Die Humanistische Union hat mich im Rahmen einer Videoreihe zum Thema Abschaffung des Verfassungsschutzes über meine Erfahrungen mit dieser Behörde befragt. Das Video ist nun online.
Mit dem Thema Überwachung und Verfassungsschutz setzte ich mich schon länger auseinander. In meinem Buch „Kommen Sie da runter!“ gibt es ein Kapitel dazu. Ich veröffentliche unten einen Text aus dem Kapitel. Zur im Video angesprochenen rechtswidrigen MEK-Überwachung gibt es darüber hinaus Infos hier. Die gespeicherten Daten landeten mindestens zum Teil beim niedersächsischen Verfassungsschutz, weil in meiner dortigen Akte einige der aus diesem Anlass gespeicherten Informationen wieder zu finden sind.
Aktuell habe ich vom Verfassungsschutz Hamburg Post bekommen.
Der ist so nett, dass er keine Personenakte über mich führt. Meine Daten wurden aber als „Verständnisperson“ gespeichert. Ich lerne immer neue Begriffe. Dies geschah im Rahmen der „Auswertung von linksextremistischen Bestrebungen zu dem Thema Proteste gegen die Klima- und Energiepolitik.“ Gespeichert wurde meine Teilnahme an Konferenzen und Versammlungen in Hamburg , Berlin und NRW. Und die Prüfung der Rechtslage hat nun ergeben, dass die Daten nicht weiter erforderlich sind und nun gelöscht werden.
Ob der Verfassungsschutz Niedersachsen das auch so sieht? Ich habe Auskunft über gespeicherte Daten vor 6 Monaten beantragt. Im August kam die Mitteilung, ich werde voraussichtlich Auskunft in September 2014 erhalten. Es ist aber nichts gekommen und wir haben schon fast Dezember.
Der Verfassungsschutz Niedersachsen findet mich seit Jahren gefährlich (!). Warum er es anders sieht als die Kollegen in Hamburg und auch sowas wie eine Verurteilung zu 5 Euro Bußgeld speichert. Das weiß ich nicht. Aus den Auskünften der Vergangenheit weiß ich, dass er mir erstens nicht alles sagen will, was er über mich speichert, weil es ja die Quellen und die Sicherheit des Staates gefährden könnte. Zweitens eine Personenakte über mich führt und dabei jeden Unfug speichert.
Das war Stoff für eine absurde Kurzgeschichte in meinem Buch…
Aus„Kommen Sie da runter!“, Cécile Lecomte – Verlag Graswurzelrevolution 2014
Im Fadenkreuz des Verfassungssch(m)utzes
Der NSU-Terror ist seit Bekanntwerden seiner Untaten in aller Munde. Neun Morde sollen durch Mitglieder dieser rechtsextremen Organisation begangen worden sein. Trotz zahlreicher Spitzel und V-Männer in der Neonazi-Szene wollen die Behörden nichts geahnt haben, um Aufklärung sind sie nicht bemüht. Rein zufällig sollen bei der einen und der anderen Behörde ausgerechnet NSU-Akten geschreddert worden sein. Vor dem parlamentarischen Ausschuss wollen die Verantwortlichen von Kriminalämtern und Verfassungsschutz entweder nichts gewusst haben oder sich nicht erinnern. Die Behörden arbeiten angeblich nicht zusammen. Und dass der rechte Terror faktisch über die V-Männer mit Staatsgeldern mitfinanziert wurde, stört nicht. Viel mehr werden Forderungen nach erweiterten Befugnissen für die Behörden laut. Das »Terrorismusargument« ist für die Einschränkung von Grundrechten immer gern gesehen.
Das Problem der Ausländerfeindlichkeit und des rechten Terrors würden neue Gesetze aber nicht lösen – weil es nicht eine Frage des Dürfens und Könnens, sondern des Wollens ist. Die Behörde ist auf dem rechten Auge blind, weil dort große Sympathie für rechtes Gedankengut vorhanden ist. Der Fehler liegt bei Polizei und Verfassungsschutz selbst. Oder warum soll eine Zusammenarbeit zwischen den Behörden im Fall von rechtem Terror nicht möglich sein, wenn dies im bestehenden System ohne Gesetzesänderung im Fall einer Umweltaktivistin augenscheinlich problemlos funktioniert?
