Der Prozess um eine Aktion gegen den CASTOR-Transport 2011 von La Hague nach Gorleben endete nach 8 stündiger Verhandlung am vergangenen Dienstag mit einer Einstellung des Verfahren gegen meinem Mitangeklagten (siehe PM der Soligruppe auf der Soliseite).
Das Verfahren gegen mich wurde dagegen nicht eingestellt und läuft weiter (Wird nun doch eingestellt, siehe UPDATE unten).
Es wurde nach 5 Stunden Verhandlung, noch vor der Vernehmung der Zeugen, von dem Verfahren meines Mitangeklagten abgetrennt, weil ich nach 5 stündiger Verhandlung ohne (Mittags)pause nicht mehr in der Lage war, dem Geschehen zu folgen und somit nicht mehr Verhandlungsfähig war. Wir haben mehrfach nach einer Mittagspause verlangt, diese wurde uns aber nicht gewehrt. Die einzige Pause, die wir bekamen, war zum Schreiben von einem Befangenheitsantrag. Es ist nun mal so, dass man irgendwann nicht mehr kann, wenn man Dauerschmerzen hat und keine Gelegenheit hat, zu Ruhe zu kommen und zu entspannen. Es war ein Dauerkampf um die Durchsetzung von Rechten der Verteidigung (tja,nix neues, ist halt der Scheinrechtsstaat). Als selbst die Staatsanwaltschaft einer Einstellung des Verfahrens gegen uns beiden Angeklagten zustimmte, erklärte Richter am Amtsgericht Jahn, es sei ein Offenbarungseid der Justiz, wenn er dies tue. Er erklärte sinngemäß, Angeklagte, die politisch motiviert handeln und Anträge stellen (also ihnen zustehende strafprozessuale Rechte nutzen) sind ganz schlimm, Strafe muss sein.
Die Tatsache, dass wir Rügen vorgetragen und Anträge gestellt haben, hat er als « Ärger » bezeichnet. Es « ärgert » ihm, dass wir uns auf die Strafprozessordnung beziehen und von den Rechten, die uns laut diesem Gesetz zustehen, überhaupt Gebrauch machen. Juristisch versierte Angeklagte, dass kommt ja nicht so oft vor. Das überfordert Herr Jahn. Die Rechte, die der Scheinrechtsstaat einräumt, empfindet er als lästige Behinderung der Urteilsfabrik.
Wir haben in der Tat lange ausführliche Rügen und Anträge gestellt. Richter Jahn ließ uns nicht zu Ende vortragen er verwies uns auf später, dies hätte dazu geführt, dass unsere Rügen unzulässig geworden wären (Präklusion). Es blieb uns nichts anderes übrig, als einen Befangenheitsantrag zu stellen (Der bislang noch nicht beschieden ist).
Unsere Anträge und Rügen bezogen sich u.a. auf § 176 GVG (Beeinflussung von zeugen, Grundsatz der Öffentlichkeit einer Gerichtsverhandlung), § 198 GVG (Rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung) sowie das Recht auf ein faires Verfahren. Die Strafprozessordnung schreibt vor, dass solche Rügen und Anträge vor Beginn der Beweisaufnahme einzubringen sind. (Als PDF; die Rüge zum Staatsschutz und Gerichtsöffentlichkeit sowie die Rüge zur Verfahrensverzögerung, die BKA-Rüge)
Aber gut, Richter Jahn ist der Meinung, dass ein paar Farbklekse auf dem CASTOR eine schlimme Sachbeschädigung sind (auch wenn nicht einmal klar ist, um was für « Farbe » es sich handelt und ob es überhaupt einen Schaden gegeben hat, AREVA hat hierzu keine Angaben gemacht). Als Richter muss er sich dagegen nicht an die eigenen Gesetze halten, wenn es einer schnellen Verurteilung in dem Weg steht. Und der Richter ist mit dieser Denklogik nicht alleine. Wir sind ja so gefährlich, dass der Staatsschutz weiterhin ein besonderes Augenmerk auf uns hat. Ob die Observation der Filmveranstaltung am Abend vor dem Prozess durch den Staatsschutz wieder ein „Gefahrenerforschungseingriff“ war, also eine Überwachung um herauszufinden, ob man Überwachen darf?
Selbst nachdem wir unseren Befangenheitsantrag gestellt hatten, wurde uns die Mittagspause verweigert. Wir hatten zu diesem Zeitpunkt schon 5 Stunden Verhandlung ohne Erholungs- oder Mittagspause hinter uns. Mit einer Pause hätten wir uns erholen können und der Befangenheitsantrag hätte beschieden werden können. Der Richter wollte einfach weiter machen mit dem Beginn der Beweisaufnahme. Ohne Pause war ich aber überhaupt nicht mehr in der Lage der Verhandlung ordentlich zu folgen!
