Eichhörnchen Artikel aus der Zeitschrift Graswurzelrevolution Nr. 411, September 2016
In der Ortschaft Bure (Lothringen), unweit der deutschen Grenze, will die französische Regierung ein Endlager für hoch radioaktivem Müll in tiefen geologischen Tonschichten bauen. Das Vorhaben wurde CIGÉO getauft. (Siehe „Bure – Atomklo für immer?“, in: GWR 402, Oktober 2015)
Die ANDRA (Nationale Agentur zur Entsorgung von radioaktivem Müll), Bauherrin von CIGÉO, hat Anfang Juni 2016 mit der Rodung eines Waldes Namens „Bois Lejuc“ in Mandres-en-Barrois begonnen, erste Tatsachen zu schaffen. Und dies obwohl die ANDRA über keinerlei Bau- und Rodungsgenehmigung verfügte und das Gesetz zur Genehmigung einer ersten Bauphase – als industrielle Forschung getarnt – das Parlament noch nicht ein mal passiert hatte. Der Wald wurde am 19. Juni, wenige Tage nach Beginn der Bauarbeiten, im Anschluss an einem Waldspaziergang durch Projektgegner*innen besetzt. Diese Aktion stellt einen Wendepunkt für den Widerstand gegen das Atomklo in der Gegend dar: Noch nie zuvor wurde ein Platz besetzt. Noch nie zuvor unternahmen so viele Menschen gemeinsam einen solchen Akt des zivilen Ungehorsams.
Waldbesetzung gegen den atomaren Kahlschlag
Die Gegend um Bure ist sehr dünn besiedelt, gilt wirtschaftlich als strukturschwache Region und hat keine große politische Widerstandstradition. Der Widerstand wurde über die Jahre im Keim erstickt: Tarnung des Endlagerprojektes als „Forschungsbergwerk“ mit der Aussage, es gehe nur um Forschung und bedeute keine Festlegung auf dem Standort, verbunden mit schwindelerregenden Subventionen. Spätestens nach der im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens für das Großprojekt vorgeschriebenen öffentlichen Debatte von 2013, die auf Grund von Protesten ausschließlich im Internet stattfand, und nach dem Tausch des Waldes von Mandres-en-Barrois vor einem Jahr, sind auch Einwohner*innen in der Gegend erwacht und bereit gegen das Projekt zu kämpfen. Der Bürgermeister von Mandres-en-Barrois hatte im Juli 2015 in einer Sondersitzung des Gemeinderats im Frühtau den Tausch des Kommunalwaldes mit der ANDRA beschlossen – obwohl eine Befragung der Bevölkerung zwei Jahre zuvor ergeben hatte, dass die Menschen ihren Wald der ANDRA nicht übergeben wollen. Diese Ereignisse haben schließlich das Fass zum Überlaufen gebracht. Letzteres ist möglicherweise die Erklärung dafür, dass der Widerstand gegen das atomare Endlager nun ausgerechnet mit einer Auseinandersetzung um den Wald von Mandres-en-Barrois an Bedeutung – weit über Bure hinaus – gewinnt. Viele Einwohner*innen trauen sich zum ersten Mal laut und deutlich NEIN zu sagen. Ob Einwohner*innen, Landwirt*innen, Ökoaktivist*innen aus der Gegend und aus der Ferne, NGO-Aktivist*innen oder Autonome: Eine bunte Mischung eroberte schließlich den Wald.
Die Waldbesetzung war jedoch nur von kurzer Dauer. Die Militärpolizei räumte die Aktivist*innen mit Gewalt nach drei Wochen Besetzung. Die Menschen ließen sich weder von der Polizeigewalt bei der Räumung noch von der zunehmenden Militarisierung der Gegend einschüchtern und riefen zur erneuten Besetzung des Waldes für den 16. Juli 2016.
Versagen der Politik
Die politische Klasse gab unmittelbar nach der Räumung den Aktivist*innen einen ordentlichen Motivationsschub. Die Abstimmung über die erste 6 Milliarden Euro teure Pilot-Bauphase von CIGÉO stand auf der Tagesordnung einer Sondersitzung der Assemblée Nationale am 11. Juli. Bure sollte möglichst weit ab von der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zwischen dem EM-Finale und dem Nationalfeiertag am 14. Juli als Atomklo zementiert werden. Die für das Gesetz zuständige Umweltministerin Ségolène Royal blieb der Abstimmung fern und zog ein Fotoshooting mit Fußballpromis, mit dem sie auf Twitter prahlte, der parlamentarischen Debatte vor. Sie wurde durch den für die Frankophonie zuständigen Staatssekretär vertreten. An der Abstimmung nahmen lediglich ca. 20 Abgeordnete teil. Einzig vier Ökoabgeordnete stellten Anträge und stimmten gegen das Gesetz.
