Eichhörnchen-Artikel über die Atomkraft in Frankreich/Lothringen: Atomtransporte, Atommüllendlager, etc.
Zuerst erschienen in der Zeitschriftt GWR 391, September 2014 (Nachdruck geht mit Autoren- und Quellenangabe klar:-)
Im Grenzgebiet zwischen Belgien, Luxemburg und Deutschland sorgt das französische Atomkraftwerk Cattenom mit zahlreichen Störfällen immer wieder für Diskussion. Über die anderen Atomanlagen der Region ist in der breiten Öffentlichkeit dagegen wenig bekannt. Lothringen spielt eine zunehmend wichtige Rolle für die Atomlobby. Es ist die einzige französische Region, die an drei andere Staaten grenzt (Belgien, Luxemburg und Deutschland), Départements wie die Meuse haben eine niedrige Bevölkerungsdichte, ein Teil der Region leidet immer noch unter der Schließung der ehemaligen Kohlebergwerke, die Arbeitslosenquote ist hoch. Es sind für die Atomlobby günstige Voraussetzungen, um Akzeptanz für neue Anlagen zu schaffen und es dem Widerstand schwer zu machen. Ein Endlager wird u.a. mit Hilfe von Infrastrukturfördergeldern an die Kommunen von der Politik und der Atomlobby durchgesetzt. Die Region entwickelt sich außerdem zunehmend zu einer Drehscheibe für internationale Atomtransporte.
Der (internationale) Widerstand dagegen organisiert sich und wird sichtbarer.
Bure im Meuse-Département: von der Erkundung zu „CIGEO“
Von einem Endlager für hoch radioaktivem Müll in Bure (département Meuse) war 1994 zu Beginn der „Erkundungsarbeiten“ nicht die Rede. Von offizieller Seite hieß es, es sei ein wissenschaftliches Erkundungs- und Forschungsprojekt und bedeute keine Festlegung auf Bure als Standort für das zukünftige Endlager für hoch radioaktiven Müll. Das Gesetz schrieb die Durchführung von Erkundungen in unterschiedlichem Gestein vor. Daran wurde sich aber nicht gehalten. Nicht aus wissenschaftlichen, sondern aus pragmatischen geopolitischen Gründen: In Bure traf man auf eine strukturschwache Region mit geringer Bevölkerungsdichte und ohne großem Widerstandspotential. Die lokalen Politiker ließen sich mit großen Summen für das Projekt gewinnen. In anderen Regionen Frankreichs war der Widerstand in der Bevölkerung sofort da. Das Vorhaben der Regierung scheiterte, die nationale Agentur zur Atommüllentsorgung (ANDRA) entschied sich für eine Beteiligung an Forschungsprojekten im Ausland, u.a in Deutschland (Asse) und in den USA (WIPP).
Der Skandal um das deutsche „Forschungsbergwerk“ Asse kratzte das Image der ANDRA an, auch wenn es sich in Frankreich in Grenzen hielt, weil lediglich ein Bruchteil der französischen Öffentlichkeit über die Asse Bescheid weiß. Die Verantwortung für das Desaster wurde auf den deutschen Partner geschoben, er habe Fehler gemacht, die man hierzulande niemals gemacht hätte.
Das offizielle Ergebnis der Erkundung in Bure ist, dass der Standort geeignet ist, der Untergrund ist dicht. Abweichende Meinungen einiger WissenschaftlerInnen werden schlicht ignoriert. Die Untersuchung der Geologen Murrot und Muller, die geologischen Verwerfungen im Gebiet gefunden haben, fehlen auf der offiziellen Karte der ANDRA vollständig. Für die ANDRA irrelevant ist auch, dass das Gebiet einen grundwasserreichen Untergrund hat, was die Gefahr einer radioaktiven Verseuchung erhöht – es geht um die hydrogeologischen Zusammenhänge z.B. bis ins Pariser Becken.
Ich durfte vor einigen Jahren das „Labor“ besichtigen. Der Geologe, der die Besichtigung leitete, gab zu, man könne keine Sicherheit für Tausende von Jahren gewährleisten. Tonstein sei aber stabil und so zu sagen das kleinere Übel. Doch, wer den Fahrer einer Tunnelbohrmaschine fragte, bekam ein anderes Bild: die Arbeit sei nicht anstrengend, man müsse sogar Pausen einlegen, damit das alles nach und nach stabilisiert werde. „Das ist wie Butter“, war die Aussage. So viel zur Stabilität des Gesteins. Ein ASSE II ist vorprogrammiert.
