaut. Die Widerständigen haben sich nicht zwischen guten und bösen oder gewaltfreien oder nicht-gewaltfreien Demonstrant*innen spalten lassen. Sie haben zusammen gehalten und Raum für die unterschiedlichsten Formen von Widerstand, Kultur und Alltagsleben geschaffen. Sie sind nicht wie ein Großteil der Bewegung gegen S21 in die Mitmachfalle mit Pseudo-Mediation und Pseudo-Volksentscheid getappt. Diese Versuche wurden seitens der Regierenden unternommen, die Zadisten – wie die Besetzer*innen des Areals wo der Flughafen gebaut werden sollte genannt werden – blieben hartnäckig. Mit der « Opération César » wurde 2012 versucht, das Gelände mit Polizeigewalt zu räumen. Die Regierung scheiterte, 40 000 kamen zu einer Widerbesetzungsdemonstration (Siehe GWR Bericht aus dem Jahr 2012).
Der Bau des Flughafens wäre ohne heftigen bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen mit Toten und Schwerverletzten durch Polizeigranaten wie in Le Testet (Rémi Fraisse) vor 3 Jahren oder in Bure (Robin hat seinen Fuß mit der Explosion einer Granate verloren) im vergangenen Sommer, nicht durchsetzbar gewesen. Die ZAD ist nicht nur das Symbol des erfolgreichen Widerstand gegen den Klimakiller Flugverkehr, sondern Symbol für Alternativen und machbaren Utopien. Über die Jahre sind zahlreich selbstverwaltete Projekte und Experimente gewachsen. Ein Besuch vor Ort ist spannend!
Ich übernehme ein Kommentar von Lou Marin, aus der GWR 428, Februar 2018 dazu.
Der Bau des Internationalen Großflughafens Nantes-Notre-Dames-des-Landes wird aufgegeben
Als am 17. Januar 2018 Premierminister Edouard Philippe im Auftrag des französischen Präsidenten Macron die Entscheidung bekannt gab, dass der seit über 45 Jahren geplante Großflughafen Nantes-Notre-Dame-des-Landes nicht gebaut wird, flogen im „Bocage“ (Feucht- und Waldgebiet im Westen Frankreichs) der ZAD (Zone à défendre; zu verteidigende Zone) die Sektkorken. AktividtInnen, BäuerInnen und WaldbesetzerInnen umarmten sich. Es ist ein Erfolg des Widerstands der erstarkten Ökologiebewegung in Frankreich und wird ermutigende Perspektiven für den weiteren Widerstand gegen „projets inutiles“ (nutzlose Projekte) nach sich ziehen.
Kommen wir zu den Wermutstropfen dieser Entscheidung: Statt des auf einem Areal von 1650 Hektar geplanten Großflughafens in Notre-Dame-des-Landes sollen die bereits bestehenden regionalen Flughäfen Nantes-Atlantique und Rennes ausgebaut werden, obwohl auch dort im Umfeld ökologisch sensible Wald- und Feuchtgebiete liegen. Der bisherige Bauträger „Vinci“ soll großzügig entschädigt werden; im Raum stehen Summen bis zu 350 Mio. Euro,nicht mehr weit entfernt von den veranschlagten Bausummen für Notre-Dame-des-Landes. Außerdem sollen, so das Diktat der Regierung, bis Ende März 2018 die „illegalen Besetzer“ der ZAD das Terrain verlassen,das den bereits abgewanderten und auch schon entschädigten Vorbesitzern zurückgegeben werden soll. Das alles wird nicht ohne Widerstand ablaufen. Die BesetzerInnen wünschen sich eine Lösung nach dem Modell, nach dem auf dem Larzac mit jenem dem Militär abgerungenen Terrain verfahren wurde. Damals hatte der Staat das bereits enteignete Terrain einer Betroffenenvereinigung („Société civile des Terres du Larzac“; Zivile Gesellschaft der Nutzflächen des Larzac) übergeben, die die Böden solidarisch an reale landwirtschaftliche NutzerInnen und Kollektive verteilte.
