Ich setzen meinen Nachruf für karsten Hilsen fort.
voriger Teil 4: Gegen die Versorgungsanlagen und – Transporte der Atomindustrie
Es gab immer wieder Gerichtsverfahren, gegen Karsten oder andere. Das gehört dazu, wenn man sich für direkte Aktionen, die dem (Atom)Staat kein Gefallen tun, entscheidet.
2020 wurde er für die in Teil 4 erwähnte Blockade der Brennelementefabrik im Januar 2019, vom Vorwurf der Nötigung freigesprochen.
Ich habe ihn ein paar male vor Gericht verteidigt. Solidarität und emanzipatorischer Umgang mit Repression heißt nicht nur Geld sammeln, sondern den eigenen Prozess in die Hand nehmen, sich gegenseitig vor Gericht zu unterstützen und verteidigen (Laienverteidigung).
Mein erstes mal als Karstens Verteidigerin, war vor dem Amtsgericht in Greifswald. Es ging um eine Aktion gegen einen Castortransport nach Lubmin. Wir wirbelte wie so oft die Routine der Justiz auf, kletterten vor dem Gerichtsgebäude auf Fahnenmasten mit einem anti-Castor Banner und erreichten vor Gericht schließlich eine Einstellung auf Staatskosten, nachdem wir genug zweifel an der Rechtsmäßigkeit der Handlung der Polizei wecken konnten.
Wir lagen richtig. Eine klage gegen die besagten Polizeimaßnahmen gewann ich Jahre später vor dem Bundesverfassungsgericht.
Karsten unterstützte auch Prozesse gegen andere, wie zb der Prozess um eine Ankettaktion gegen den Export von Uranmüll aus Gronau nach Russland oder meine eigenen Gerichtsverhandlungen wegen diversen antiatom Aktionen.
Und für die Anekdote: Was habe ich beim lesen von Polizeiakten immer wieder gelacht! Wir wurden immer als gefährliche Atomkraftgegner*innen dargestellt, insbesondere die Kombination Cécile Karsten. Obwohl wir stets darauf geachtet haben (und das ist weiterhin so), keine Menschen zu verletzen oder gefährden. Die Atomtransporte sind gefährlich, nicht der Widerstand dagegen! Polizeiakten sind oft sperrig aber zuweilen unterhaltsam. Tja… wer hat wohl sein Brötchen liegen gelassen?
Andere Anekdote: das „Trainstopping“ Logo, das auf vielen T-Shirts und Kapuzis oder Tassen zu sehen ist, hat mit Karstens Antiatom-Engagement zu tun. Als 2001 eine der ersten (oder gar die erste? Ich war noch nicht dabei) Aktionen gegen ein Castortransport auf den Schienen bei Lüneburg auf der Hauptstrecke stattfand (bis dahin gab es vor allem Proteste auf der Straße und auf der Wendland-bahn), antwortete der Staat mit Repression. Es gab Strafverfahren gegen mehrere Aktivist*innen. Das „Muster-Verfahren“ durch die Instanzen wurde gegen Karsten geführt. Er wurde zunähst wegen einer Straftat verurteilt, doch das Urteil wurde aufgehoben und die Aktion schließlich als Ordnungswidrigkeit (Betreten einer Bahnanlage) gewertet. Wichtige Rechtsprechung für Nachfolgeaktionen!
Der Aufenthalt von Personen auf Eisenbahngleisen mit der Folge der Einstellung des Fahrbetriebs stellt kein Unbrauchbarmachen einer dem Betrieb dienenden Sache i. S. d. § 316 b Abs. 1 Nr. 1 StGB dar, weil durch ihn nicht auf die Substanz der Gleise eingewirkt und deren Funktionsfähigkeit nicht gemindert wird.
https://openjur.de/u/315984.html
Das Logo wurde auf Soliartikel gedruckt, um Geld für die Prozesskosten zu sammeln. Das wurde durch die LigA (Lüneburger Initiative gegen Atomanlagen) vertrieben. Heute hat die BI Lüchow Dannenberg das Logo in ihrem Sortiment an Antiatom-Soli-Artikel.
