Der „Rathausbesetzungsprozess“ in Stuttgart neigt sich dem Ende. AktivistInnen haben mit der Forderung nach einem Bürgerparlament das Rathaus besetzt. Die Antwort der regierenden (Grünen) war eine Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch. Ihre Versprechen vergessen die PolitikerInnen sehr schnell, sobald sie an die Macht kommen. Bürgermeister Wölfle, der in diesem Verfahren aus Zeuge vernommen wurde, ist ein Paradebeispiel dafür. Darauf werde ich noch zurück kommen. Denn der 6. Verhandlungstag (oder 7., wenn man einen 5-minütigen „Schiebetermin“ im März dazu zählt) findet am morgigen Freitag statt, 3 AktivistInnen sind angeklagt und verteidigen sich mit der Unterstützung eines Rechtsanwaltes und zweier LaienverteidigerInnen (darunter das Eichhörnchen). Richter Gauch zeigt bereits seit einiger Zeit, dass er keine Lust auf das Verfahren mehr hat und gerne einstellen würde. Die Staatsanwaltschaft sperrt sich aber dagegen.
Richter Gauch ist es gewöhnt, die Menschen innerhalb von wenigen Minuten abzuurteilen. Es ist mit ihm in der Tat ein ständiger Kampf um die Rechte der Verteidigung, wer nicht aufpasst, wird überrollt, die Beweisaufnahme ist geschlossen, eh er/sie aufatmen kann. Eine gute Vorbereitung zeigt: RichterInnen nehmen es in ihrem beruflichen Alltag mit den Rechten von der Verteidigung nicht so genau, das verhindert nämlich eine zügige Prozessführung. Wenn aber Angeklagte sich zur Wehr setzen, gerät die Urteilsmaschine ins Stocken, der Richter sucht vergeblich einen Umgang damit, zwischen großzügigem Entgegenkommen und autoritärer Prozessführung. Das Menschen ihre Rechte einfordern kennt er offensichtlich nicht. Dabei pocht die Verteidigung lediglich auf die Einhaltung der Strapfprozessordnung…
Richter Gauch gab mehrfach zu Protokoll, der eine oder andere Paragraf habe er nie in Betracht gezogen, das habe niemand zuvor eingefordet, deshalb verstehe er nicht weshalb wir daraus schließen, dass er uns gegenüber Befangen sei. „Ist gibt kein Stuttgarter Landrecht“ spottete immer mal RA Döhmer. Die Verteidigung konnte beispielsweise ihr Recht auf Abgabe einer Erklärung nach jeder Beweiserhebung (§257 StPO) erst nach einer längeren Auseinandersetzung, die mit einem Befangenheitsantrag gipfelte, durchsetzten.
Richter Gauch zeigte sich zwischenzeitlich entgegenkommend und wünschte sich eine Einstellung des Verfahrens wegen Geringfügigkeit (es geht um einen Strafbefehl in Höhe von 15 Tagessätzen). Dies scheiterte am Verfolgungswahn der Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen S21 GegnerInnen.
Am 11. April, den 5. Verhandlungstag, verlor Richter Gauch wieder die Geduld. Er wollte an diesem Tag unbedingt zum Urteil kommen. Die Beweisanträge der Verteidigung und die akute Erkrankung eines Angeklagten passten nicht in seinem Plan. Die Anträge wurden allesamt als ohne Bedeutung für das Verfahren zurückgewiesen: « zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ». Die offensichtliche Erkrankung eines Angeklagten, der nach 5 Stunden Verhandlung der Verhandlung nicht mehr folgen konnte und deshalb eine Unterbrechung des Verfahrens beantragte, wollte Richter Gauch ignorieren. Für seine menschenverachtende Haltung kassierte er einen Befangenheitsantrag. Das war wiederum nicht im Sinne eines Urteilsspruchs am selben Tag, er wies den Befangenheitsantrag nach §26a StPO (Prozessverschleppung) als unzulässig zurück. Als ich drauf hin wegen des rechtsfehlerhaften Umgangs des Richters mit meinem Befangenheitsantrag einen weiteren Befangenheitsantrag ankündigte, fragte der Richter ratlos, wie es weiter gehen könne, wenn ich ständig solche Anträge stellen wolle. Als schließlich eine Toilettenpause durchgesetzt wurde, konnte der akut erkrankte Angeklagte durch eine zwischenzeitlich eingetroffene Ärztin untersucht werden. Sie erklärte ihn für Verhandlungsunfähig, so dass die Verhandlung vertagt werden konnte.
