Wenn erniedrigende folterähnliche Behandlungen zur Schulung von PolizeibeamtInnen gehören, sollte man sich nicht über Misshandlungen in Polizeizellen wundern!
Ein Eichhörnchen Kommentar aus aktuellem Anlass
Bild: Ausstellung mit Folter-Bildern « zu polizeiinternen Schulungszwecken » in einem Polizeigewahrsam in Braunschweig. Zu sehen: ein Mensch der an Händen und Füssen im Rücken gefesselt ist, eine Delle in der Wand mit der Überschrift Kopfstoß gleich koplos aus dem Holzrahmen um die Delle, etc. (Bildquelle BIBS, Begehung von Dezember 2008)
Ein Skandal um polizeiliche Misshandlungen im Polizeigewahrsam der Bundespolizei in Hannover sorgt gerade für Schlagzeilen in den Medien (NDR-Bericht). Ich habe die Berichtserstattung mit Interesse verfolgt – mit dem Thema Polizeigewalt und Misshandlungen durch die Polizei beschäftige ich mich schließlich auf Grund der eigenen unschönen Erfahrungen mit der Polizei notgedrungen schon seit mehreren Jahren.
Dass es um abscheuliche Polizeigewalt geht, darüber sind sich die Kommentatoren und Experten einig. Aufgefallen ist mir jedoch, dass sehr schnell auf einen Einzeltäter und wenige Mitwisser fokussiert wurde. Es ist bequem, wenn man einen Schuldigen nennen kann und sich um eine Auseinandersetzung mit dem System, dass die Vorfälle erst möglich gemacht hat, drücken kann.
Der „Skandal“ in Hannover ist aber weder ein Einzelfall noch das Werk eines Einzeltäters. Das System Polizei macht dies möglich.
Das System Polizei macht es möglich, weil es keiner Kontrolle unterstellt ist. In einem Polizeigewahrsam sind Gefangene den Beamten ausgeliefert. Die BeamtInnen wissen dies und fühlen sich sicher. Tür und Tor sind für Exzesse jeder Art geöffnet.
Es gibt keine externe neutrale Augenzeuge. Der Korpsgeist, der unter PolzeibeamtInnen herrscht, verhindert, dass Fälle von Misshandlungen und Gewalt nach außen dringen. Wer Vorfälle meldet, gilt als VerräterIn und wird gemobbt. Wer Vorfälle meldet, ist faktisch seinem Job los. In der Regel erfährt niemand davon.
Viele Opfer von Polizeigewalt haben gar keine Möglichkeit sich auch im Nachhinein dagegen zu wehren. Die meisten sind eingeschüchtert, schämen sich und trauen sich erst gar nicht die Vorfälle publik zu machen. Flüchtlinge ohne gesichertes Aufenthaltsstatus sind das perfekte Opfer, es ist nicht damit zu rechenen, dass sie sich über die Polizeigewalt öffentlich beschweren werden und als « Flüchtlinge » haben sie von vorne herein schlechte Karten um sich zu wehren.
Opfer, die solche Vorfälle öffentlich machen und Strafanzeige erstatten, müssen damit rechnen, in einer noch schwierigeren Situation zu geraten. Opfer von Polizeigewalt wird oft einfach nicht geglaubt, wenn Uniformierten eine andere Story erzählen. Das Opfer muss sogar mit einer Gegenanzeige rechnen! Dies ist mir mehrfach passiert: in einem Fall wurde ich im Zuge einer Festnahme nach einer Baumbesetzung in Lüneburg auf einer Polizeiwache nackt ausgezogen und ein Arm wurde mir dabei fast ausgekugelt (ich musste ins Krankenhaus wo Zerrungen am Schulter festgestellt wurden). Ich zeigte die Polizeibeamten an. Das Ergebnis war dann ein Strafverfahren gegen mich wegen „falscher Verdächtigung“, dass irgendwann großzügig von der Staatsanwaltschaft wegen Geringfügigkeit eingestellt wurde.(Az. der Polizei PI LG/DAN/UE 20081141239)
In einem anderen Fall wurde ich in Essen anlässlich einer Protestaktion gegen EON derart misshandelt, dass ich bewusstlos wurde und später ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Wenn ich um Einsicht über zu meiner Person in Polizeidateien gespeicherten Daten frage, ist zu lesen, dass der Vorgang mit „Vortäuschung einer Straftat“ gespeichert ist. (Az 201200609917 bei der PI Lüneburg, die fleißig alles speichert, auch wenn es mit Lüneburg nix zu tun hat).
