Recht Auf Stadt – Redebeitrag der Seebrücke

Kundgebung in Lüneburg Kaltenmoor zu 150 Jahre Pariser Kommune. Forderung nach einem Sicheren hafen und Solidarity-City.

spruch Solidarity city mit bunter kreide auf dem Boden
Seebrücke sprach zum Konzept "Solidarity City"

Gesprochen am 28.5.2021 auf der Kundgebung in Lüneburg Kaltenmoor zu 150 Jahre Pariser Kommune. Forderung nach einem Sicheren hafen und Solidarity-City.

wir sind Marianne und Leonie von der Seebrücke Lüneburg. Unsere Forderung, Lüneburg, wie zahlreiche andere Kommunen, zum Sicheren Hafen zu machen, ist euch sicher schon bekannt. Nur ganz kurz für diejenigen, die mit dem Begriff „Sicherer Hafen“ nichts anfangen können:

Ein Sicherer Hafen ist eine Stadt oder eine Kommune, die sich für neue und stärkere Programme zur legalen Aufnahme geflüchteter Menschen stark macht – und selbst mehr Kompetenzen fordert, um auch eigenständig Menschen helfen zu können. Sichere Häfen „sollen deutlich signalisieren, dass sie bereit sind, mehr Menschen als bisher aufzunehmen. Sie sollen alle nötigen Ressourcen für die menschliche Versorgung und die gesellschaftliche Teilhabe der Ankommenden bereitstellen. Und wir wollen, dass sie sich energisch für sichere Bleibeperspektiven der Menschen einsetzen.“1

Hier in Lüneburg kämpfen und verhandeln wir schon seit beinahe drei Jahren mit dem Lüneburger Stadtrat und die Umsetzung unserer Forderungen scheitert immer wieder an durchaus wichtigen Punkten. Dennoch machen wir Fortschritte und wir hoffen, dass auch Lüneburg bald ein Sicherer Hafen sein wird. Der Landkreis Lüneburg hat uns seine Unterstützung signalisiert und im Juni werden die Vertreter:innen des Kreistags darüber abstimmen, ob der Landkreis die Patenschaft für ein ziviles Seenotrettungsschiff, das geflüchtete Menschen aus dem Mittelmeer rettet, übernimmt.

Doch was würde passieren, wenn die Forderungen der Seebrücke umgesetzt würden und wieder mehr und mehr Menschen ihr Recht auf Bewegungsfreiheit ohne Hürden nutzen könnten, vom Grenzregime nicht gehindert würden, diesem Menschenrecht nachzugehen, nicht in Lagern und Camps festgehalten würden und in den Kommunen ankämen?

Wir denken, dass an dieser Stelle und auch jetzt schon das Konzept der Solidarität greift. Zahlreiche antirassistische Bewegungen setzen sich für das Recht zu bleiben und zu gehen und für das gute Leben für alle ein. Eine der Bewegungen fokussiert sich auf das Leben in der Stadt oder der Kommune, nämlich die auch in Europa angekommene Solidarity City Bewegung. Die Idee einer Solidarity City, also einer solidarischen Stadt, greift Grundideen der Pariser Kommune auf.

Eine Solidarity City ist eine Stadt, aus der kein Mensch abgeschoben wird, in der sich alle frei und ohne Angst bewegen können, in der kein Mensch nach einer Aufenthaltserlaubnis gefragt wird, in der kein Mensch illegal ist. „In einer solchen Stadt der Solidarität sollen alle Menschen das Recht haben, zu leben, zu wohnen und zu arbeiten. Allen Menschen soll der Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung gewährt werden. Alle Menschen sollen teilhaben und das Stadtleben mitgestalten können – unabhängig von Aufenthaltsstatus, finanziellen Möglichkeiten, Hautfarbe, Geschlecht, Sexualität, Religion, … In vielen Städten in Deutschland, Europa und der ganzen Welt ist der Prozess, eine Solidarity City zu werden, schon in vollem Gang.“2

So macht sich in Berlin seit über einem Jahr ein Zusammenschluss verschiedener Gruppen für einen Gesundheitsschein für alle Menschen (unabhängig ihres Aufenthaltsstatus) stark, in Zürich wurde kürzliche die Züri City Card eingeführt und vom Stadtparlament abgesegnet. Damit können sich alle Züricher:innen ausweisen, der staatliche Aufenthaltsstatus tritt für das städtische Dasein in den Hintergrund und Menschen mit illegalisierten Papieren können sich wieder frei in Zürich bewegen, ohne Angst vor Kontrollen oder Abschiebungen haben zu müssen.

