Aus: GWR 441, September 2019
Zumindest auf eins kann mensch sich im Atomstaat verlassen: Je stärker der Protest, desto höher die Repression. Diesmal kommt unser Beispiel aus dem Atomstandort Lingen im Emsland. Dort kam es im Winter zu einer neuen Protestwelle, ausgelöst durch einen Brand in der Brennelementefabrik der Firma Framatome/ANF (früher Areva) Anfang Dezember 2018 (die GWR berichtete). Nach zahlreichen Mahnwachen und Protestkundgebungen lokaler Initiativen gab es am 19. Januar eine große Demonstration in der Innenstadt, gefolgt von einer Blockade der Zufahrt der Brennelemente Fabrik. Der Staat reagiert mit Kriminalisierung des Protests.
In Rahmen der Demo kam es zu Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Teilnehmenden, die einem eher bürgerlichen Publikum vor Augen führten, was Polizeistaat bedeutet. Zwei Aktivistinnen hatten mit einem Transparent – mit dem Slogan „Nicht vergessen: schon ein einziger Atomunfall kann dir den ganzen Tag versauen“ – auf dem Vordach des Lingener Rathauses gestanden. Als sie herunter kamen, stürzten sich zahlreiche Polizisten, z.T. in Zivil, auf sie und schleiften sie zu ihren Fahrzeugen. Wegen angeblicher Straftaten (Hausfriedensbruch und Dachbeschädigung) wollten sie die Personalien aufnehmen.
Zahlreiche Demonstrationsteilnehmende empörten sich über dieses Verhalten, stellten sich der Polizei in den Weg und umstellten die Fahrzeuge. Obwohl bereits zahlreiche Fahrzeuge vor Ort waren, forderte die PolizeiVerstärkung an, die mit Blaulicht durch die Fußgängerzone raste. Eine Aktivistin wurde schließlich mitgenommen.
Insgesamt hat die Polizei durch die Aktion nicht an Beliebtheit gewonnen. Deshalb werden nun Straftaten konstruiert, um das überzogene Verhalten zu rechtfertigen. Wie immer wenn nichts anderes bleibt: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Bei einer Person wird der Vorwurf besonders dreist begründet; sie sei in ihrem Rollstuhl sitzen geblieben, während die Bremse angezogen war. Das ist diskriminierend und trotzdem muss sie am 8. Oktober zum Prozess erscheinen. Unterstützung ist dringend erwünscht.
Zwei Tage später, es ist früh morgens und der Beginn der Woche, in der die Brennentmentefabrik die Produktion nach dem Brand wieder aufnehmen sollte, ist dann die Zufahrt für mehrere Stunden blockiert. Aktivist*innen aus dem Umfeld des Informationsnetzwerks gegen Atomenergie „ContrAtom“ haben um 5:30 Uhr zwei mehrere Meter hohe Tripods (dreibeinige Gestelle, in denen Kletternde hängen) errichtet, weitere Menschen sitzen auf der Straße, Transparente fordern den sofottigen Atomausstieg.
Die Polizei reagiert wenig begeistert mit repressivem Verhalten, und nimmt alles weg, was Menschen zum Wärmen mitgebracht haben, einem Aktivisten sogar die Mütze vom Kopf, und das bei minus sechs Grad. Nur die Menschen auf dem Tripod erreichen sie nicht. Dafür muss erst das Spezialeinsatzkommando (SEK) aus Hannover kommen, das die Kletternden schließlichmit dem Staplerfahrzeug einer benachbarten Firma räumt.
Auch hier bleibt die Repression nicht aus. Die Staatsanwaltschaft will alle beschlagnahmten Sachen einziehen, also vernichten, allen Anwesenden, selbst der Presse, wurde der Vorwurf der versuchten Nötigung gemacht.
Da die Organe der Staatsgewalt nicht imstande sind, ein Verfahren gegen 16 Leute zu führen, greifen sie nun willkürlich einzelne heraus. Drei Menschen haben Strafbefehle wegen Nötigung bekommen, die anderen Einstellungsangebote gegen lächerliche Auflagen, die sie nicht annehmen werden. Das Verfahren müssen sie schon gegen alle führen und es wird nicht einfach.
Fazit
„Energiewende“ ist nicht; weiterhin werden Menschen verfolgt, die sich für eine vernünftige Energieproduktion einsetzen. Mit konstanter Härte und konstruierten Vorwürfen geht die Staatsanwaltschaft gegen Umweltaktivist*innen vor, während es für diejenigen, die mit ihren Fabriken alles verseuchen (und Menschen ermorden), keine Konsequenzen gibt. Lasst sie damit nicht durchkommen, informiert euch über das Geschehen, unterstützt die Menschen bei ihren Prozessen!
Anne
Weitere Infos: www.nirgendwo.info
und www.contratom.de