Anfang Oktober 2011 wurde in Grohnde in vielfältiger Art und Weise demonstriert: Demos, Kletterkunst, Sitzblockade, etc. Das mit rißanfälligem Stahl verbaute Atomkraftwerk Grohnde ist ein Beweis dafür, dass von Atomausstieg nicht die Rede sein kann.
Zutreffender ist viel mehr der Begriff « Weiterlaufgarantie » für sämtliche Atomkraftwerke, wie Franziska, eine Aktivistin die am kommenden Freitag für 2,5 Monaten wegen Castorblockade ins Gefängnis geht, es zutreffend formuliert.
Täglich grüßt der Super-GAU. Täglich wird Atommüll produziert. Täglich werden Millionen Menschen unerträglichen gefahren ausgesetzt – gegen ihren Willen.
Aus diesem Grund ist es wichtig, mit fantasievollen Protestaktionen am Ball zu bleiben und den Menschen in Erinnerung zu rufen, dass das Thema « Atomkraft » an Bedeutung nichts verloren hat. Die gesellschaftliche Auseinandersetzung um die Atomkraft wird noch lange dauern. Ein Indiz dafür ist auch die Reaktion der Staatsmacht auf Protest… Zum Schutz der Interessen der Atomlobby ist sie zu haben. Zum Schutz von Grundrechten aber nicht. Sie glänzte am Wochenende mit Versammlungssprengung und weiteren z.t. gewaltsamen Eingriffe in die Versammlungsfreiheit.
Das Protestwochenende begann am 2. Oktober mit einer bunten Demonstration und zahlreiche Redebeiträge. Es folgte auf der Hauptzufahrt in ca- 200 Meter Entfernung zum Atomkraftwerk eine angemeldete Dauermahnwache mit Polit- und Kulturprogramm.
Zeitgleich zur Mahnwache trafen AktivistInnen auf eine andere Zufahrtstraße für eine eigenständige « Hängepartie » und Sitzblockade ein.
Vier KletterInnen seilten sich von einer Brücke in der Nähe des zweiten Tores zum AKW ab und hängten Transparente auf. Beteiligt waren AktivistInnen aus dem Münsterland, die mit ihrem Protest beim Anfang der Atomspirale in Deutschland ansetzen: Sie kämpfen gegen die Gronauer Urananreicherungsanlage und die Brennelementefabrik in Lingen. « Atomkraft den Boden entziehen, Urananreicherung stoppen » stand entsprechend auf einem Transparent. Ein zweites Transparent mit klarer Forderung hatten Robin Wood AktivistInnen mitgebracht : « Fukushima mahnt – Atomausstieg sofort ». Die vier Kletteraktivistinnen und ihre « Seilwache » (Personen die oben auf die Seile und Ankerpunkte achten) wurden recht schnell durch ca. 60 spontane « SitzblockiererInnen » auf der Zufahrtsstraße unten unterstützt.
Die kreative « happeningartige » künstlerische Aktion sorgte für Aufmerksamkeit und verstärkte die Resonanz des Protestewochendes in der Öffentlichkeit. Zahlreiche Zeitungen berichteten beispielsweise über die Aktion. Als Happening wird eine künstlerische Performance, die überraschend an unerwarteter Stelle und zeitlich begrenzt statt findet, definiert. Mehr dazu im Zusammenhang mit politischen Kletteraktionen im Text« politisches Klettern, eine Kunst? »
Die Aktion sollte außerdem die Entschlossenheit der Beteiligten, gegen die Atomindustrie anzukämpfen, wieder geben. Die Sitz- und Hängeblockade stellten eine effektive Blockade der Zufahrtsstraße zum AKW dar. Natürlich blieb die Blockade symbolischer Art. Zum einem war sie temporär und auf ein Wochenende mit Feiertag gelegt – viel Betrieb war im Atomkraftwerk ja nicht. Zum anderen wurde der Zugang zum Atomkraftwerk dadurch nicht komplett gesperrt: Fußgänger und Radfahrer konnten problemlos durch kommen, über Wirtschaftswege konnten auch Fahrzeuge zum Gelände gelangen.