Den Wermutstropfen zum Trotz sollten wir einen Moment bei der Grundsatzentscheidung verweilen und uns darüber freuen: Gerade in Frankreich sind modernisierungsideologische Großprojekte fast immer mit zentralistischer Staatsgewalt durchgesetzt worden. Es war François Mitterand, der 1981 unmittelbar nach seinem Regierungsantritt die Truppenübungsplatzerweiterung auf dem Larzac in Südfrankreich und auch das Atomkraftwerk Plogoff in der südlichen Bretagne aufgegeben hatte. Insofern ist die Entscheidung Macrons ein Meilenstein für die Ökologiebewegung – und sie ist ihm abgerungen worden. Es ist die erste offizielle Aufgabe eines Wahlversprechens Macrons. Noch im Präsidentschaftswahlkampf 2017 hatte er sich explizit für den Bau des Großflughafens ausgesprochen. Seither hatte sich die Entscheidung verzögert und Mediationsverfahren wurden eingesetzt. Zuletzt gab es einen ablehnenden Bericht dreier von Macron beauftragter MediatorInnen am 17.12.2017. Gleichzeitig hatte sich Macron inzwischen international als präsidialer Befürworter von Maßnahmen gegen die Klimaerwärmung profiliert, da hätte die polizeistaatliche Durchsetzung eines Großflughafens einen Imageschaden verursacht. In den regierungsamtlichen Machtzentren werden nun alle möglichen rationalen Gründe vorgeschoben, es gibt letztlich aber nur einen einzigen Grund, warum der Flughafen nicht gebaut werden wird: Das sind die immer stärker werdende ökologische Widerstandsbewegung, die 2-300 BesetzerInnen der ZAD, die Anrainer-BäuerInnen, die Solidaritätsbewegung aus Nantes und Umgebung. In diesem Augenblick dürfen alle Widerstandsspektren einen Anteil des Erfolges für sich beanspruchen: gewaltfreie und militante AktivistInnen. Immerhin wurde trotz unterschiedlicher Widerstandskonzepte über Jahre hinweg kein Polizist getötet oder verletzt.
Alles, was uns vom Widerstand in Gorleben in Erinnerung ist, hatte es in Notre-Dame-des-Landes auch gegeben: Treckerdemos in die Großstadt, Blockaden und Barrikaden der Zufahrtsstraßen in die ZAD, Treckerblockaden zum Schutz der BesetzerInnen.
Das Projekt Großflughafen Notre-Dame-des-Landes hatte seit 1972 grünes Licht sowohl vom Staat wie von den umliegenden Gemeinden. Ab 1973 wurde es aber aufgrund des Ölpreisschocks und der Ölkrise immer wieder auf Eis gelegt und kam erst im Oktober 2000 durch die Befürwortung des damaligen Premierministers Lionel Jospin wieder ins Rollen. Im Juli 2011 wurde die ZAD nach einem Anti-G8-Gipfel-Camp dauerhaft besetzt. Ein entscheidendes Jahr war 2012: Der ebenfalls sozialistisch-modernistische Bürgermeister von Nantes, Jean-Marc Ayrault, wurde erster Premierminister von François Hollande und versuchte, den Bau mit Staatsgewalt zu erzwingen. Am 16. Oktober 2012 wurden die BesetzerInnen trotz zum Teil militanter Gegenwehr geräumt und die Holzhütten zerstört. Doch schon in der zweiten Novemberhälfte 2012 gelang die Wiederbesetzung. Die Regierung Hollande wurde in der Folge vor allem durch die Auseinandersetzung in Sivens, in Südwestfrankreich, von weiteren polizeistaatlichen Eingriffen abgehalten: Dort sollte ein großer Staudamm gebaut werden. Es entstand ebenfalls eine ZAD, was schließlich in einer verkleinerten Dammversion endete. Im Oktober 2014 starb in Sivens der gewaltfreie Aktivist Rémi Fraisse durch eine von Gendarmen abgefeuerte Offensivgranate, was die öffentliche Meinung auf einen Schlag auf die Seite der Protestierenden umschlagen ließ. Der französische Staat wollte nunmehr keine weiteren Toten in den ökologischen Auseinandersetzungen mehr riskieren. Die Angst vor weiteren Toten hat auch bei der jetzigen Entscheidung von Macron eine Rolle gespielt.
In Frankreich bekommt die basisorientierte, parteienunabhängige Ökologiebewegung auch zunehmend intellektuelle Unterstützung durch die Theorie der „Décroissance“ (Wachstumskritik, Wachstumsrücknahme). In der BRD bekannt war dafür schon in den Achtzigerjahren der französische Theoretiker André Gorz; 2010 wurde diese Theorie durch das Buch von Serge Latouche und Didier Harpagès, „Le Temps de la décroissance“ (Zeit der Wachstumsrücknahme), stark verbreitet. Als Kritiker der staatlichen Klimakonferenzen und Vertreter eines wachstumskritischen „Ökosozialismus“ (Laika-Verlag 2017) tritt in Frankreich auch Michael Löwy hervor, ein Autor, der zwischen Trotzkismus und Anarchismus oszilliert.
Lou Marin
Infos: http://zad.nadir.org
Am 10.02.2018 gibt es in la ZAD eine Großdemo!