Allerdings ist nicht zu unterschätzen, dass Kommunen hier in Deutschland bspw. sehr geringen Einfluss auf die polizeiliche Praxis haben oder auch das Aufenthaltsrecht bundespolitisch geregelt ist, wenn es auch einige kommunale Spielräume und Möglichkeiten gibt, die es auszuhandeln und stärker auszureizen gilt.

„Das Modell der Solidarity City kommt aus Toronto und wird dort seit mehr als 10 Jahren von einem Bündnis unterschiedlicher Initiativen durchgesetzt. Der City Council hat Toronto im Jahre 2013 zur Sanctuary City erklärt. Sanctuary Cities bestehen in den USA und Kanada schon seit den 1980er Jahren. Sie definieren sich dadurch, dass die Stadtregierung die Polizei unterweist, keinen Menschen in Bezug auf den Aufenthaltsstatus zu kontrollieren. Dadurch entsteht ein faktisches Bleiberecht in der Stadt. Das ist auch Basis der Forderung nach einer Solidarity City und Voraussetzung dafür, solidarische Orte und Strukturen einer „Stadt für Alle“ zu entwickeln – für ein Miteinander, bei dem Menschen unabhängig von Status und finanziellen Kapazitäten wohnen, arbeiten und leben können.

Bei der Bewegung hin zu einer Solidarity City laufen verschiedene Prozesse parallel: Es geht darum, dass sich viele Initiativen, Gruppierungen und Einzelpersonen der Stadt vernetzen, um damit unter dem Solidarity-City-Schirm zusammenzubringen, was es an Ideen und Initiativen in der eigenen Stadt schon gibt. Es geht auch darum, neue Räume und Möglichkeiten zu schaffen, zu erkämpfen, zu besetzen. Es geht um Verhandlungen mit kommunaler Politik und Verwaltung und es geht um Kampagnenarbeit. So schaffen wir selbst die Strukturen einer Solidarity City und fordern deren Anerkennung und Sichtbarmachung ein.“3

Wir denken, dass wir uns genau diese Schritte und weiteren Zusammenschlüsse in Lüneburg zur Aufgabe machen sollten. Klar, es passiert schon ganz viel und es gibt viele solidarische Zusammenschlüsse in der Stadt. Doch all das kann man noch viel weiter ausreizen – auch im Hinblick auf das Leben geflüchteter Menschen in Lüneburg. Darum ist es gut, dass es diese „Recht auf Stadt“ Kampagne jetzt gibt, die es uns ermöglicht, viele wichtige, aktuelle Themen, Initiativen und Ideen unter einem Schirm zusammenzubringen. Wir brauchen nicht nur sichere Fluchtwege, Seenotrettung und globale Bewegungsfreiheit. Wir brauchen eine Evakuierung aller Lager und eine menschenwürdige Unterbringung und medizinische Versorgung für alle Menschen. Wir brauchen gleiche Rechte, Sicherheiten und Möglichkeiten zur Teilhabe. Und wir brauchen eine Freigabe der Impfpatente, damit allen Menschen der Zugang zu lebensrettenden Impfungen und Medikamenten ermöglicht wird. Weg von der Profitlogik. Hin zu mehr Menschlichkeit.

Sicherlich dreht auch ihr an einigen Stellschrauben, um das Wohnen und freie sowie selbstbestimmte Leben in Lüneburg für Alle zu ermöglichen. Lasst uns gemeinsam unsere Kämpfe sichtbar machen! Lasst uns diese Veranstaltung sowie die in der letzten Woche als einen Auftakt verstehen, sich für eine solidarische, lebenswerte und sichere Stadt für Alle stark zu machen und sich zu vernetzen!

No Border, No Nation, Stop Deportation!

1 https://seebruecke.org/sichere-haefen/ueberblick/

2 https://solidarity-city.eu/de/selbstverstaendnis/

3 https://solidarity-city.eu/de/selbstverstaendnis/