In Hamburg wurde ich 2011 anlässlich einer plakativen Aktion gegen den Konzern Vattenfall zu Unrecht in Gewahrsam genommen und dabei verletzt: die Beamten setzten Handbeugegriffe an meine rheumakranken Gelenke ein, trotz Vorzeigen meines schwerbehinderten Ausweises, im Anschluss verweigerten sie mir ärztliche Hilfe weil es „Sonntag“ sei, ich lag eine Zeitlang am Boden vor Schmerzen kauernd und heulend in der Zelle ohne das ein Arzt gerufen wurde. Das Verwaltungsgericht stellte die Rechtswidrigkeit des Polizeieinsatzes fest (Az. 5 K 1971/11 Verwaltungsgericht Hamburg ).
In einem weiteren Verfahren konnte ich 500 Euro Schmerzensgeld erstreiten, dass das Land Hamburg mir zahlte. Für die verantwortlichen BeamtInnen hatten die Misshandlungen keinerlei Folgen. Das von Amts wegen eingeleitete Strafverfahren gegen die BeamtInnen wurde durch die Staatsanwaltschaft eingestellt. Mit der Begründung, dass ich selber Schuld sei. Ich hätte mich ja kooperativ zeigen können und an der eigenen rechtswidrigen Gewahrsamnahme (Freiheitsberaubung!) aktiv mitwirken können, die BeamtInnen hätten dann keinen Zwang angewendet, ich wäre entsprechend nicht verletzt worden.
In Gießen wurde ich 2009 zu Unrecht wegen „Kreidemalen“ festgenommen und im Polizeigewahrsam misshandelt (u.a. nackt ausgezoehen, Schlafentzug, Licht die ganze Nacht an, Klogang unter unmittelbare Beobachtung in einer Toilette ohne Tür, …). Die Rechtswidrigkeit wurde durch ein Oberlandesgericht ( Az. 20 W 264/09 Oberlandesgericht FFm ) und ein Verwaltungsgericht (9 K 1707/09.GI VG Gießen) festgestellt, der Einsatzleiter machte vor dem Verwaltungsgericht eine Falschaussage, diese konnte durch einen Videobeweis widerlegt werden. Für die eingesetzten BeamtInnen hatte dies wiederum keine negativen Konsequenzen.
Der verantwortliche Einsatzleiter, EPHK Klingelhöfer, wurde sogar zum Leiter einer Polizeidirektion befördert. Seine Falschaussage wurde nicht verfolgt, weil er diese noch in der Verhandlung zurück genommen hatte, als das Video, dass das Gegenteil seiner Aussage bewies, vorgezeigt wurde. Ohne Videobeweis wäre ich sicher nicht geglaubt worden.
Das Strafverfahren gegen die eingesetzten BeamtInnen wurde zunächst eingestellt, weil die Staatsanwaltschaft die Meinung vertrat, die Handlung der Beamten sei nicht schuldhaft, sie wussten ja nicht dass es rechtswidrig ist, Menschen „zur Verhinderung von politisch motivierten Aktionen“ festzunehmen (Irrtum über Tatumstände).Link zur Verfügung. Nach einer Beschwerde wurde das Verfahren nach einer anderen Rechtsgrundlage eingestellt: Geringfügigkeit. Freiheitsberaubung ist „geringfügig“.
Die 1500 Euro Schmerzensgeld, die ich nach Jahre langer juristischer Auseinandersetzung vor einem Zivilgericht erstritten habe, wurden durch das Land Hessen ausgezahlt – die Verantwortlichen BeamtInnen wurden nie belangt.
Auch sind mir schon öfter rassistische Polizisten begegnet. Nein, dies ist auch kein Einzellfall. Ich habe nie erlebt, dass Kollegen auf die rassistischen Bemerkungen anderer jemals reagiert haben. Der Korpsgeist schon wieder. Dabei bin ich keinesweg ein „typisches“ Opfer rassistischer Gewalt, dass ich „Ausländerin“ bin, sieht man mir nicht an. Als EU-Bürgerin sehe ich mich als privilegiert an. Ich mag mir nicht ausmalen, was mir passieren würde, würde ich eine dunkele Haut haben und aus dem „falschen“ Land stammen… Trotzdem bekomme ich immer wieder zu hören, dass ich hier nichts zu suchen hätte (dixit Hamburger Polizei vor wenigen Wochen), dass man mich nach Straßburg oder Paris abschieben werde (habe ich sehr oft in Bayern und BaWü zu hören bekommen).
Das sind nur einige Beispiele aus der eigenen Erfahrung. Von „Einzellfall“ und „Einzeltäter“ kann nicht die Rede sein! Es hat System! Das System Polizei macht das möglich! Den BeamtInnen passiert in der Regel ja nichts, wenn sie eigene Gesetze brechen und Menschen missachten. Das gehört bei der Polizei zur Normalität und gar zu ihrer Ausbildung! Es wurde mir sogar im Namen der Bundesregierung mitgeteilt, dass Misshandlungen bei der Polizei zur Normalität gehören, das wird so
gar geschult!
