Der Gerichtstermin für Januar 2015 in Dülmen stand eigentlich schon seit August fest. Das Gericht macht aber kurz vor dem angesetzten Termin einen Rückzieher. Es mag doch nicht klären ob Mensch eine Versammlung am Fahnenmast leiten kann. Ich hatte gegen einen Strafbefehl in Höhe von 30 Tagessätzen Widerspruch eingelegt und war wegen der Durchführung einer nicht angemeldeten Versammlung – am Fahnenmast kletternd – angeklagt. Hintergrund war eine Kletteraktion mit 4 Personen (2 Flyerverteilende und 2 Kletternde) gegen die UAA Gronau und für eine Großdemo zum Fukushima-Jahrestag. Ich gebe hier ein paar Einzelheiten zur – absurden – juristischen Auseinandersetzung und der von mir gewählten Verteidigungsstrategie.
Die Staatsanwaltschaft warf allen vier Beteiligten vor, die Versammlung geleitet zu haben. Sie stellte gegen drei Personen das Verfahren wegen Geringfügikeit ein und erhob Anklage gegen mich. Ich bin so böse, dass das öffentliche Interesse an der Verfolgung bejaht werden musste. Für mich war klar: Es ahndelte um eine poltisch Motivierte Anklage. Die Staatsanwaltschaft Münster verdaut Niederlagen schlecht. Als ich im Dezember 2013 den Strafbefehl erhielt, war die münsteraner Staatsanwaltschaft gerade mit dem Versuch gescheitert, eine Kletteraktion gegen einen Uranmülltransport aus dem Jahr 2008, zu kriminalisieren. Sie dachte sich so dann den nächsten Vorwurf aus und wählte einen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz aus, das scheint nämlich ihre Spezialität zu sein. Das mache ich an den Verfolgungswillen, den die Behörde gegen AntifaschistInnen gezeigt hat, als sie dutzende Verfahren wegen „Versammlungssprengung“ durchführte – und verlor. (Infos dazu gibt es unter: http://gegen1000kreuze.blogsport.de/category/archiv/)
Der Strafbefehl war eine Überraschung, weil ich nicht wusste, dass ein Strafverfahren gegen mich lief. Ich hatte von der Polizei zuvor weder eine Vorladung noch ein Anhörungsbogen erhalten. Nicht dass ich mich gegenüber einer Behörde, die sowieso einseitig zur Belastung ermittelt, geäußert hätte… aber ich nahm dies als Hinweis dafür, dass das Gericht sich von vorne herein um meine Rechte als Beschuldigte im Strafverfahren scherte. Es war ein Zeichen dafür, dass die zuständige Richterin Von Koppenfels den Strafbefehl, also die Verurteilung ohne Prozess, unterschrieben hatte, ohne auch nur einen Blick in die Akte zu werfen. Ich habe mir in Schriftstücken an das Gericht erlaubt, diesen Verdacht zu äußern.
Es folgte den Kampf um die Akteneinsicht. Ich stellte einen Antrag nach §147 VII StPO und erhielt eine Antwort nach §475 IV StPO! Die Richterin war nicht einmal in der Lage meine Anträge korrekt zu bescheiden. Ich erhielt eine Akte mit durchgehend geschwärzten Namen, was ich mir nicht gefallen lies. (Beschwerdeschreiben als PDF)
Ich erhielt im August 2014 als nächstes die Ladung zur Hauptverhandlung im Januar 2015! Für die Lappalie wurden gleich drei Termine festgelegt. Ich beschwerte mich erneut über die fehlende Akteneinsicht und konnte es nicht lassen, dabei ein bisschen frech zu sein:
„Die Anklage klingt bereits danach und ein bisschen nach Alber Camus (Siehe „Der Fremde“ ) – was bei einer politisch motivierten Anklage nicht verwunderlich ist. Unter dem Motto, wir haben nichts in der Hand, die Menschen haben friedlich ihre Meinung geäußert und niemanden gestört (ist keine Aussage von mir, das entnehme ich aus der Akte, wer das geschrieben hat, kann ich aber nicht lesen, ist ja geschwärzt), aber Repression muss sein. Kritische politisch engagierte Menschen müssen kriminalisiert werden, sie stören die Reproduktion von Ruhe und Ordnung (Siehe Erich Fried). Da ist kein geschriebenes Gesetz aber egal, Papa Staat muss sich ja nicht an seine Gesetze halten (habe ich so die Erfahrung gemacht…).“
Ich weiß nicht ob es am Richterwechsel lag, oder ob die Metaebene meines Schreibens so interpretiert wurde, wie von mir beabsichtigt: ich bekam ohne weiteres Kommentar endlich die vollständige Strafakte in Kopie nach Hause geschickt.