Protest in Bure 2005 – Quelle aaa-West
Von Forschung ist in Bure heute kaum noch die Rede. Die Regierung hat sich auf den Standort für ein Atommülllager festgelegt, das Projekt heiß inzwischen CIGEO. Es steht für Centre Industriel de stockage GÉOlogique ( Industriezentrum für geologische Lagerung).
Das Endlager hat noch keine Genehmigung, die Vorarbeiten laufen aber schon auf Hochtouren: Straßen werden erweitert, Gebäude entstehen im Niemandsland. Eine Bahnanlage für die Beförderung von ca. 100.000 CASTOR-Behältern ist in Planung. Nach Angaben der ANDRA wird das Lager zunächst für 6000 Kubikmeter Müll konzipiert. Dies ist die Menge, die seit Inbetriebnahme der heutigen französischen Atomkraftwerke bereits entstanden ist und bis 2030 noch anfallen wird.
Dass das vorhaben der Regierung in der Französischen Öffentlichkeit umstritten ist, zeigte die „Débat public“ (Öffentliche Debatte). Die Debatte ist nach dem Französischen Gesetz bei Großprojekten im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens zwingend durchzuführen. Mitglieder der Kommission des „Débat public“ laden zu öffentlichen Versammlungen in ganz Frankreich ein, wo sie das Vorhaben vorstellen und Fragen aus dem Publikum beantworten. Zahlreiche Menschen waren sich bewusst, dass die Debatte keinerlei Einfluss auf das Genehmigungsverfahren haben würde und mehr der Legitimierung des Projektes in einer Scheindemokratie dienen würde. Sie entschlossen sich für lautstarken Protest. Hunderte von AktivistInnen sprengten die Veranstaltungen, die alle abgesagt werden mussten. Die Regierung verlagerte schließlich die „Debatte“ ins Internet.1
Ein Unfall in den USA kommt für CIGEO ungelegen. In dem sich seit 15 Jahren im Betrieb befindlichen Endlager für radioaktivem Atommüll militärischer Herkunft in einem Salzstock (WIPP für Waste Isolation Pilot Plant) im US-Bundesstaat New Mexico ereigneten sich Anfang 2014 zwei Unfälle2. Mindestens 21 Arbeiter wurden mit Americium 241 kontaminiert, eine halbe Meile von dem Atommülllager entfernt wurde in der Luft neben Americium auch Plutonium festgestellt. Erhöhte Strahlenwerte wurden Anfang März gemessen. Es ist unklar, wie lange die Anlage geschlossen bleibt. Es sickern nur wenige Informationen zu diesem Unfall durch. Als Ursache wird ein LKW-Brand, der sich am 5. Februar 2014 im Salzstock ereignete, vermutet. Die erhöhte Radioaktivität erklärt die US-Energiebehörde (DOE) mit der Tatsache, dass womöglich ein Fass oder mehrere Fässer, die in einer der Kammern im Salzstock eingelagert wurden, bei einem Einsturz der Decke aufgeplatzt sind. Gesicherte Erkenntnisse gibt es nicht, weil die erhöhte Radioaktivität einen freien Zugang zum Unglücksort durch ArbeiterInnnen verhindert.
Die ANDRA warb bis vor wenigen Monaten für CIGEO mit einem Vergleich zu der Anlage in New Mexico. Die Anlage galt als Fallbeispiel für Bure, weil für CIGEO die gleiche Einlagerungstechnik zur Anwendung kommen soll. Seit dem Unfall schweigt die ANDRA zu diesem Thema.
