Ich übernehme den Prozessbericht von Lumbmin niXda! über den ersten Verhandlungstag im Berufungsprozess gegen zwei Castorgegner vor dem Landgericht Stralsund. Ich verteidige einen der Angeklagten (Laienverteidigung). Wir haben am 23.5. von 9 Uhr bis ca. 15 Uhr verhandelt (mit Pausen). Der Prozess geht am 1. Juni um 9 Uhr weiter. Die Staatsanwaltschaft will einer Einstellung des Verfahrens nicht zustimmen. Obwohl die Aktion inzwischen 6 Jahre her ist, die Angeklagten in erster Instanz freigesprochen worden sind und die Staatsanwaltschaft selbst eine Verurteilung zu 15 Tagessätzen beantragt hatte – das entspricht einer Forderung bei Bagatelldelikten. Die StA sieht dennoch ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung und begründet diesen mit der Generalprävention. Eine Strafe ist erforderlich um die Allgemeinheit zu schützen.Bilder 1;2;3: Schneekloth Fotografie
Bilder 4;5: Lubmin NiXda!
Wenn Dein Pferd tot ist, steig ab!….
…dies war Motto und zugleich ein Zitat aus der Einlassung einer der beiden Angeklagten aus dem ersten Verhandlungstag im Berufungsprozess am 23. Mai vorm Landgericht Stralsund. Die Aussage war an den Staatsanwalt gerichtet, und sollte dessen anachronistische Einstellung zur Atomkraftnutzung, stellvertretend für eine ganze verbrecherische Industrie, betonen, und gleichzeitig einen Deut auf den einzig vernünftigen Ausweg geben. Um dem mehr Nachdruck zu geben, gingen dem Zitat sehr deutliche Worte in Klartext voraus. Darauf folgend eine gesangliche Darbietung des Stückes „Drei glänzende Kugeln“ von F.J. Degenhardt. Alles zusammen, und in Verbindung mit der deutlich politisch positionierten Einlassung des anderen Angeklagten, erzeugte eine fast feierliche Stimmung, welche den ganzen Saal durchdrang und letztendlich den Spieß der Anklage umdrehte. Alsbald fand sich der Staat(sanwalt) in der Rolle des Angeklagten wieder.
Doch das „skurrile Theater“ zu dem durch die AktivistInnen geladen wurde, begann mit seiner spaßvollen Seite bereits am Stralsunder Bahnhof, als ein Grüppchen von wenigen aber entschlossenen Menschen laut lärmende gelbe Atommüllfässer hinter einem kleinen Traktor, ebenfalls mit Atommüll beladen, über das, von ungläubig bis erheitert drein blickenden PassantInnen gesäumte, Altstadtpflaster zum Landgericht rollten. Dort angekommen, wurden Sie von bereits wartenden GefährtInnen mit einer bunt geschmückten Mahnwache bei schönstem Maiwetter erwartet. Alles schien zu rufen: Heute ist unser Tag! Freispruch!
Die Vorgänge im Gerichtssaal schienen das zu bestätigen: Zunächst war nicht sicher, ob die Berufungsverhandlung überhaupt eine formale Grundlage hat; der Antrag für die Annahme der Berufung wurde aufwändig und lange gesucht, und auf Fristwahrung geprüft, sodass schon kurz nach Sitzungsbeginn eine Pause gemacht werden musste. Die Zeugen, drei PolizeibeamtInnen, verstrickten sich in Widersprüche und Unwahrheiten. Zu alldem beobachtete ein Zuschauer der öffentlichen Verhandlung, wie sich die BeamtInnen auf dem Flur, während der laufenden Zeugenvernehmung, vertieft über die damaligen Ereignisse und die im Gerichtssaal kurz zuvor gestellten Fragen austauschten…. eine Akte wurde gewälzt, Bilder betrachtet. Von der darüber in Kenntnis gesetzten Richterin darauf angesprochen, konnte der einzige uniformierte und pflichtbewusste Beamte des Trios, nichts anderes als ein umfassendes Geständnis ihrer bandenmäßig durchgeführten Umtriebe abgeben.
Zu Beginn der Verhandlung monierte die Autodidaktin in Sachen Verteidigung Cécile Lecomte die Prozessverzögerung durch die Staatsanwaltschaft. Dies verstoße gegen europäische Menschenrechtsstandards. Das lange Warten auf ein Urteil zu einer solchen Lappalie sei schon Strafe genug für die Angeklagten. Wie schon in der Hauptverhandlung, wog die Frage nach der Verwerflichkeit der den Atomkraftgegnern vorgeworfenen Tat schwer, um den Tatvorwurf „Nötigung“ zu entkräften. Diese wurde immer und immer wieder von der Verteidigung ins Spiel gebracht, ohne in einer Antwort der Staatsanwaltschaft Widerhall zu finden.
Demgegenüber brachten die Angeklagten und Ihre VerteidigerInnen zahlreiche Argumente für das Fehlen von Verwerflichkeit, im Motiv wie auch in der Durchführung der „Tat“ hervor. U.a. auch die Frage, ob eine Tat Nötigung sein kann, wenn es zur „Tat“zeit gar kein Nötigungsopfer, sprich einen Lokführer, der am Weiterfahren gehindert worden sein könnte, vor Ort gab, brachte die Anklage ins Straucheln. Der Uran-Zug war, wie auch die Richterin letztlich feststellen musste, noch unter „ferner liefen“ zu beobachten.
Weiterhin wurden einige Anträge gestellt; u.a. soll das Rohr. welches zum Anketten verwendet wurde, auf Porzellanscherben untersucht werden, welche einer der Zeugen umherfliegernderweise ersonnen hatte.
In der einstündigen Mittagspause heizten die „Les Bumms Boys“ den ProzessteilnehmerInnen mit der Sonne um die Wette ein. Gerichtsbedienstete, PolizistInnen und PassantInnen glaubten Ihren Augen nicht: Auf der Wiese zwischen dem großen Frankenteich und dem Gerichtsgebäude, an einem Dienstag Mittag, in dem sonst so gesitteten Städtchen, eine Gruppe wild zu Rhythmen, Blues & Rock‘n‘Roll Tanzender, umgeben von Transparenten und anderem Protestgedöns. Ein Gerichtstag, den Stralsund wahrscheinlich so schnell nicht vergessen wird.
Die Verhandlung konnte am ersten Tag noch nicht abgeschlossen werden. Aber die Chancen für einen erneuten Freispruch, oder eine Einstellung des Berufungsverfahrens stehen gut.
Termin für den nächsten Teil der Vorstellung: 1. Juni 2017, 9:00 Uhr Saal GE 14
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Gesichterbuch Lubmin-Nix-Da
Lubmin-Nix-Da Gezwitscher