Für die CIGEO-Gegner*innen ein Grund mehr auf den Widerstand von unten und entschlossene Aktionen wie Besetzungen aber auch Sabotage zu setzen. Etwa 500 Menschen folgten am 16. Juli dem Aufruf, den Wald wieder zu besetzen. Ein für mich sehr bewegender Moment.
Wem gehört der Wald? Uns!
Eine dichte Polizeipräsenz war gemeldet worden, die Anspannung war zu Beginn der Demonstration auf vielen Gesichtern zu sehen. Das bunte Treiben setzte sich in Bewegung. Am Waldrand angekommen, flogen nach zwei kurzen Warnungen der Gardes Mobiles (Militärpolizei) die ersten Tränengas- und Schockgranaten (machen einen sehr lauten Knall) – und die ersten Steine.
Der Kontext von monatelangen Protesten gegen die Loi Travail (Arbeitsgesetz) in ganz Frankreich und die damit einhergehende entfesselte Polizeigewalt waren zu spüren. Die Regierung antworte auf den Protest der Straße mit einer Durchsetzung des umstrittenen Gesetzes ohne parlamentarische Debatte per 49.3 Dekret und mit Repression. Die Polizeigewalt traf die gesamte Protestbewegung.
Viele Demonstant*innen, die bei diesen Protesten verletzt wurden oder Augenzeuge von Polizeigewalt wurden, waren in Bure entsprechend ausgerüstet: Helm, Gasmaske, Zwille, etc.
Dies konnte ich nachvollziehen – auch wenn ich diese Art der Auseinandersetzung kritisch sehe. Gewalt erzeugt Gewalt und ist in meinen Augen keine Lösung. Es ging aber vorwiegend auch um körperliche Unversehrtheit. Die französische Polizei verwendet Waffen (Gummigeschosse, Granaten, etc.), die töten können – wie der Tod von Rémi Fraisse vor knapp zwei Jahren es in Erinnerung rief (die GWR berichtete).
Die Söldner der ANDRA
Die Auseinandersetzung am Waldrand dauerte ein bis zwei Stunden an, bis die ersten Aktivist*innen es tatsächlich in den Wald schafften und die Polizei sich schließlich zurück zog. An den Waldeingängen wurden Barrikaden gebaut, um das Eindringen von Polizeifahrzeugen zu erschweren. Es roch noch reichlich nach Tränengas, als ich in den Wald kam. Die Küche für alle versorgte die Aktivist*innen mit leckerem Essen. Die einen bauten eine Hütte in einer Lichtung, während die anderen die Barrikaden gegen immer wieder kehrenden Angriffe der Polizei und der Securitys der Bauherrin ANDRA verteidigten. Die Polizei schien mit unregelmäßigen Angriffen mit Gasgranaten und einem Räumpanzer auf eine Zermürbungstaktik zu setzen. Die Securitys der ANDRA griffen die mit PACE-Fahne am Boden sitzenden Menschen mit Stöcken und Spitzhaken an – vor laufender Kamera des Lokalsenders France 3! Fünf Menschen wurden dadurch verletzt.
Der Wald wurde zurück erobert. Die Rückeroberung blieb jedoch symbolischer Natur. Der Wald war zu groß und die Anzahl an Aktivist*innen auf Dauer zu klein, um die Bauarbeiten vollständig zum Erliegen zu bringen. Die ANDRA setzte den Bau ihrer zwei Meter hohen Schutzmauer unter Polizei- und Security-Schutz fort. Die Mauer soll den gesamten Wald umrunden und wird zum Schutz vor Störmaßnahmen von Projektgegner*innen bei den künftigen Bauarbeiten errichtet.
Neue Wege für den Widerstand suchen
Die Aktivist*innen setzten auf weitere Aktionsformen und führten Aktionen vor dem Sitz der an CIGÉO beteiligten Unternehmen durch. Am frühen Morgen des 18. Juli wurde die Zufahrt zu Vichard Frères SARL bei Joinville blockiert. Das Unternehmen CATTANEO SAS wurde mit Graffiti gegen das Endlagerprojekt und einem großen Haufen Scheiße in Bar-Le-Duc heim gesucht. „Die Scheiße wird schneller abgebaut als der atomare Müll“, so die Aktivist*innen in einer Erklärung. Ein LKW, der Material für die Mauer der ANDRA an Bord geladen hatte, wurde im Dorf von Bure blockiert und „redekoriert“, bis die Militärpolizei intervenierte. Es wurde außerdem berichtet, die ANDRA würde sich über diverse Sabotage-Aktion wie Brandstiftung an Baufahrzeugen aufregen.