Die Ereignisse bekräftigen die WiderständlerInnen in der Region. Mit dem Haus vom Verein „Bure Zone Libre“ (BZL) haben die AtomkraftgegnerInnen einen festen Ort, um den Widerstand im 80-Seelendorf Bure zu organisieren. Das Haus wurde 2004 gekauft und wird seitdem durch Ehrenamtlichen aus ganz Frankreich und Europa renoviert. Mitglied im Verein BZL sind auch Menschen und Gruppen aus Deutschland. Gruppen können empfangen werden, diverse Widerstandsvernetzungstreffen finden im Haus s
tatt.3 Als Ergebnis mehrerer Treffen von AKW-GegnerInnen aus Ostfrankreich (AG antinuc Grand t’Est) wurde eine dezentrale Aktionskampagne von einem Jahr mit dem Namen „Bure 365“ Anfang Juni 2014 gestartet4. Hauptziel ist es, den Widerstand gegen die Endlagerung von radioaktiven Atommüll (Projekt CIGEO) und gegen die Atomkraft und all das was dazu gehört, bekannt zu machen und auf nationaler und internationaler Ebene auszudehnen. Im inzwischen ins Deutsche übersetzter Aufruf heißt es:
[…] Wir wollen keine alternativen Vorschläge zur Atommüllentsorgung einbringen, solange die Produktion des Atommülls nicht definitiv gestoppt wird. Ein solcher Vorschlag würde bedeuten, dass wir für die Atomindustrie ehrenamtlich arbeiten und das geht gar nicht klar! […]
Die einzige vertretbare Perspektive ist die Abschaltung der Atomkraftwerke und der damit verbundene Stopp der weiteren Atommüllproduktion. Das Projekt CIGEO heißt auch, gegen einen Staat anzukämpfen, der um den radioaktiven Atommüll, der sich von Tag zu Tag anhäuft, zu legalisieren, einen gesetzlichen Rahmen schafft. […]
Unser Ziel ist, dass überall Gruppen sich den Aufruf zueigen machen und so viele Aktionen wie möglich über einen Zeitraum von einem Jahr auf die Beine stellen. Die Idee ist, dezentralisiert nach unserem eigenen Kalender an unerwarteter Stelle zu handeln und die eigenen Spielregeln gelten zu machen.
Die Kampagne ist für alle Aktionsformen offen und solidarisiert sich.[…]
Unser Kampf und Widerstand ist nicht umkehrbar (reversible)! CIGEO wird „endbegraben“!
2014 im Rahmen von Bure 365
« Nicht stören, wir meditieren über die menschliche Dummheit, dies kann viel Zeit in Anspruch nehmen! »
Drehscheibe für Atomtransporte
In der Grenzregion Lothringen wird nicht nur – sollte es tatsächlich in Betrieb gehen – das zukünftige Endlager in Bure für zahlreichen Atomtransporte sorgen. Die Gegend wird jetzt schon von zahlreichen internationalen Atomtransporten durchquert. In letzter Zeit wurde die Infrastruktur für diese Atomtransporte, insbesondere aus den Niederlanden und Deutschland, massiv ausgebaut. AtomkraftgegnerInnen sind diesen Transporten auf der Spur.
Ein Urantransport aus Kasachstan, der im Hamburger Hafen umgeschlagen wurde und über Deutschland nach Malvési in Süd-Frankreich bei Narbonne fuhr, sorgte für Schlagzeilen. AtomkraftgegnerInnen beobachteten die Zusammenstellung und Abfahrt des Zuges im Hamburger Hafen am Süd-West Terminal C. Steinweg. Sie stellten fest, dass 4 von 19 mit Uranerzkonzentrat beladene Container nicht auf die Reise zur Urankonversionsanlage Comuhrex in Malvési gehen durften. Die verladenen Container selbst waren stark verbeult und machten keinen guten Eindruck. Sie machten ihre Beobachtungen öffentlich, JournalistInnen übernahmen die Informationen und recherchierten nach5. Dem NDR zufolge muss die Hafenpolizei immer wieder Beförderungsverbote für die atomare Fracht aussprechen. Die Zulassung der Behälter ist oft abgelaufen, sie sind stark verbeult oder gar löchrig!6
Die radioaktive Fracht wurde in der Vergangenheit auf ihren Weg über Machen, Buchholz, Osnabrück, Münster, Hamm, Köln, Gremberg, Trier, Ehrang, Woippy, Montpellier und Narbonne beobachtet. Solche Transporte finden mindestens alle paar Wochen statt. Woippy liegt in Lothringen und ist der größte Rangierbahnhof Frankreichs. AktivistInnen konnten im Mai beobachten und filmen, wie die Waggons über den Ablaufberg rangiert wurden7. Ein Eisenbahngewerkschafter erklärte mir später, diese Rangiertechnik sei in Frankreich mit radioaktiven Stoffen untersagt. Aber die Atomlobby macht einfach weiter – bis zur nächsten Entgleisung, bis zum Unfall. In letzter Zeit häufen sich wegen der schlechten Wartung von Rangiergleisen die Güterzugentgleisungen8. Über Woippy fahren außerdem zahlreiche Uranzüge zwischen der deutschen UAA in Gronau und der französischen UAA in Pierrelatte. Mit der Eröffnung eines Zwischenlagers für Uranmüll mit unbefristeter Betriebsgenehmigung in Gronau wird der Anzahl der Transporte in den kommenden Monaten drastisch zunehmen9. Französische und deutsche AtomkraftgegnerInnen bleiben am Ball und wollen ihre Zusammenarbeit vertiefen. In Hamburg wird eine Kampagne gegen Atomtransporte über den Hafen gestartet.
