Marianne Fritzen ist in der Nacht vom 7. auf den 8. März 2016 im Alter vom 91 Jahren gestorben. Über diese Frau, die den Antiatomwiderstand in Gorleben stark geprägt hat, hat es zahlreiche Nachrufe gegeben. Selbst das Bundesumweltministerium (!) hat eine Pressemitteilung heraus gegeben. Ob dies im Geschmack von Marianne gewesen wäre? Ich mag dies zu bezweifeln, denn ihr Engagement richtete sich gegen die Politik von Berlin, gegen die Atomkraft und die Festlegung auf Gorleben für ein Endlager. Mir gefällt die Würdigung ihrer Arbeit durch die BI Lüchow Dannenberg besser! Sie war Mitgründerin und jahrelang Vorsitzende der BI. Ich mag hier keinen weiteren „Nachruf“ schreiben. Sondern mit eigenen Worten aufschreiben, weshalb ihr Tod mich betroffen macht.
Marianne war sicherlich ein ganz anderer Mensch als ich. Allein ihre katholische Prägung war nicht meins. Ich halte nicht viel von Religionen. Ich erinnere mich aber an den Menschen Marianne, an unseren Austausch. Ich habe sie in einem schwierigen Moment kennen gelernt und sie hat mir Kraft gegeben, weiter zu kämpfen. Unsere erste Begegnung war im November 2008 in einer Kneipe in Trebel. Es war CASTOR-Zeit. Ich irrte herum, auf der Suche nach menschlicher Wärme und auf der Flucht vor Begegnungen mit der Polizei. Ich war gerade erst aus dem Braunschweiger Polizeikeller, wo Kälte und Psychoterror herrschten, entlassen worden. Die Polizei hatte mich – zur Verhinderung einer möglichen Ordnungswidrigkeit in der Form vom (Baum)klettern über der CASTOR Strecke – präventiv in Gewahrsam genommen und nach Braunschweig verschleppt. Mir war bis zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt, dass es hierzulande Gesetze gibt, wonach Menschen ohne Prozess ohne Vorwurf gegen sie tagelang weggesperrt werden dürfen, nur weil die Polizei die vage Vermutung hat, sie wollen eine – vielleicht – Ordnungswidrigkeit begehen. Eine Festnahme in der Möglichkeitsform. Ich war auf eine solche Situation nicht vorbereitet. Die Haftbedingungen waren unmenschlich. Ich erlitt einen nervlichen Zusammenbruch und wurde schließlich nach 3,5 Tage Haft entlassen – aus gesundheitlichen Gründen. Ich irrte also nach meiner Freilassung in Trebel herum – auf der Suche nach menschlicher Wärme und nicht allzu nah an der CASTOR-Strecke aus Furcht vor einer weiteren willkürlichen Verhaftung. Der Zufall brachte mich neben dem Tisch an dem Marianne saß. Ich hatte bereits von ihr gehört und ein bisschen was über sie gelesen. Ich erkannte sie an ihrem leichten französischen Akzent. Wir fingen an uns halb auf Deutsch halb auf Französisch zu unterhalten. Ich glaube, Marianne hat vor allem zugehört. Er ging mir nicht gut, ich hatte das Bedürfnis über das gerade Erlebte zu sprechen und dies war wunderschön, es in meiner Muttersprache tun zu können. Ich war voller Emotion und weiß nicht mehr so genau worüber wir redeten. Ich weiß aber noch, dass sie mir auch von einigen ihrer schwierigen Erfahrung erzählte und dass sie die richtigen Worte fand, mir Kraft zum weiter kämpfen zu geben. Widerstand lebt von den Menschen, die gemeinsam kämpfen.
Ich traf dann im Sommer 2009 erneut auf Marianne in Gorleben. Wir erinnerten uns an die Begegnung aus dem vorigen November. Marianne schenkte mir zusammen mit Susanne Kamien ein Buch: „Übermacht und Phantasie – Geschichte(n) des Gorleben Widerstandes“. Darin kommt Mariannes als interviewte zu Wort. Ich gehöre zu einer jüngeren Generation, die Anfänge des Antiatom-Widerstandes nur aus Erzählungen und Büchern kennt. Ich schätze das Buch, das Marianne mir schenkte sehr. Auf dem Bild ist die Widmung aus dem Buch zu sehen 🙂
Ich habe Marianne 2012 bei ihrem 88 Geburtstag an den Atomanalgen erneut gesehen. Die Kampagne „Gorleben 365“ lief seit einer Weile, die Deutsch-Französische Blockade war dran. Es war ein schönes Erlebnis, gemeinsam und generationsübergreifend zu demonstrieren.
Dafür bleibt mir Marianne in Erinnerung. Gemeinsam sind wir stark. Ich finde es schön, sie kenne gelernt zu haben. Wir haben immer voneinander zu lernen. Und es immer traurig, wenn eine Mitkämpferin stirbt.
Und ja: Niemals aufgeben!