AKW- und HSL-Bau in Frankreich – die Zuspitzung

Ich setze meine Serie „Erlebnisse und Einblicke im Widerstand gegen Hochspannungsleitungen (HSL) und AKW-Neubau in Frankreich“fort. Am 24. Juni 2012 spitzte sich die Situation bei einer Demonstration in Montabot (Normandie) zu. Der Kampf nahm bürgerkriegsähnliche Züge an. Das Ergebnis: zahlreiche Verletzte bei den AktivistInnen, Ohnmachtgefühle und Empörung. Meine Recherchereise traf genau diesen Wendepunkt im Kampf gegen die Hochspannungsleitung. Das war Zufall. Ich erlebte die Explosion live und Stand unter Schock – wie viele AktivistInnen auch vor Ort. Um die Entwicklungen besser zu verstehen habe iich zahlreiche Interviews mit AktivistInnen und EinwohnerInnen durchgeführt. Es war nicht zu übersehen: die Walze an Repression bestimmt seit Monaten das Leben vieler EinwohnerInnen. Diese Zuspitzung hat der Atomstaat genau einkalkuliert. Der Widerstand soll sich geschlagen geben. Ob dies aufgeht?

Ich setze meine Serie „Erlebnisse und Einblicke im Widerstand gegen Hochspannungsleitungen (HSL) und AKW-Neubau in Frankreich“fort. Am 24. Juni 2012 spitzte sich die Situation bei einer Demonstration in Montabot (Normandie) zu. Der Kampf nahm bürgerkriegsähnliche Züge an. Das Ergebnis: zahlreiche Verletzte bei den AktivistInnen, Ohnmachtgefühle und Empörung. Meine Recherchereise traf genau diesen Wendepunkt im Kampf gegen die Hochspannungsleitung. Das war Zufall. Ich erlebte die Explosion live und Stand unter Schock – wie viele AktivistInnen auch vor Ort. Um die Entwicklungen besser zu verstehen habe iich zahlreiche Interviews mit AktivistInnen und EinwohnerInnen durchgeführt. Es war nicht zu übersehen: die Walze an Repression bestimmt seit Monaten das Leben vieler EinwohnerInnen. Diese Zuspitzung hat der Atomstaat genau einkalkuliert. Der Widerstand soll sich geschlagen geben. Ob dies aufgeht?


Bis in die größten französischen Zeitzungen und Sender schaffte es das rebellische Dorf Le Chefresne plötzlich Anfang Juni 2012, als der Oberbürgermeister verhaftet wurde. Dieser verlangte vom Stromnetzbetreiber RTE die Einhaltung einer Verfügung seiner Kommune, die den Bau der Trasse in weniger als 500 Meter Entfernung zu den Häusern verbietet – aus sanitären Gründen, wegen der ungeklärten Risiken für die Gesundheit der EinwohnerInnen. Die Antwort war zwölf Stunden Gewahrsam. Der OB würde sich einem gemeinnützigen (1) Projekt in den Weg stellen… Mit Humor, erzählt Jean Claude Bossard über diesen Vorfall.

Während meiner Ingewahrsamnahme wurde ich mindestens zehn male dazu aufgefordert, mein Amts-Trikolore, den Schal den ich als OB trug, auszuziehen. Sie haben mir die Schnürsenkel, mein Handy, meine Uhr und so weiter weg genommen. Mein Schal aber nicht, habe ich gesagt. Ich habe ihn im Rathaus angezogen un werde ihn dort wieder ablegen. Sie müssen mich mit dem Schal ertragen. Und mit der Verfügung war das genauso. Ich hatte sie in der Hand und gab sie nicht ab. Ich habe gesagt, sie können mich bis auf die Unterwäsche ausziehen, mein Schal und meine Verfügung behalte ich aber. Beim der erkennungsdienstlichen Behandlung haben sie es erneut probiert. Aber nein, sie mussten mich 12 Stunden mit dem Schal ertragen. Sie haben sich unwohl gefühlt. Es gab drei Verhöre, beim ersten ging es nur um Politik, nicht um Fakten. Das war’s.

Die Einnahme des Wasserturmes, der einem Verein von TrassengegnerInnen vermietet war und zum Symbol des Widerstandes wurde,  wenige Tage später ist für Jean Claude Bossard eine logische nach seiner Festnahme gewesen:
„Ich habe Todesdrohungen erhalten. Sowohl per Ferngespräch als auch unmittelbar überbracht. Ich hatte die Wahl zwischen der Kettensäge und dem Gewähr…. Die Drohung kommen von Bauunternahmen, deren Baumaterial sabotiert wurde, so die Behauptung. Das kann schon stimmen…Die Repression ziel eindeutig auf mich, den Oberbürgermeister. Der Stadtrat hat immer klare Stellung bezogen – jenseits von Parteigrenzen. Als ich in Gewahrsam genommen wurde, wurde beschlossen, die kommenden Parlamentswahlen zu Boykottieren. Mit der Präfektur wurde abgesprochen, dass wir nur die Wahlbüros öffnen und schließen. Die Behörde schickte uns dann aber die Polizei. Selbst diese Behörde hält sich nicht an ihrem Wort. Ich habe gesagt, ich lasse mich icht weiter an der Nase führen, ich trete zurück. Weder der Justiz, noch der Polizei konnte man vertrauen. Ich finde wir haben mit dem Rücktritt richtig gehandelt, wir hatten recht. Wenige Tage später sprengte die Polizei auf Anordnung der Präfektur die Tür des Wasserturms, obwohl dieser Eigentum der Stadt ist und legal an einem – anti HSL – Verein vermietet war, obwohl die Polizei nur nach dem Schlüssel hätte Fragen müssen…  Der Einsatz wurde mit aus „Sicherheitsgründen“ angeordnet. Was die Behörde mit Sicherheit meint haben wir bei der Demonstration am 24. juni gesehen… über 20 Verletzten durch Polizeiwaffen. […] Die AktivistInnen hatten den Turm schon in September in Büros umfunktioniert und das Gebäude saniert…Jetzt steht die Polizei mit Fernglas oben auf dem Wasserturm und bewacht das Gebäude rund um die Uhr.“

