Aus der Zeitschrift Graswurzelrevolution, Nr. 445 Januar 2020 (NB. im Februar 2020 erscheint keine GWR, wegen Erkrankungsfall im Redaktionskreis)
Uranmüllexporte nach Russland, Blockaden, Prozesse und die Zerschlagung des Staates. Interview und Diskussion mit Irene von ContrAtom
Die Urananreicherungsanlage in Gronau (Westfalen) liefert bislang unbefristet Uran für Atomkraftwerke in aller Welt. Momentan wird nicht viel über die Anlage diskutiert, andere Themen stehen im Vordergrund, aber kürzlich änderte sich das. Es wurde bekannt, dass die Betreiberfirma Urenco das bei der Anreicherung entstehende radioaktive Abfallprodukt, abgereichertes Uranhexafluorid, wieder nach Russland exportiert. Wir sprachen über die Transporte und den Widerstand gegen die Urananreicherungsanlage mit Irene von ContrAtom, dem Aktions- und Informationsnetzwerk gegen Atomenergie.
GWR: Bis 2009 gab es doch schon mal Transporte des Atommülls nach Russland (die GWR berichtete). Wie ist das damals gelaufen und warum wurde der Atommüllexport gestoppt?
Irene: Über mehrere Jahre hinweg gab es Protest und Widerstand gegen die Transporte. Wir vernetzten uns mit russischen und niederländischen Atomkraftgegner*innen, veranstalteten mehrere Konferenzen und sorgten dafür, dass die Stimme der russischen Umweltaktivist*innen auch hier zu hören war. Diese kritisierten, dass das Uranhexafluorid dort unter freiem Himmel lagere und die Umgebung von Angarsk verseuche, wo mehr und mehr Menschen an Krebs erkrankten. Die direkten Verbindungen waren sicherlich ein wesentlicher Beitrag dazu, dass Urenco die Verträge nicht verlängerte. Das Übrige trat das Wissen darum, dass die Transporte nicht mehr einfach durchführbar waren. So gab es an der Strecke immer wieder Mahnwachen, viele Menschen, die spontan blockierten, Kletteraktionen und brennende Autoreifen auf den Schienen. Gegen all die Vielfältigkeit der Proteste wollte Urenco die Geschäfte wohl wieder weniger im Licht der Öffentlichkeit durchführen.
GWR: Wie geht das überhaupt mit dem Export des abgereicherten Uranhexafluorids? Atommüllexport ist in der EU doch verboten.
Irene: Urenco behilft sich mit einem Trick und behauptet, es handele sich bei dem radioaktiven Müll um Wertstoff, der weiter angereichert werden könne. Aber der Wertstoff kann nicht so besonders viel wert sein, wenn dafür negative Beträge fließen und Urenco dafür zahlt, dass das Uranhexafluorid von Russland genommen wird. Außerdem braucht es sehr viel Energie, den Stoff weiter anzureichern, sodass sich die Anreicherung auch ökonomisch schlicht nicht lohnt – auch in Russland passiert das mit maximal 10% des dort liegenden Uranhexafluorids. Faktisch handelt es sich also ganz einfach um Atommüll, der billig entsorgt werden soll, das ganze Hin und Her mit dem „Wertstoff“ dient nur dazu, das Atommüllexportverbot zu umgehen.
GWR: Jetzt sind die Transporte wieder aufgenommen worden. Seit Mai 2019 transportierte die Urenco in neun Zügen und einigen LKW mehrere tausend Tonnen abgereichertes Uran nach Russland, eine Erlaubnis gibt es für 2019 für 10.000 Tonnen, für 2020 für weitere 10.000 Tonnen, die allerdings auch aus anderen Urananreicherungsanlagen der Urenco kommen dürfen. Woran liegt das, dass genau die kritisierten Transporte jetzt nach langer Pause weiter fahren?
Irene: Ich weiß natürlich nicht, was in der Firmenzentrale von Urenco besprochen wird. Aber offensichtlich scheint es Probleme mit dem Alternativkonzept zu geben. Es war geplant das abgereicherte Uranhexafluorid in Frankreich oder Großbritannien in Uranoxid zu konvertieren und dann in Gronau in einer extra dafür gebauten Halle zu lagern. Uranhexafluorid ist also wohl sogar in den Augen der Urenco ein chemisch so gefährlicher und giftiger Stoff, dass eine Langzeitlagerung in dieser chemischen Form nicht in Frage kommt. Jedenfalls nicht vor der eigenen Haustür, in Sibirien ist der Kram – sorry für den Zynismus – bestimmt weniger gefährlich. Die Halle ist seit Jahren fertig, Atommüll wird jedoch nicht eingelagert. Vielleicht ist der Export des Mülls nach Russland einfach billiger und es erschien Urenco politisch ruhig genug, um die Transporte im Verbogenen wieder aufzunehmen. Ganz falsch lagen sie leider nicht, denn erst nach sieben durchgeführten Transporten merkten wir, dass das Ziel nicht die Konversionsanlage in Frankreich, sondern wieder Russland war.