Gericht verhängt vorläufiger Baustopp
Am 1. August 2016 kam dann die nächste – dieses mal positive – Überraschung: Das Gericht von Bar-le-Duc gab acht Vereinen und vier Einwohner*innen von Mandres-en-Barrois recht. Sie hatten in einem Eilantrag die illegalen Rodungen des Waldes angeprangert und einen Baustopp im Bois Lejuc gefordert. Dem Gerichtsbeschluss zur Folge muss die ANDRA die Rodungsarbeiten beenden, weil sie hierfür keine Genehmigung beantragt hat und keine Umweltverträglichkeitsprüfung vorgenommen wurde. Die sieben Hektar bereits gerodeter Wald müssen wieder aufgeforstet werden – sollte die ANDRA von der zuständigen Präfektur innerhalb der nächsten sechs Monate keine Rodungsgenehmigung erhalten.
Die ANDRA glänzte nicht gerade bei der öffentlichen gerichtlichen Anhörung vom 28. Juli. Sie erklärte, die Bauarbeiten seien zwar im Zusammenhang mit CIGÉO, sie hätten jedoch eine nachhaltige Bewirtschaftung des Waldes Lejuc zum Zweck. Hinzu kommt, dass die ANDRA, die mitten in die Sitzung hinein platzte, ein lächerliches Dokument aus ihrem Hut zog. Nämlich eine durch den Bürgermeister unterschriebene Verfügung der Gemeinde von Mandres-en-Barrois, mit der der vor Wochen illegal bereits begonnene Bau der Mauer nachträglich genehmigt wurde. Diese Genehmi
gung ist nun Gegenstand eines weiteren Eilantrags, weil das Gericht sich auf Grund dieser Baugenehmigung weigerte, den Rückbau der Mauer anzuordnen. Die Genehmigung dürfte keinen Bestand haben, da der Bau der Mauer weitere Rodungen impliziert und solch eine Baugenehmigung folglich nicht ohne vorige Umweltverträglichkeitsprüfung erteilt werden darf.
„Ob Illegale Bauarbeiten, oder der Einsatz von Söldnern zur ‘Verteidigung’ der Mauer: die Manöver und Täuschungen der ANDRA um CIGÉO durchzusetzen, stehen nun im Lichte der Öffentlichkeit. Der Gerichtsbeschluss bekräftigt die Begründetheit und Legitimität des Widerstandes von mehreren Hundert Menschen und der Einwohner*innen, die sich schon seit Wochen den Bauarbeiten der ANDRA widersetzen“, erklärten die Kläger*innen in einer Pressemitteilung.
Der Widerstand geht weiter!
Die Entscheidung des Gerichts gibt den Projektgegner*innen, die der plötzliche Beginn der Bauarbeiten kalt erwischte, etwas Zeit den weiteren Widerstand zu organisieren – diese sind sich dessen Bewusst, dass die Justiz das Atomklo nicht endgültig stoppen wird. Es ist damit zu rechnen, dass die ANDRA nun die Genehmigungen bei der Präfektur beantragt und erhält. Fraglich ist nur, wie schnell die Genehmigung kommen wird. Die ANDRA will deshalb gegen den Gerichtsbeschluss in Berufung gehen und eine Fristverlängerung zur Vorlage der Genehmigungen erreichen, um den Wald nicht renaturieren zu müssen.
Der Druck beider Seiten hat vor Ort nicht nachgelassen. Der Polizeihubschrauber verfolgt Projektgegner*innen und die Polizei führt mit Verweis auf den in Frankreich seit November 2015 geltenden Ausnahmezustand Identitätskontrollen durch (hat viel mit Terrorismus wogegen der Ausnahmezustand angeblich verhängt wurde, zu tun). Die Aktivist*innen rufen ihrerseits zu weiteren Demonstrationen, Widerstandswochenenden, Kulturveranstaltungen und Aktionen gegen das Atomklo auf. Die Menschen vor Ort freuen sich riesig über Unterstützung von außen. Das Widerstandshaus Bure Zone Libre und der ehemalige Bahnhof von Luméville mit zahlreichen Schlaf- und Zeltplätzen sind geeignete Stützpunkte für Unterstützer*innen.
Das jüngste Widerstandswochende war in diesem Hinblick ein guter Anfang. Rund 450 Menschen aus Frankreich und dem Ausland folgten dem Aufruf, die ANDRA bei der Wiederinstandsetzung des Waldes zu unterstützen. Die Schutzmauer der ANDRA wurde am 14. August „redekoriert“ und schließlich zum großen Teil niedergerissen. „ANDRA haut ab! Sabotage! Die Mauer muss weg!“, riefen die Demonstrant*innen.
Auf nach Bure gegen den atomaren Wahnsinn! Das geht uns alle an! Niemals aufgeben!
Eichhörnchen
Weitere Infos: http://vmc.camp/ (Französisch) ; http://www.eichhoernchen.ouvaton.org/de/atom/bure.html (Deutsch)