Wir können auf dem morgigen letzten Verhandlungstag gespannt sein. Es ist zu befürchten, dass Richter Gauch, ein schnelles Ende anstrebend, keins großes Interesse an einer weiteren Sachaufklärung zeigt und die Beweisanträge der Verteidigung abschmiert. Trotz der Tatsache, dass am 11. April bei der Vernehmung zweier Zeugen zu Tage kam, dass aus der Akte, die dem Gericht vorgelegt wurde, wichtige Berichte zum Tathergang und zu den Tatumständen durch den Staatsschutz entfernt wurden. Ein sogenannter „WE-Bericht“ ist verschwunden. WE steht für wichtiges Ereignis. Die Vermutung liegt nahe, dass die Entfernung eines solchen Berichtes regelmäßig erfolgt, weil brisante Informationen zur systematischen Überwachung und Verfolgung von S21 GegnerInnen enthält – Stichwort „Rahmenbefehl“…
Eichhörnchen muss nun zum Zug nach Stuttgart eilen…
Update vom 3.5.2014: Das Urteil wurde am 25.4 gesprochen… Das Gericht lehnte die Beweisanträge der Verteidigung in einer Art und Weise ab, die uns dazu veranlasste, eine Prozesserklärung abzugeben: Es hat keinen Zweck Anträge zu stelllen, wenn diese pauschal ohne Begründung abgelehnt werden. Die Angeklagten und ihre VerteidigerInnen stellen für diese Instanz keine Beweisanträge mehr, das Gericht ist unbelehrbar, zeigt überhaupt kein Interesse an einer Aufklärung der Sache.
Es folgten die Plädoyers, die die Angeklagten für politische Erklärungen nutzten. Der brisante « Rahmenbefehl » (was ist das? -> früherer Artikel dazu ), der auf höchste staatlicher Ebene die Überwachung und Verfolgung von S21-GegnerInnen anordnet, wurde durch einen Angeklagten verlesen. Trotz Verprechen der grün-roten Landesregierung wurde dieser Rahmenbefehl nicht abgeschafft.
Das Urteil von Richter Gauch stand schon fest. Die Angeklagten und ihre VerteidigerInnen verließen nach ihren Schlussvorträgen und dem letzten Wort der Angeklagten, den Saal. Das Urteil und die Sprüche des vorsitzenden Richters, nachdem S21 ein sinnvolles Verkehrsprojekt sei, wollten sie sich nicht anhören! Seine Befangenheit und Meinung zu S21 hatte Richter Gauch schon oft genug im Prozessverlauf gezeigt… Das Urteil « im Namen des Volkes », das sowieso bereits vor Beginn der Hauptverhandlung fest stand, wurde in Abwesenheit aller Angeklagten und ihrer VerteidigerInnen verkündet. 15 Tagessätze à 40 Euro, soll es lauten – welch ein Wunder… Die Justizfarce ist zu Ende – zumindest mit Richter Gauch.
Es bleibt, dass ich in einer Rolle als Verteidigerin viel gelernt habe – das wird mir schon kommende Woche in Steinfurt beim Ankettprozess nützlich sein.
Es bleibt, dass die Menschen aus dem Widerstand den Prozess spannend fanden – nicht dem zu erwartenden langweiligen Urteil wegen, sondern der Prozessstrategie wegen. Es zeigt: Es ist möglich sich zu wehren, seinen Prozess in die Hand zu nehmen – auch wenn ein Richter kurzem prozess machen will. « Es ist dein Prozess also führe ihn » sagte Fritz Teufel – ja richtig, so ist es. Auf eine poltische Anklage folgte eine poltische Prozessführung! Das ist Sand im Getriebe eines Systems, dass nicht Gerechtigkeit zum Ziel hat, sondern die Aufrechterhaltung von herrschenden verhätlnissen. Wenn die Menschen sich wehren und nicht innerhalb von 20 minuten aburteilen lassen, gerät die Urteilsfabrik ins Stocken – der poltisch motivierter Verfolgungswillen der Staatsanwaltschaft kann nicht mehr übersehen werden.
Es bleibt also das Bild eines Schein-Rechtstaats. Hierzu einen passenden Spruch (dessen Autor ich leider nicht gefunden habe).
Es sind ihre Regel,
die sie immer wieder brechen,
um das System aufrecht zu erhalten.
Es sind nicht meine Regel,
es ist nicht mein System.