Castor Knast- und Aktionsbericht Teil VIII – geschlossener / offener Vollzug, ich blicke nicht wirklich durch…
Nach dem Essen gehen wir in Annes Zelle. Wir haben bis zum einsamen Einschluss um 20 Uhr noch eine Stunde Zeit. Anne will eine Zigarette rauchen, und das ist nur in der Zelle erlaubt. Ich habe niemals geraucht, selbst das Passivrauchen ist für mich eine Horrorvorstellung; nun nehme ich es ausnahmsweise in Kauf – ich glaube, ich bin hier einfach die einzige Nichtraucherin – und arrangiere mich damit dank dem offenen Fenster – weil die Heizung zentral gesteuert und viel zu heiß aufgedreht wird, muss das Fenster so oder so dauerhaft offenbleiben – Umweltschutz ist für Anstaltsleitung offenbar ein Fremdwort. Hier werden lediglich Menschen wie Waren verwaltet.
Eine Frau, die hier wegen « Schwarzfahren » einsitzt, gesellt sich zu uns.
Maria* ist seit zehn Tagen hier und kommt Anfang Januar wieder frei. Weil sie kein Geld hat, muss sie hier Tagessätze absitzen, Ersatzfreiheitsstrafe nennt sich das. Ich betrachte dies als Klassen-Justiz. Wer Geld oder Unterstützung hat, kann seine Geldstrafe bezahlen. Wer keins hat, muss diese absitzen. Und wenn die Gefangene Pech hat, kommt es noch schlimmer: sie verliert wegen der Haftzeit Wohnung, Arbeitsplatz, Ausbildungplatz.
Ich denke an Franziska, eine Freundin, die aus politischer Überzeugung eine Ersatzfreiheitsstrafe wegen einer Ankettaktion gegen den Castortransport 2008 hier in der JVA Preungesheim absitzt. Franziska befindet sich allerdings im offenen Vollzug – und weiß von meinem Aufenthalt hier im « Geschlossenen » nichts. Wir haben leider keinen Kontakt zueinander – und auf dem Schwarzbrett hier steht, dass Gefangenen des B-Flügels, die einer anderen Gefangenen in eine andern Station schreiben wollen, die kostenlose « Hauspost » nicht mehr in Anspruch nehmen dürfen – das scheint eine relativ neue Regelung zu sein. Der Brief muss frankiert werden.
Im offenen Vollzug sind die Haftbedingungen, so weit ich weiß, etwas lockerer als hier: Die Gefangenen dürfen länger in den Hof, und es gibt keinen Einschluss in der Zelle. Die Hafträume sind nicht vergittert. Die Gefangenen dürfen ihre eigene Kleidung tragen und ihre Bücher mit in die Zelle nehmen. Dafür gibt es im offenen Vollzug scheinbar weniger « Freizeitangebote » als im Geschlossenen. Natürlich ist auch der offene Vollzug nicht frei von absurden Regeln und Verboten. Als eine Art Damoklesschwert wirkt dort der geschlossene Vollzug über die Gefangenen, denn sie können jederzeit mit einer Verlegung dorthin bestraft werden.
Ich verstehe eigentlich nicht warum Maria hier im geschlossenen Vollzug einsitzt. Drei Monate sind eine relativ kurze Strafe – Franziska sitzt eine ähnlich lange Strafe ab, sie wurde zu 80 Tagessätzen wegen angeblicher Nötigung verurteilt. Und mit meinen drei Tagen sitze ich auch im Geschlossenen ein. Daserscheint willkürlich. Wir blicken alle drei nicht wirklich durch.
Mit Anne tausche Adressen aus ; Ich will ihr schreiben, wenn ich wieder in Lüneburg bin. Vielleicht kann ich ihr helfen, indem ich Adressen im Internet heraussuche und ihr per Post schicke – damit sie eine Ausbildung für die Zeit nach dem Gefängnis findet.
Ich schenke ihr weiter das Shampoo und die Seife, die ich übrig habe. Sie traut sich kaum, diese Gegenstände anzunehmen, obwohl sie sich tierisch darüber freut. Sie erzählt mir, mensch muss mit schenken im Gefängnis sehr vorsichtig sein – manchmal hilft es den Betroffenen überhaupt nicht, es kann zu Eifersucht und Ausgrenzung führen. Schenken ja, aber das sollen andere Mitgefangene möglichst nicht mitbekommen! Ich verabschiede mich von Anne und Maria und schäme mich, morgen zu gehen und die beiden hier zurückzulassen, ohne ihnen viel helfen zu können. Meinen Aufenthalt hier werde ich nicht vergessen!
Auf dem Weg zu meiner Zelle schenke ich noch einer Mitgefangenen Zucker – und achte darauf, dass es andere Frauen nicht sehen. Zucker gilt hier im Gefängnis als eine sehr wertvolle Ware. Zucker wird nur den « Zugängen » und nur ein einziges Mal am ersten Tag ausgeteilt, danach müssen ihn die Gefangenen im überteuerten Gefängnisladen selbst kaufen. Und das geht nur alle zwei Wochen.
Um 20 Uhr ist wieder Einschluss – für mich zum letzten Mal bis zu meiner Entlassung um 5 Uhr morgens. Ich schreibe mein Tagebuch und gehe früh ins Bett. Die stündliche « Lebenskontrolle » und meine Aufregung hindern mich lange am Einschlafen. Im Radio kommt die Nachricht, der Castortransport habe begleitet von zahlreichen Protesten sein Ziel Gorleben erreicht. Das war der längste Castortransport aller Zeiten. Ich fühle mich sehr aufgewühlt. Tränen kommen mir in die Augen. Ich weiß mehr als sonst, wofür ich stehe. Und ich bin mir sicher: Niemals werde ich aufgeben!
(*) Vorname geändert
Mein Fazit: Gezeichnet aber gestärkt! Sowohl in meiner politischen Überzeugung als auch im Umgang mit Repression (diesen Beitrag habe ich nach meiner Entlassungaus dem Gefängnis geschrieben)