Die Festnahme des Oberbürgermeisters von Le Chefresnes und die Einnahme eines Symbols vom Widerstand gegen die Trasse, den Wasserturm,  sowie die „Explosion“ bei der Demonstration in Montabot am 24. Juni 2012 sind wahrnehmbare Aspekte der Walze an Repression zur Durchsetzung der Hochspannungsleitung gegen den Willen der Bevölkerung. Im Gespräch erzählten EinwohnerInnen und AktivistInnen vom andauernden versteckten Psychoterror des Staates.

„Gestern in Montabot, das war die Krönung. Wir stehen aber bereits seit März unter polizeilicher Überwachung rund um die Uhr. Familientreffen enden immer in der gleichen Art und Weise: der Hubschrauber verfolgt die Gäste bis zu ihrer Wohnung. Und wer Nachts raus geht, das ist sogar meinen Eltern passiert obwohl sind schon 87 Jahre alt sind, dem begegnet bewaffnete dunkle Gestalten in Militäranzug. Wir denken das ist nur ein Traum, oder genauer gesagt ein Alptraum. […] meine Eltern spielen Karten und gehen abends spät nach Hause. „Ausweiskontrolle“ heißt es immer wieder. Sie setzen die Bevölkerung unter Druck.„ erklärt Jean Claude Bossard.

Morage, eine Mutter zweier Kinder, erzählt mir, sie engagiere sich seit Jahren politisch, auch wenn sie mit Aktivismus im Sinne von direkten politischen Aktionen wenig Erfahrung habe. Einen solchen Nervenkrieg habe  sie zuvor nie erlebt. „ Ich habe den Eindruck, sie wollen die Bewegung mit Gewalt  brechen. Hubschrauber und Lichtstrahl die ganze Nacht über unsere Häuser, Sie wollen uns schwächen, uns psychologisch unter Druck setzen.“

Gabi ist Deutsche seit über zehn Jahren in Frankreich. Sie spricht auch von Nervenkrieg. „Also es ist zunehmend mit der Zeit, es wird ein Nervenkrieg, das ist ein offizieller Nervenkrieg. Es ist schlimm, wenn man weiß man kann sich alle zwei Minuten anhalten lassen, Auto kontrollieren, Papiere kontrollieren, das ist einfach ziemlich stressig. Es gibt natürlich bestimmte Leute die sind ein bisschen mehr verfolgt, weil sie einfach bekannter sind noch im aktiven Kreis. Ich nenne das ist immer « Harcellement » Stalking. […] Man kann nicht immer lieb und nett lächeln, die Papiere geben, irgendwann wird es nervig. Aber darauf zählt die Gegenseite, das ist ihre Strategie. Man versucht ganz cool und locker zu bleiben, aber es ist nicht immer möglich.“

Über 70 Aktionen gegen die Hochspannungsleitung, darunter zahlreiche Sabotageakten, hatte der Netzbetreiber Anfang Juni 2012 zusammengezählt.
« Es sind immer mehr Aktionen geworden, das hat damit zu tun, dass der Netzbetreiber RTE Druck macht und so schnell wie möglich Tatsachen schaffen will. Obwohl es mit dem Bau überhaupt keine Eile gibt, der Atomreaktor EPR wird nicht vor Jahren in Betrieb genommen werden können.“ erklärt eine Aktivistin, die anonym bleiben will

Auf die Frage nach der Akzeptanz für solche Aktionen innerhalb der Bewegung antwortet sie :
„Es hat sich niemand beschwert. Ich habe eher Kommentare „à la Jungs und Mädels, Passt auf euch auf, kann gefährlich sein“ gehört. Aber der Sachschaden… das es illegal ist… das stört die Menschen in der Bewegung nicht, egal welche Aktionsform sie persönlich vertreten.“

Und bei der Aufklärung der nächtlicher Sabotageakten an Masten und Baumaterial liegt die Erfolgsquote der Polizei bei null… Die Polizei geht mit besonderem Eifer gegen die Bevölkerung vor – als sei es eine Kompensation zu ihrem Misserfolg gegen AktivistInnen.
Die Nerven liegen jedenfalls auf beiden Seiten blank. Zu einer Explosion musste es früher oder später kommen.

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