In der Gegend um Bure interessieren sich die AtomkraftgegnerInnen nicht nur für die Endlagerbaustelle. Der Atomkonzern AREVA ließ sich 2009 mit einer logistischen Transportplattform LMC (Le Maréchal Célestin) in Void-Vacon nieder. Die Plattform wurde ursprünglich für den Transport von mechanischen Bauteilen konzipiert, die für Atomanlagen bestimmt waren. AtomkraftgegnerInnen stellten Anfang 2014 jedoch fest, dass AREVA nicht dabei geblieben ist. Über die logistische Transportplattform werden auch Transporte von radioaktivem Material abgewickelt. Bei internationalen LKW-Transporten findet der Fahrerwechsel in Void-Vacon statt.
Die AktivistInnen machen Druck, um Licht über die Atomgeschäften von AREVA in Void-Vacon zu machen. Sie verteilten 2000 Flugblätter an die AnwohnerInnen, hielten eine einwöchige Mahnwache ab, stellten der ASN, der Atomaren Sicherheitsbehörde, Fragen. In einer Antwort der ASN an das Netzwerk Sortir du nucléaire sind Informationen zu finden, wonach es u.a. UF6 Transporte zwischen der französischen UAA Pierrelatte und der deutschen Brennelementefabrik Lingen gibt, sowie Transporte von angereichertem Uranoxyd UO2 zwischen Lingen und Pierrlatte. Die deutsche Firma URENCO spielt auch mit, es gibt UF6 Transporte zwischen der URENCO UAA in Almelo (Niederlanden) und Pierrelatte10.
AREVA begründet zynisch die Zunahme dieser Transporte über Void-Vacon damit, dass Arbeitsplätze erhalten bleiben müssen, nachdem der Transport von Bauteilen wegen der Beendigung der Bauarbeiten in Pierrelatte nachgelassen hat. In Pierrelatte wurde mit URENCO-Patenten eine neue effizientere Urananreicherungsanlage mit Zentrifugverfahren fertig gestellt.
Die AtomkraftgegnerInnen wollen nun handeln und freuen sich über eine Zusammenarbeit mit deutschen AktivistInnen. Schließlich sind deutsche Standorte wie Lingen oder Firmen wie die URENCO
am Geschäft beteiligt!
Cécile Lecomte
2Quelle: www.heise.de/tp/news/Unfall-in-US-Atomlager-verstaerkt-Zweifel-an-Lagerung-von-Atommuell-in-Salz-2164399.html und http://www.klartext.la/2014/06/strahlenfreisetzung-aus-der-pilotanlage-zur-endlagerung-von-atommuell-in-carlsbad-new-mexico-usa/
5Beobachtungsbericht:http://blog.eichhoernchen.fr/post/Urantransport-aus-Kasachstan-ueber-HH-auf-dem-Weg-Frankreich
6Quelle: www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Atomtransporte-Frachter-Sheksna-im-Visier,atomtransporte106.html
7Bericht mit Videolink: http://blog.eichhoernchen.fr/post/Urantransport-auf-seinen-Weg-von-Hamburg-nach-Frankreich-beobachtet