Die Polizei war allerdings nicht in der Lage, den eigenständigen Versammlungscharakter der Protestaktion zu erkennen. Sie meinte viel mehr die Versammlung sprengen und den Beschäftigten des Atomkraftwerks gewaltsam einen Weg bahnen zu müssen. Die « Polizeifestigkeit » von Versammlungen ist ihr scheinbar überhaupt kein Begriff. Der Einsatz war mit Sicherheit rechtswidrig.
Es lief in der Tat nach dem Motto « zunächst prügeln und erst dann nachdenken ». Gleich zu Beginn der Abseilaktion griffen die Beamten einer Beweis- und Festnahmeeinheit aus Braunschweig VersammlungsteilnehmerInnen an. Sie versuchten ohne Vorankündigung die Versammlung zu sprengen und Beteiligten fest zu setzen. Die Beamten wurden darauf hingewiesen, dass es sich um eine gewaltfreie Aktion handelt. Es half aber nicht. Eine Meinungsäußerung mittels Transparenten an der Brücke wollten die Beamten erst gar nicht dulden. Die anwesende Presse musste einige Schritte zurück gehen, andere Pressevertreter wurden partout erst gar nicht auf die Brücke gelassen. Bedenklich was die Inkaufnahme von Gefahren durch die Beamten, indem sie – gegen den Willen der KletterInnen – Klettermaterial anfassten.
In der Vergangenheit hat es einige durch die Polizei verursachte Unfälle gegeben. Insbesondere an Brücken, wo die Polizei sich Zugang zu den Ankerpunkten der KletterInnen verschaffen kann, kann es gefährlich werden. 2003, anlässlich von Protesten gegen den G8-Gipfel, stürzte ein Aktivist in 25 Meter Tiefe, nachdem ein Polizist ein Seil durchtrennte. Es ist aus diesem Grund verständlich, wenn KletterInnen darauf bestehen, dass fremde nicht-kletterkundige Personen ihre Finger von Klettermaterial fern halten!
Schwieriger Start… hier hilft die « Seilwache » der Aktivistin,; in der Aufregung um die PolizistInnen die nach Seile und Karabiner griffen, hat sich einiges verhackt –
Foto Konrad Lippert
Der Tag ging dann jedenfalls ruhig zu Ende. Team Blau-Grün hatte sich etwas zurückgezogen. Die KletterInnen nisteten sich in ihre Hängematten und Schlafsäcke ein.
Pause – Foto K. lippert
Die Situation spitze sich jedoch gegen 22 Uhr wieder extrem zu, als die Polizei die sitzenden DemonstrantInnen ohne Vorwarnung mit Tritten angriff, um sie von der Straße weg zu schaffen und somit einigen KrafwerksarbeiterInnen den Weg frei zu machen. Eine Demonstrantin wurde äußerst gewaltsam festgenommen und ihre Brille dabei zertrümmert.
Und weil
eine Kletterin gegen diese erneute Versammlungssprengung vehement protestierte und an ihrem Seil ein Stück herunter kletterte, wurden die Polizisten noch aggressiver. Die Kletterin hing etwa auf der Höhe der größeren Polizeifahrzeuge. „Geht’s noch? Wir demonstireren hier“, hieß es sinngemäß seitens der DemonstrantInnen.