»Übermittlung Ihrer Personalien an das Bundesamt für Verfassungsschutz zur Erlangung dort vorhandener zusätzlicher Informationen«, teilt mir das Bundeskriminalamt auf Anfrage mit. Der Verfassungsschutz teilt mir seinerseits mit, dass er über Informationen zu meiner Person verfügt, die er mir nicht mitteilen mag. Das würde die Quellen und die Sicherheit des Staates gefährden – Eichhörnchen ist gefährlich, Klettern ist gefährlich! Gar gefährlicher als mordende Rechtsextremisten. Meine Akte wurde nicht geschreddert. Eine Teilauskunft durfte ich erhalten. Der Überwachung meiner Person widmet der Verfassungsschutz mehr Elan als der Abwehr und der Aufklärung von Morden der Neonazis.
Vier eng gedruckte Seiten habe ich vom niedersächsischen Verfassungsschutz erhalten. Die Auskunft verdient die Note 5 in Linguistik. Dem Text fehlt jegliche Struktur und er sieht in großen Teilen nach Copy-Paste aus der Datei des Landes- und Bundeskriminalamtes aus. Meine angeblich verfassungsfeindlichen Handlungen sind nicht einmal chronologisch sortiert und ich frage mich, ob ich nicht einen Doppelgänger habe. Vielleicht kann ich mich durch zwei teilen und zum selben Zeitpunkt an zwei verschiedenen Orten erscheinen. Die Auflistung mit Demonstrationen, Redebeiträgen, Konferenzen, Vorträgen ist ewig lang(weilig).
»[…] In einem Verfahren wegen unbefugten Aufenthalts im Gleisbereich am 22. Oktober 2006 auf der Bahnstrecke Lüneburg – Dannenberg wurde durch das AG Hannover am 14. November 2007 ein Bußgeld in Höhe von 5 € verhängt […]; Anlässlich der Jahrestagung Kerntechnik im CCH in Hamburg am 27. Mai 2009 seilten Sie sich vom Dach ab und entrollten ein Transparent […]; Am 11. April 2009 nahmen Sie an einer Demonstration in Lüneburg teil unter dem Motto ›Wir stellen, uns quer!‹ teil und kletterten auf das Dach des Bahnhofsgebäudes. Das daraufhin gegen Sie eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen Hausfriedensbruch wurde gem. §170 Absatz 2 eingestellt. Am 28. Juni 2011 seilten Sie sich anlässlich der Abrissarbeiten eines zuvor besetzten Hauses vom Dach eines Gebäudes ab und bemalten die Hausfront u.a. mit einem Anarchiesymbol. Das wegen Sachbeschädigung eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde gem. §170 Absatz 2 StPO eingestellt. Zuletzt wurde gegen sie ein Ermittlungsverfahren wegen Hausfriedensbruchs eingeleitet, weil Sie am 22. Mai 2012 anlässlich der Jahrestagung Kerntechnik des Deutschen Atomforums e.V. in Stuttgart auf das Vordach eines Kongresszentrums kletterten und Transparente entrollt haben. […]; Im September 2008 nahmen Sie an der Herbstkonferenz der Anti-Atomkraft-Bewegung in Braunschweig teil. Gegen Sie wurde zudem ein Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet, weil sie am 20. September 2008 anlässlich des europäischen Aktionstages einen nicht angemeldeten Infotisch in der Altstadt von Lüneburg betrieben hatten. […]; Am 25. Oktober 2008 nahmen Sie an einer Demonstration gegen einen Castor-Transport in Uelzen teil. […]; Am 07. November 2011 nahmen Sie an einer Gedenkveranstaltung zum Todestag von Sebastien Briat auf dem Marktplatz in Lüneburg teil. Zudem beteiligten Sie sich am 27. April 2012 an Protesten anlässlich eines Rückkehrappells der Bundeswehr auf dem Marktplatz in Lüneburg. […]«
Sehr staatsgefährdend ist das alles doch nicht und begründet keine Überwachung durch die Behörde. Der Verfassungsschutz hat aber hier zur Rechtfertigung ein Argument parat. Weil er über Erkenntnisse zu linksextremistischen Aktivitäten meiner Person verfügt, darf er mich die ganze Zeit überwachen. Die besagten Erkenntnisse werden allerdings nicht offenbart, das würde ja die Sicherheit der Quellen und des Staates gefährden. Soviel über das im Grundgesetz verankerte Grundrecht effektiver Rechtsschutz. Ich bin fürs Überwachen des Verfassungsschutzes als verfassungsfeindlicher Behörde – und wegen seiner Unterwanderung durch die Neonazis. Nö, ganz auflösen wäre einfacher.
»System error – alle Systeme abschalten«, stand neulich bei einer Demo auf einem Transparent. Gefällt mir.
Quelle: Aktenzeichen: 51.20-18533-Lecomte – Verfassungsschutz Niedersachsen