Und noch eine Anekdote: Karsten hatte u.a. „ein bisschen“ Jura studiert (sowie „Spezialpädagogik“). Als „Richter Müller“ mit seinem Einsatz für die Legalisierung von Cannabis, für Schlagzeilen sorgte, zeigte sich Karsten begeistert. Er kannte ihn aus seiner Studium-Zeit in Berlin.
Keksprozess
Ironie der Geschichte ist, dass Karsten nicht aufgrund seines Engagement gegen die Atomkraft bundesweite Berühmtheit (ungefragt) erlangte, sondern über den so genannten Keksprozess.
Karsten fuhr gerne Containern. Das heißt, er holte noch genießbare Lebensmittel aus dem Mülleimern von Supermärkten. Das war für ihn (und ich sehe es genauso) eine Möglichkeit von wenug Geld zu leben (so wenig wie möglich aber genug zum leben) und zugleich Protest gegen Kapitalismus und die Wegwerfgesellschaft. Es gibt in Lüneburg eine Konditorei Namens Scholze, die ihre Fabrik im Industriegebiet hat. Dort werden falsch verpackte Kekse, sowie Kuchenteig und Kekse in 5kg Eimer weg geworfen.
Im Keksprozess ging es um Hausfriedensbruch, Karsten habe mit einer weiteren Person das Gelände betreten, um die Kekse aus den Mülltonen zu entnehmen. Der Prozess war ein Politikum. Mit einiges an Willkür und einer Verurteilung in erster Instanz und – als der Prozess für bundesweite Schlagzeilen in der Berufungsinstanz sorgte – einem Freispruch in zweiter Instanz. (mein Artikel ist sogar bei dejure.org verlinkt) Nicht ohne eine spektakuläre Verhaftung zwischen 2 Verhandlungstage , weil Karsten sich weigerte, ein Bußgeld zu zahlen. Karsten saß zwischen 2 Verhandlungstage im Gefängnis. Aus Prinzip wollte er eine solche Strafe nicht bezahlen. (Artikel dazu)
Verfolgung bis in den Tod
Ich habe Karsten zuletzt 2021 in Lüneburg vor Gericht verteidigt. Es war ein Ordnungswidrigkeitsverfahren. Er hatte ein „Recht auf Stadt“ Camp angemeldet und es wurde so die Stadt Lüneburg die den Bußgeldbescheid erließ, gegen die Auflage, keine Musik nach 22h abzuspielen, verstoßen. Karsten hatte selbst keine Musik abgespielt, wurde aber als Versammlungsleiter dafür zu 90 Euro (Statt 500 im Bußgeldbescheid) verurteilt. Er hat das Bußgeld nicht bezahlt. Weil er kein Geld hatte und dafür auch keins Auftreiben wollte. Aus Prinzip wollt er nicht bezahlen. Die Staatsanwaltschaft hat versucht es einzutreiben und als er bereits schwer an Krebs erkrankt war, mit Erzwingungshaft gedroht. Als er sterbekrank auf der Palliativstation lag, hatte ich ein seltsames Gespräch mit der Gerichtshilfe. Ich teilte mit, dass er schwer krank auf unbestimmte Zeit im Krankenhaus liege, er deshalb keine Auskunft über sein Einkommen geben könne. Es sei zudem nicht relevant ob er nicht zahle, weil er nicht könne oder weil er nicht wolle, denn Erzwingungshaft sei nur statthaft wenn der Betroffene haftfähig ist, was ja nicht der Fall sei und der Justiz stehe es ja offen eine amtsärztliche Untersuchung anzuordnen, wenn meinen Angaben nicht geglaubt werde. Zwei Woche nach Karstens Tod bekam ich ein erneutes Schreiben der Staatsanwaltschaft, ich solle Belege über seinen Gesundheitlichen Zustand und Einkommen einreichen. Ich habe mitgeteilt, dass eine Kontaktaufnahme mit dem Mandanten nicht möglich ist, und ich bin ja höflich: „Ich danke ihnen für ihr Mitgefühl und verbleibe mit der ihnen gebührenden Hochachtung“
Beitragsbild: Solibanner bei meinem ersten « Baumklettern Verfahren » am AG Lüneburg 2007, seitdem habe ich den Spitznamen Eichhörnchen und Karsten nannte mich später « Hörnchen ».