Nach Meinung der Beamten waren aber nicht die durchfahrenden Fahrzeugen mitten in der Demonstration fehlt am Platz, sondern die DemonstrantInnen. Ein Beamter griff nach durchhängenden Kurzsicherung einer Kletterin und zog wild daran – an die Kletterin kam er nicht heran. Menschen am Boden – darunter einige kletterkundige AktvistInnen – erkannten sekundenschnell die Gefahr der Situation. Wenn eine Person länger hängt und ihre Position nicht ändern kann, kann es zu einem orthostatischen Schock führen (Hängetrauma). Die Gefahr besteht insbesondere wenn das Opfer bewegungslos bleibt. Die Folge ist ein Abklemmen der Nervenbahnen, der Blutgefäße sowie ein Absacken des Blutdruckes mit lebensbedrohlichen Folgen. Unter Normalbedingungen stützt sich ein Kletterer an einer Fußschlinge im Seil ab, wodurch sich die schwerkraftbedingten Veränderungen kurzfristig deutlich vermindern und ein Hängetrauma verhindert wird. Auch durch einen Kopfstand im Seil kann die Entlastung der Druckstellen erfolgen
Es war in der aufgeregten Situation aber nicht möglich, mit dem Beamten zu reden und ihn über sein gefährliches Verhalten aufzuklären. Die Kletterin schrie und geriet in Panik, der Beamte schien aber Spaß daran zu haben, Muskeln zu zeigen. Seine Kollegen unterstützten ihm, es fielen dabei gegen die Kletterin gerichtete ausländerfeindliche Sprüche.
Auch der Hinweis darauf, dass die Kletterin wegen dem Druck durch das Ziehen am Seil ihr linkes Bein kaum noch spüre, interessierte den Polizisten nicht. « Komm runter » brüllte der am Seil ziehende Beamte lediglich. Allein dieser Spruch zeigt sein Unkenntnis über das Klettern. Die Aktivistin war an einem Klemmknoten gesichert und dieser kann unter Last erst gar nicht gelöst werden! Das sind einfache Regeln der Physik ; der Schwerkraft! Logisches Denken ist aber zu viel fordern…
Als der Täter nach ca. 10 langen Minuten das Seil losließ, setzte sich die Aktivistin im Seil in Bewegung – aus Angst vor weiteren Versuchen der Polizei an sie heranzukommen. Für einen richtigen Kopfstand, der die Druckstellen des Gurtes entlastet und die Muskelpumpe in Bewegung gebracht hätte, war ihr Zustand bereits zu kritisch. Das lange Hängen am Seil ohne Entlastungsmöglichkeit hatte eine verminderte Durchblutung zu den Organen zur Folge. Die anschließende Bewegung überlastete plötzlich diese Organe und führte zu einem – zum Glück nur leichten – Schock: Schwindelgefühl, Erbrechen, Erschöpfung, Zuckermangel waren die Symptome. Es dauerte noch eine ganze Weile, bis die Aktivistin sich in Bewegung nach oben zu ihrer Hängematte setzen konnte. Sie stand sichtlich unter Schock.
Dass die Handlung der Polizei um 22 Uhr irgendwie völlig überflüssig und kopflos war, zeigte sich beim Schichtwechsel dann am frühen morgen. Die Polizei leitete die ArbeiterInnen über Wirtschaftswege aus dem Kraftwerk heraus, statt Gewalt gegen die BlockiererInnen über und auf der Straße auszuüben. Es geht doch anders… Ob die Anwesenheit eines Rechtsanwalts der DemonstrantInnen die Polizei plötzlich zu Besonnenheit rief?
Zwei Stunden durfte also die Kletterin auch der Wache verbringen. Vor der Polizeiwache wurde lautstark protestiert und die Aktivistin schließlich frei gelassen – ohne Durchführung von irgendwelchen erkennungsdienstlichen Maßnahmen. Die Betroffene nannte dies Willkür und Schikane, ihr Anwalt sprach von Freiheitsberaubung.
Die Polizei hat die Versammlung gesprengt, eine Kletteraktivistin verletzt und in Lebensgefahr gebacht. In der Zeitung hieß es aber, die Polizei werfe AktivistInnen « Nötigung, gefährlicher Eingriff im Straßenverkehr und Beleidigung » vor. Vor Gericht sind alle Menschen gleich, aber manche – die, die eine Uniform tragen – sind gleicher.
Komme was komme. Es war auf jeden Fall ein erfolgreiches Protestwochenende.
Presseschau (nicht ausführlich)