Ordnungshaft als Herrschaftsinstrument

Gwr491 Artikel vom Eichhörnchen

Wer seine Grundrechte vor Gericht verteidigt, fährt ein

Am 18. Juli 2024 wurde Ibi, eine Aktivistin, bei einer Gerichtsverhandlung in Flensburg wegen einer Abseilaktion über der A7 festgenommen und für eine Woche in Ordnungshaft gesteckt. Ordnungshaft können Richterinnen verhängen, wenn Angeklagte oder Zuschauerinnen sich „ungebührlich“ verhalten. Der Vorfall empörte zahlreiche Menschen. Viele folgten dem Soliaufruf, Ibi Briefe zu schreiben. Einige hörten zum ersten Mal den Begriff „Ordnungshaft“ oder „Ungebühr“. Letzterer kennt das Rechtsschreibprogramm meines Computer auch nicht.

„Die Betroffene hat sich in der heutigen Hauptverhandlung einer Ungebühr schuldig gemacht, § 178 GVG. Die Betroffene hat auf besonders krasse Weise die Würde des Gerichts missachtet.“ So die Formulierung in einem Gerichtsbeschluss zur Ordnungshaft. Aber was ist denn schon „Ungebühr“? Was ist denn schon „Würde“?

In Flensburg wurde die „Ungebühr“ damit begründet, dass Ibi sich weigerte aufzustehen und das Wort ergriff, um Anträge zu stellen, die laut Strafprozessordnung zu Anfang gestellt werden müssen. Ihr Vergehen war es, ihre Rechte als Angeklagte durchsetzten zu wollen. Die Verhandlung wurde ohne sie, mit den übriggebliebenen Angeklagten fortgeführt.

„Wenn das Einfordern seiner Rechte vor Gericht Ungebühr ist, bin ich gern ungebührlich.“ Schrieb ich 2017 als ich bei einer Gerichtsverhandlung in Heilbronn in eine ähnliche Situation wie Ibi geraten war (die GWR berichtete, Tagebuch im Blog). Ordnungshaft ist ein Sondergesetz für Richter*innen, die freie Menschen unter ihre Kontrolle bringen wollen.
Sie entscheiden alleine darüber was eine „Ungebühr“ ist und was sie zu Protokoll geben. Besagtes Protokoll gilt dann als Wahrheit, es gibt keine Zeugenvernehmungen, keine Beweisaufnahme. Der Richter ist Richter, in eigener Sache. Der Willkür stehen Tür und Tor offen. Ordnungsmaßnahmen dürfen durch das Gericht beliebig oft verhängt werden. Dabei muss zwar auf die Verhältnismäßigkeit geachtet werden, die Praxis im Fall Ibi zeigt jedoch, dass sowohl der Begriff der Ungebühr als auch der der Verhältnismäßigkeit sehr dehnbar sind. Ibi hat gleich eine Woche aufgebrummt bekommen. Das ist das Maximum, was auf einmal verhängt werden darf.

Ich durfte Ibi im Gefängnis in Lübeck besuchen. Nach ihrer Definition von Ordnungshaft gefragt, erklärte sie mir:
„Ordnungshaft ist ein Relikt aus dem Mittelalter, wo Richter allein entschieden. Eine Überprüfung ist so gut wie unmöglich. Es ist ausschließlich ein Herrschaftsinstrument es geht nur um Respekt, nicht um irgendeine Straftat. Aber Respekt ist eine innere Haltung und damit nicht erzwingbar.“
Die gegen emanzipatorische Bewegungen gerichtete Repression hat viele Gesichter: präventive polizeiliche Maßnahmen, Polizeigewalt, zivilrechtliche Forderungen, Strafprozesse, Geld- und Gefängnisstrafen, sowie die weniger bekannten Ordnungsmaßnahmen, wegen „Ungebühr“ bei einer Gerichtsverhandlung. Gerichte sind dazu da, die herrschenden Verhältnisse aufrecht zu erhalten. Gerade durch die vorgeschriebenen Rituale des Sich-Erhebens im Gericht sollen sie als Herrschaftsinstrument von allen legitimiert werden.
„Ich versuche den Kopf oben zu halten und Kraft aus meinen Überzeugungen zu ziehen – schließlich bin ich hier, weil ich ihr Herrschaftssystem ablehne und dafür in mir was brennt – bisher klappt das ganz gut.“ Das schrieb Ibi in einem Brief aus dem Gefängnis.
Die Flamme des Widerstands brennt.

Eichhörnchen

Infos:

Brief von Ibi aus dem Gefängnis
Prozessbericht zum ersten Verhandlungstag