Widerspruchsgeist und hungernde Gefangenen

Neckar-K(n)astor-Tagebuch Teil IV

voriger Beitrag Teil III – Trubel draußen, bissl Gedanken über Unterdrückung und eine geschlossene Gesellschaft

13. April

Ich habe die Nacht erneut mit Schmerzen gekämpft. Es geht mir trotzdem deutlich besser, seitdem ich weiß, dass meine Freund*innen Bescheid wissen, wo ich mich befinde. Es wurde einiges in die Wege geleitet, um meinen Fall öffentlich zu machen. Mir hilft es unheimlich das hier durchzustehen und es braucht Menschen, die auf Missstände aufmerksam machen. Darum beabsichtige ich, dieses Tagebuch zu veröffentlichen. Ich bin „nur“ (eigentlich schon zu viel) 3 Tage hier und komme mir sehr „begünstigt“ vor. Ich habe ein aktives soziales Umfeld und kenne meine Rechte. Ich werde ich beim Umschluss „die politische Gefangene genannt.“ Die Leute finden schön, dass Mensch den CASTOR stoppt und vor Gericht auch noch dazu steht und sich selbst verteidigt, unbequem für die Justiz ist.

Umschluss ist, wenn die Zellentüren für eine Stunde offen bleiben und man sich auf Station bewegen darf. Bei den Frauen bleibt dies überschaubar, es sind zwei Zellen, verbunden durch einen Gang. Ich gehe nicht in die andere Frauenzelle, dort wird geraucht. Ich nutze die Zeit für Gespräche und werde viel zu juristischen Themen ausgefragt. Die Frauen kennen ihre Rechte nicht und werden erst recht nicht darüber aufgeklärt. Angst macht die Menschen gefügig. Das ist für den Unterdrückungsstaat bequem. Manch ein Bediensteter hier hasst mich dafür, dass ich meine Rechte einfordere und offen Kritik ausübe (und sicher auf dafür, dass draußen meinen Freund*innen nicht untätig bleiben). Die andere Beamtin kennt mich „aus dem Fernsehen“ und zeigt eine gewisse Neugier für das, was ich mache.

Wenn Richter Reißer eines geschafft hat: Mir Zeit zu geben, die ansonsten nie habe, um über meine Anti-Knast-Haltung nachzudenken. Das verstärkt meine Überzeugungen, meine Lust weiter ungehorsam, unbequem, ungehörig – und wenn damit die Verteidigung von Rechtspositionen gemeint ist, meinetwegen auch ungebührlich – zu sein.

Neckar-K(n)astor-Tagebuch Teil IV

voriger Beitrag Teil III – Trubel draußen, bissl Gedanken über Unterdrückung und eine geschlossene Gesellschaft

13. April

Ich habe die Nacht erneut mit Schmerzen gekämpft. Es geht mir trotzdem deutlich besser, seitdem ich weiß, dass meine Freund*innen Bescheid wissen, wo ich mich befinde. Es wurde einiges in die Wege geleitet, um meinen Fall öffentlich zu machen. Mir hilft es unheimlich das hier durchzustehen und es braucht Menschen, die auf Missstände aufmerksam machen. Darum beabsichtige ich, dieses Tagebuch zu veröffentlichen. Ich bin „nur“ (eigentlich schon zu viel) 3 Tage hier und komme mir sehr „begünstigt“ vor. Ich habe ein aktives soziales Umfeld und kenne meine Rechte. Ich werde ich beim Umschluss „die politische Gefangene genannt.“ Die Leute finden schön, dass Mensch den CASTOR stoppt und vor Gericht auch noch dazu steht und sich selbst verteidigt, unbequem für die Justiz ist.

Umschluss ist, wenn die Zellentüren für eine Stunde offen bleiben und man sich auf Station bewegen darf. Bei den Frauen bleibt dies überschaubar, es sind zwei Zellen, verbunden durch einen Gang. Ich gehe nicht in die andere Frauenzelle, dort wird geraucht. Ich nutze die Zeit für Gespräche und werde viel zu juristischen Themen ausgefragt. Die Frauen kennen ihre Rechte nicht und werden erst recht nicht darüber aufgeklärt. Angst macht die Menschen gefügig. Das ist für den Unterdrückungsstaat bequem. Manch ein Bediensteter hier hasst mich dafür, dass ich meine Rechte einfordere und offen Kritik ausübe (und sicher auf dafür, dass draußen meinen Freund*innen nicht untätig bleiben). Die andere Beamtin kennt mich „aus dem Fernsehen“ und zeigt eine gewisse Neugier für das, was ich mache.

Wenn Richter Reißer eines geschafft hat: Mir Zeit zu geben, die ansonsten nie habe, um über meine Anti-Knast-Haltung nachzudenken. Das verstärkt meine Überzeugungen, meine Lust weiter ungehorsam, unbequem, ungehörig – und wenn damit die Verteidigung von Rechtspositionen gemeint ist, meinetwegen auch ungebührlich – zu sein.

Ich weiß nicht einmal zu was für ein Bußgeld ich Donnerstag verurteilt wurde. Mein Anwalt und meine Vertrauensperson wussten es am Telefon auch nicht. Öffentlich war die Urteilsverkündung offensichtlich nicht, wenn niemand etwas davon live mitbekommen hat. Ich weiß dass es ein Urteil gegeben hat, weil ich mit der Polizei auf den Haftbeschluss warten musste, bevor ich abtransportiert wurde. Ich weiß auch, dass bei meiner Verhaftung der komplette Gerichtssaal geräumt wurde, selbst die Presse wurde heraus gebeten.