GWR: Wie konnte das passieren? Ist der Widerstand gegen die Urananreicherung eingeschlafen?
Irene: Die Urananreicherungsanlage ist eine der Atomanlagen, an denen sich zwar oft nicht viel, aber doch kontinuierlich Protest regt, mit monatlichen Sonntagsspaziergängen, aber in den letzten Jahren auch immer mal wieder mit Blockaden der Anlage. Und auch Urantransporte haben wir in der Zwischenzeit einige gestoppt: 2012 im Münsterland, 2014 in Hamburg, 2018 in Koblenz und 2017 einen Anlieferungstransport für die Urananreicherungsanlage in Gronau. Dabei hatten sich jeweils drei Menschen vor und hinter dem Transport in Betonblöcken angekettet und den Zug eingefangen, der erst mit 17 Stunden Verspätung weiter fahren konnte. Trotz alldem entwickelte sich allerdings keine größere Öffentlichkeit um die Urananreicherungsanlage, Atomkraft ist leider für die meisten Menschen kein Thema mehr. Die Wiederaufnahme der Atommüllexporte zeigt allerdings, dass wir aufmerksam bleiben müssen. Glücklicherweise aber ebenso, dass sich Widerstand auch schnell wieder regen kann.
GWR: Aktuell fahren die Transporte von Gronau per Bahn über Münster, Hamm und Hagen in den Hafen von Amsterdam, zusätzlich fahren von Gronau nach Amsterdam LKW und von dort geht es weiter per Schiff nach St. Petersburg, wo das Uranhexafluorid wieder auf den Zug verladen wird. Viele Gelegenheiten für Proteste. Wie sieht der aktuelle Widerstand gegen die Transporte aus?
Irene: Sehr schnell, nachdem klar wurde, dass der Atommüllexport stattfindet, spannten wir das alte Netz der Vernetzung zwischen russischen, deutschen und niederländischen Aktiven wieder: Ecodefense und Greenpeace Russland sammelten in Russland Unterschriften und gemeinsam protestierten wir in Gronau gegen den Atommüllexport. Das Fernsehen berichtete. Im November hielten wir mit einer Abseilaktion im Münsterland, vor und hinter dem Zug, den Transport für etwa sieben Stunden auf. Bei Blockaden von Zugstrecken, geben wir die Strecke eigentlich nicht von uns aus wieder frei. Aber nachdem an einer der beiden Blockadestellen sehr gefährlich geräumt wurde, entschieden sich die Kletternden im Wald bei Metelen, eigenständig herunter zu kommen. Nach vielen Stunden im Regen und so unfähig wie die Polizei wirkte, professionell zu räumen, erschien ihnen das als einzig sichere Möglichkeit. Trotz angekündigter Proteste hatte die Polizei mit einer solchen Aktion nicht gerechnet – obwohl das auf dieser Strecke doch bei weitem nicht das erste Mal war. Daneben gab es zahlreiche Mahnwachen, die Verladung des Transports in Amsterdam wurde gefilmt und auch in St. Petersburg wurde gegen den Atommüllimport demonstriert, als das Schiff ankam.
GWR: Das sieht der Staat sicher nicht so gerne. Habt ihr keine Angst vor Verfolgung?
Natürlich haben wir Angst, aber das hilft ja nicht – und im Vergleich zu den russischen Atomkraftgegner*innen können wir noch ziemlich viel machen. Gerade an diesem Fall sehen wir, dass ohne Proteste und direkte Intervention Schweinerein schnell wieder weiter gehen. Wenn es dann hinterher doch zu Verfahren kommt, stehen wir die gemeinsam durch. Beispielsweise sind jetzt sechs Menschen von uns angeklagt, wegen der Betonblock-Ankettaktion, die wie oben erwähnt, einen der Anlieferungstransporte für die Urananreicherungslange stoppte. Auf dem Zug war kein Uranmüll, sondern Uranhexafluorid vor dem Anreicherungsprozess, welches aus Kanada und den USA stammte, vermutlich aus Uranabbaugebieten in Kanada und zur Anreicherung nach Gronau gefahren werden sollte. Solche Aktionen kann der Staat natürlich nicht ungestraft lassen – im Gegensatz zu illegaler Atommüllentsorgung (die Verfahren deshalb wurden eingestellt). Deshalb werden jetzt sechs Menschen vor Gericht gestellt. Uns wird Sachbeschädigung und Störung öffentlicher Betriebe vorgeworfen. Es wird bald gegen sie verhandelt.