Dass ich an einer schweren chronischen schubweise verlaufenden Krankheit leide und schwerbehindert bin, war Richter Jahn bekannt. Er hält aber Angeklagten offensichtlich für grundsätzlich unglaubwürdig und hat es nicht nötig, ihr Vortrag zu überprüfen. Als Richter besitzt er selbst über Dinge wovon er keine Ahnung hat, die Wahrheit! An Dreistigkeit war sein Verhalten kaum zu überbieten!
Mit Sprüchen à la « Sie können lange im Baum Sitzen aber nicht im Gerichtssaal.“ versuchte er mich als unglaubwürdig darzustellen, obwohl er weder vom Klettern noch von Polyarthritis eine Ahnung hat. Pech gehabt wenn die Behinderung nicht zu den laienhaften Vorstellungen, die der Herr Jahn davon hat (oder einige Vertreter der Presse, die sich in ihren Beiträgen ebenfalls darüber lustig gemacht haben), passt.
Er versuchte, mich trotz stark eingeschränkter Verhandlungsfähigkeit dazu zu nötigen, weiter zu verhandeln und drohte mit Eingriffen in meine Verteidigungsrechte: entweder wird weiter gegen mich zusammen mit meinem Mitangeklagten verhandelt (und es ist dem Richter völlig egal, ob ich in der Lage bin, meine Rechte wahr zu nehmen), oder das Verfahren wird gegen den Willen der Verteidigung beider Angeklagten abgetrennt und ich darf erneut nach Fulda kommen und das Fragerecht wird mir weg genommen, indem die Aussagen der Zeugen aus dem Protokoll der Verhandlung gegen meinen Mitangeklagten in meinem Prozess eingeführt werden. Dies wäre meines Erachtens nach hart an der Grenze zur Rechtsbeugung und gegen den Willen der Verteidigung nicht zulässig.
Das Verfahren wurde schließlich gegen den Widerspruch beider Angeklagten und trotz durch beiden Angeklagten gestelltem noch nicht beschiedenem Befangenheitsantrag abgetrennt.
Ich kenne den weiteren verlauf der Verhandlung gegen meinen Mitangeklagten nur aus den Erzählungen. Es fing damit an, dass Richter Jahn der bisherige Verhandlungsverlauf als „Puppentheater“ bezeichnete und erklärte, die Verhandlung könne nun endlich beginnen. Also wenn Angeklagten von ihren Rechten Gebrauch machen, ist es ein „Puppentheater“ und das gehört nicht zur Verhandlung. Spricht es wird dann in der Urteilsfindung ignoriert. Denn das einzige was Richter Jahn interessant findet, sind belastende Aussagen. „Wir haben uns wirklich bemüht, aber da war wirklich nichts zu machen.“ erklärte er gegenüber PR Decker, als er schließlich gegen 18:30 Uhr das Verfahren gegen meinen Mitangeklagten angesichts des enormen Aufwandes und des fehlenden Tatnachweises einstellen musste. PR Decker hatte sich zuvor bemüht, die Angeklagten zu belasten und erklärt, seinen Bericht zu der angeblichen Sachbeschädigung mehrere Monate nach der Tat gefertigt zu haben, „damit das Verfahren gegen die Angeklagten weiter läuft“. Sowiel zum § 160 StPO (Ermittlungen zu Be- und zu Entlastung). Die Akten umfassen inzwischen 1000 Seiten. Darin sind Vorwürfe die zum Straftatkatalog des § 129a StGB (Terroristische Vereinigung) gehören: Störung öffentlicher Betriebe, gefährlicher Eingriff in den Schienenverkehr. Es wurde akribisch versucht, die Angeklagten zu belasten. Die Ermittlungen mussten aber eingestellt werden. Einen schweren Eingriff pp. ohne Betreten der Bahnanlage, zu konstruieren, das ist ja schwierig. Weil man aber das Verfahren nicht einstellen wollte, suchte man nach einem neuen Vorwurf, „damit das Verfahren weiter laufen kann.“ Da fiel der Polizei ein, dass ein paar Farbflecken in Hannover Seelze damals festgestellt wurden.
Und nun will Richter Jahn es mit mir auch „wirklich versuchen“… Das mit der Unvoreingenommenheit wie es im Gesetz steht, das muss man als Richter, als wahrheitsschaffende Instanz nicht weiter beachten. Wo kämen wir den hin, wenn die Justiz nicht mehr dazu da wäre, die herrschenden Verhältnisse aufrecht zu erhalten!?
Nö… wir sind weder bei Kafka (der Prozess) noch bei Camus (der Mensch in der Revolte). Aber unser Richter Jahn ist vielleicht ein Philosoph und hat sich für seine Verhandlungsführung davon inspirieren lassen.
„es sind doch ihre regeln, die sie immer wieder brechen, um das System aufrecht zu erhalten, das sind nicht meine regeln, das ist nicht mein system.“