Es ist mir aber ein bisschen egal, zu was ich verurteilt wurde, ich wusste dass Richter Reißer schon vor Prozessbeginn sein Urteil im Kopfe hatte. Meiner Meinung nach müsste ich wegen der nicht rechtmäßigen Auflösung der Versammlung freigesprochen werden, das ist Rechtsprechung vom Bundesverfassungsgericht. Die Rechtsprechung aus Karlsruhe scheint aber das Amtsgericht Heilbronn nicht erreicht zu haben. Richter Reißer lehnte jedenfalls alle meine Beweisanträge dazu als nicht zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ab und dann durfte ich mich dazu nicht äußern (ich hätte nach der StPO eine Gegendarstellung einreichen dürfen!) und die Situation eskalierte an dieser Frage. Ich gehe davon aus, dass ich verurteilt wurde, möglicherweise ist das Bußgeld nicht allzu hoch, den bei niedrigeren Bußgeldern sind die Rechtsmittel eingeschränkt (Zulassung der Rechtsbeschwerde) und die formalen Hürden für eine Überprüfung des Urteils hoch. Ich gehe in die nächste Instanz. Castor bleibt doof und ich stehe zu den gelaufenen Protestaktionen.

Wenn der Staat Menschen aufgrund ihres politischen Engagements einsperrt, zeigt er sein wahres hässliches Gesicht.

DEMOKRATUR!

Ach nö, ich nur wegen Ungebühr hier. Natürlich. NiX politisches.
Ich will den Rechtsstaat lieben, aber ich schaffe es einfach nicht.

Die JVA macht unfreiwillig etwas für meine Gesundheit. Es fühlt sich wie das Fasten im Krankenhaus an. Ich war vor einem Monat stationär im Krankenhaus in Berlin, dort wurde mein Rheuma behandelt, unter anderem mit Fasten, erfolgreich war es leider nicht. Die Blutegel auf dem Knie haben mir mehr geholfen.

Das Essen hier macht nicht satt. 2 trockene Brotschreiben morgens mit einer kleinen Dose Margarinefett und Marmelade. Ich darf aus gesundheitlichen Gründen das Margarinefett nicht essen, eine zusätzliche Dose Marmelade erhalte ich als Ersatz nicht. Abends gibt es auch nur trockenes Brot mit 2 kleinen Portionen Aufstrich oder 2 Käsescheiben. Man darf mehr Brot haben, aber der Aufstrich reicht für mehr nicht. Mal gibt es ein Obst dazu. Gestern abend gab es einen Apfel und zwei Käsescheiben. Davon wurde ich nicht satt. Mittags gibt es warmes Essen. Die Bohnensuppe konnte ich gestern nicht herunter schlucken. Zu salzig und sonst kaum genießbar. Ich habe die Ärztin darauf hingewiesen, dass ich aufgrund der großen  Menge Cortison, die ich zu mir nehme, auf salzarme Kost angewiesen bin, wegen der Nebenwirkungen der Cortison. Das wird hier ignoriert. Das Fischgericht war heute Mittag dagegen genießbar. Eine positive Ausnahme, sagen meine Mitgefangenen. Ich war selbst darüber überrascht, wie ich mich auf das Essen gestürzt habe, als es kam. Viele Gespräche drehen sich um dass Essen, weil die Frauen dauerhaft hungrig sind.  Meine ca. 60 Jahre alte Zellengenossin ist nach wie vor darüber empört, dass sie hier hungert. Sie hätte sich nie vorgestellt, dass  man im Knast in Deutschland hungert. Wer Geld auf dem Knastkonto hat und sich beim 15-tägiger Einkauf (Mensch darf alle 15 Tage Produkte aus einer Liste wählen) Lebensmittel gekauft hat, steht im Vorteil. Die Frauen sehnen sich nach Zucker und Schokolade. Ich habe bereits die Portion Zucker, die ich erhalten habe, weiter gegeben. Ich trinke kein Kaffee und füge meinem Tee kein Zucker zu. Gut finde ich, dass Früchtetee und Pfefferminze-Tee in ausreichender Menge verfügbar sind. Immerhin was!

Ich wurde nach meiner Konfession gefragt. Meine Antwort war klar:
KEIN GOTT
KEIN STAAT
KEIN VATERLAND
KEIN FLEISCHSALAT (meine Mitbewohner*innen werden verstehen)
ANARCHIE TOUJOURS

Der Pfarrer ist vorbei gekommen. Ein freundlicher ruhiger Herr. Er hat immer mal ein paar Gegenstände für die Gefangenen, wie Briefmarke, Umschläge oder auch – wenn ich das richtig aufgegriffen habe – Kaffee. Aber was hat das denn mit Religion zu tun? Warum soll es ein Privileg der Gläubigen sein? Religion ist meiner Meinung nach Privat-Sache, ich bin Atheistin. Ich werde nicht zum Gottesdienst gehen, auch wenn dieser hier primär eine soziale Funktion hat. Die Gefangenen sind einfach nur froh, wenn sie ihre Zelle verlassen dürfen.

Teil V – Ich werde das Gefühl von Willkür hier nicht los.