Ader wie soll ich die Stellungnahme der Bundesregierung in meinem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (Application no. 80442/12 – Lecomte vs. Germany) interpretieren, wenn nicht so, dass erniedrigende und folterähnliche Behandlungen als normal gelten?
Es geht in diesem Verfahren um meine 4-tätige Ingewahrsamnahme 2008 anlässlich eines Castortransportes nach Gorleben. Die Polizei hatte die Befürchtung, dass ich, wenn der Castor kommt, einen Baum an der Castorstrecke erklimme, was eine Ordnungswidrigkeit darstellen kann. Um dies zu verhindern wurde ich 4 Tage in einem Polizeikeller in Braunschweig weg gesperrt. Im Gewahrsamtrakt gab es eine Fotoausstellung. Auf den Bildern waren „Fesselungsbeispiele“ abgebildet. Ein Mensch wurde in erniedrigender Haltung abfotografiert. Hände und Füße waren zusammen gefesselt. Ein anderes Bild war gar kein Bild. Es war eine Delle in der Wand, etwa auf Kopfhöhe. Auf dem Holzrahmen rund um die Delle stand die Überschrift „Kopfstoß gleich Kopflos“.
Ausstellung im Braunschweiger Polizeigewahrsamstrakt 2008
Bildunterschrift Links für die Delle in der Wand: « Kopfstoß gleich Kopflos »
Wenn ich Bilder dieser Ausstellung zeige, sind die Menschen schockiert. Wir haben Bilder der Ausstellung bei einer Besichtigung des Gewahrsamtrakts mit Menschenrechtler und einer Abgeordneten im Dezember 2008 aufnehmen können. Ich habe die Angelegenheit öffentlich machen wollen. Es hat damals keine große Öffentlichkeit interessiert: ich wurde schließlich ja nicht selbst gefoltert, es waren ja nur Bilder von Folter, wenn kein Blut fließt, interessiert es die Öffentlichkeit nicht – das ist natürlich fatal, weil ausgerechnet solche Bilder dazu beitragen, die Hemmungen von „Einzeltäter“ abzubauen. Misshandlungen werden nicht mehr als Misshandlung betrachtet, dass entrpricht doch was man jeden Tag sieht. Nein, der „Einzeltäter“ aus Hannover der gar kein Einzeltäter ist hat nichts erfunden! Er gehört einfach zur Normalität des Systems! Die Bundesregierung teilt dem EGMR im Verfahren um meine Ingewahrsamnahme unverblümt mit, dass die Bilder „zu polizeiinternen Schulungszwecken“ in dem Polizeigewahrsam hingen.
Eine Delle in der Wand zu Schulungszwecken? Folter zu Schulungszwecken? Die Dargestellten Fesselungen verstoßen gegen die Forderungen vom Europäischen Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT ). Das hat die Polizeidirektion Braunschweig bereits schriftlich eingeräumt.
Aus der Stellungnhame der Bundesregierung:
Rn. 77 „ Die Bundesrepublik möchte an dieser Stelle deutlich ihr Bedauern darüber zum Ausdruck, dass die Bilder für die Beschwerdeführerin beeinträchtigend gewirkt haben.Nach Darstellung der Polizeidirektion Braunschweig, handelte es sich bei den Bildern ausschließlich um Fotografien von Mitarbeitern des Polizeigewahrsams, die die dargestellten Situationen zu polizeiinternen Schulungszwecken simuliert haben. Eine Einschüchterung sei nicht beabsichtigt gewesen. „
Die Bundesregierung reichte darüber hinaus eine Stellungnahme der Polizeidirektion Braunschweig an die Polizeidirektion „Küneburg“ein. Dort wird erläutert was mit Schulungszwecken gemeint ist.
Die Delle in der Wand war sicher zu Ausbildungszwecken da, damit die Beamten lernen, wie man Gefangenen den Kopf gegen die Wand stößt und anschließend behauptet, dass diese sich selbst verletzt haben? Das ist doch eine Steilvorlage für alle möglichen Exzessen, wenn in der « Schulung » schon vermittelt wird, dass man Menschen verachten darf!
Schon im früheren Verfahren hatten mir die Gerichte geschrieben, dass sie sich für die Forderungen vom Europäischen Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT ) nicht interessieren (schwarz auf weiß im Beschluss des AG Lüneburg zu lesen). Aus diesem Grund ist die Sache vor dem EGMR anhängig.
Siehe auch Berichte vom 23.2. 2015 und 24.11.2014 darüber
Siehe auf meine Datei « PMPK«
Ich will den (Rechts)Staat lieben, aber ich schaffe es einfach nicht….