GWR: Wie läuft das mit den Prozessen ab?
Irene: Grundsätzlich kann da jede*r hinkommen. Manchmal kann es sein, dass Personalien und Gepäck kontrolliert werden. Wir freuen uns auch immer sehr über solidarische Prozessbesucher*innen, die das auf sich nehmen, und noch mehr natürlich über Solidaritäts- und Anti-Atom-Aktionen aller Art. Es gibt noch etwas worauf ich noch hinweisen möchte bei dem Prozess, was nicht besonders häufig vorkommt: Menschen, die rund um die Aktion 2017 aufgegriffen wurden, sollen in dem Prozess als Zeuginnen gegen uns aussagen – sie werden die Aussage verweigern. Denn das bleibt ein wichtiges Prinzip, um es dem Staat zu erschweren, Menschen zu verfolgen und abzuurteilen. Denn Vertrauen in den Staat hat niemand von uns mehr. Auch gewonnene Klagen gegen die nach der Aktion erfolgten Rache-Einsperraktionen der Polizei ändern nichts daran, dass grundsätzlich die Regierenden die Profitinteressen der Urenco und anderer Konzerne durchsetzen – denn genau dazu, die herrschenden Machtverhältnisse zu sichern, sind sie da. Deshalb werden wir weiter machen, für die Abschaffung von Atomkraft und die Zerschlagung der herrschenden Verhältnisse.
GWR: Was verstehst Du unter „Zerschlagung“? Warum benutzt Du nicht lieber einen positiveren, weniger martialisch-verbalradikalen Begriff wie z.B. „Umwälzung“?
Irene: Für mich klingt Umwälzung nach Reformpolitik, von der ich nicht glaube, dass sie Freiheit bringt. Es ist wichtig zu betonen, dass die herrschenden Verhältnisse nicht von selbst verschwinden, sondern wir aktiv dazu beitragen müssen. Eine Welt ohne Herrschaft kann besser auf den Trümmern von Polizeistationen, Gerichten und Gefängnissen aufgebaut werden als zwischen ihnen.
GWR: Im Vergleich zu anderen Staaten haben wir durchaus eine Menge, die mir erhaltenswert erscheint. Ich möchte nicht alle „herrschenden Verhältnisse“ zerschlagen sehen. Sieht man sich die Länder an, in denen die „herrschenden Verhältnisse“ gerade „zerschlagen“ werden – von wem auch immer – aber immer aus der jeweiligen Sicht derer, die das „Böse an sich“ zerstören wollen – dann bleibt am Ende nur Zerstörung von Allem, d.h. auch Tote weit und breit. „Zerschlagen“ kann wie ein Lehrstück sein, das weiteres „Zerschlagen“ endlos fordert. Keine guten Zukunftsaussichten.
Irene: Wenn herrschende Strukturen wegfallen, entsteht ein Freiraum. Wie der gefüllt wird, kann sehr unterschiedlich sein und natürlich ist nicht sofort alles gut, das wäre naiv das anzunehmen. Aber erst dieser Freiraum schafft Möglichkeiten für Neues, wie beispielsweise in der Situation in Rojava. Erst die Instabilität der Staatlichkeit in Syrien machte dieses Projekt überhaupt erst möglich. Die Tatsache, dass es da gerade Tote gibt, liegt daran, dass ein Staat wie die Türkei libertärere Strukturen nicht duldet, sondern zerschlägt – mit der Unterstützung auch von Deutschland.
Die herrschenden Verhältnisse selbst produzieren ebenfalls Gewalt und Tote und die Situation hier in Deutschland kann nicht isoliert betrachtet werden – Deutschland exportiert Waffen, Gewalt und Tod. So sterben und erkranken auch Menschen durch den Uranabbau von dem hierhin importierten und in Gronau angereicherten Uran. In kurdischen Gebieten im Irak wurde auch panzerbrechende Munition mit abgereichertem Uran, ein Abfallprodukt aus der Urananreicherung, eingesetzt und verstrahlt dort noch heute die Umgebung.
Das ist nicht erhaltenswert, selbst wenn es für uns relativen Frieden bedeutet. Und auch unser relativer Frieden schwindet, wenn ich mir beispielsweise die neuen Polizeigesetze ansehe. Gute Zukunftsaussichten sehe ich gerade auch nicht, aber gerade wegen eines starken Staates. Den Staat abzuschaffen, das sehe ich als einzige Lösung.+
Bild: urantransport.de