Mein Verdacht der politisch motivierten Verfolgung der Staatsanwaltschaft wurde bekräftigt. Vermerke besagten, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren partout nicht einstellen will, weil ich soooo böse bin und es ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung gibt. »Einer Verfahrenseinstellung gem. § 153 Abs. 2 StPO wird nicht zugestimmt. », Vermerk von Staatsanwalt Woltering vom 19.12.2013, Bl. 43 d.A.
Ich habe darauf hin beschlossen, mit offenen Karten zu spielen und zu zeigen, dass ich mich juristisch zu wehren weiß. Ich habe im Oktober 2014 in der Form eines Antrages auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers (pdf) juristisch – ohne Aussage zur Sache – zur Anklage Stellung genommen und dessen Absurdität dargelegt.
Der zuständige Richter Tiffert hat offensichtlich die Botschaft verstanden. Als nächstes bekam ich das Angebot, das Verfahren auf Staatskosten einzustellen. Die Staatsanwaltschaft hatte oh Wunder entgegen ihrer Verfügung von vor genau einem Jahr ihre Zustimmung für die Einstellung erteilt. Es muss ein klärendes Gespräch zwischen Richter Tiffert und Staatsanwalt Woltering gegeben haben.Das Gericht wollte nun auch meine Zustimmung. Ich wurde für den Fall dass ich nicht zustimme, um die Benennung eines Verteidigers gebeten. Der Richter hätte somit meinem Antrag auf Pflichtverteidigung wegen der schwierigen Rechtslage statt gegeben.
Ich hätte um einen Freispruch kämpfen können. Den Anwalt hätte mir der Staat stellen müssen, das wäre für die Staatskasse ganz schön teuer geworden. Ich habe mich aber aus „prozessökonomischen“ Gründen für die Einstellung entschieden. Sie erfolgt schließlich auf der gleichen Rechtsgrundlage (§153II StPO) wie bei den anderen 3 Beteiligten. Meine Zeit und Energie stecke ich lieber in weiteren politischen Aktionen als in einem absurden Strafprozess ein. Absurde Prozesse habe ich genug erlebt. Darüber kann ich nun genüsslich und entspannt in Dülmen vortragen. Der Prozess ist abgesagt, meine Lesung am 6.1. findet trotzdem statt. Absurde Geschichten aus dem Gerichtssaal gibt es in meinem Buch „Kommen Sie da runter!“ genug.
Eichhörnchen
Hier die Info, die an die lokale Presse ging:
Terminankündigung: Lesung mit Kletteraktivistin Cécile Lecomte in Dülmen
* Prozess gegen Atomkraftgegnerin in Dülmen abgesagt
* Kletteraktivistin kommt trotzdem nach Dülmen und liest am 6. Januar 2015 um 19 Uhr im „Hotel am Wildpferd“ aus ihrem Buch „Kommen Sie da runter!“
Vor einem Jahr in Dülmen auf dem Marktplatz bot sich ein ungewöhnliches Bild: Zwei Atomkraftgegner*innen waren auf Fahnenmasten geklettert und entrollten ein Transparent „Atomkraft den Boden entziehen – Urananreicherung stoppen“. Zwei weitere Personen verteilten Flyer gegen die Urananreicherungsanlage in Gronau und für eine anstehende Demonstration zum Fukushima-Jahrestag an die Marktbesucher*innen.
Überraschend erhielt eine Kletteraktivistin im Dezember 2013 einen Strafbefehl in Höhe von 30 Tagessätzen, Vorwurf: Leitung einer unangemeldeten Versammlung. „Politische Meinungsäußerung durch das Verteilen von Flyern und das Anbringen von einem Transparent an Fahnenmasten als Straftat zu verfolgen ist klar politisch motiviert und nicht hinnehmbar.“ erklärte die Angeklagte Cécile Lecomte.
Der Prozess um die Versammlungsleitung am Fahnenmast hätte am 7. Januar 2015 vor dem Amtsgericht Dülmen statt finden sollen, drei Verhandlungstage waren angesetzt worden. Die Gerichtstermine wurden aber kurzfristig abgesagt und das Strafverfahren auf Staats
kosten eingestellt. „Das Gericht hat möglicherweise selbst bemerkt, dass es sich mit solch einen absurden Prozess zum Affen machen würde.“ kommentiert Cécile.
Auch wenn ihr Verfahren nun eingestellt worden ist: Die bundesweit als „Eichhörnchen“ bekannte Polit-Aktivistin kommt trotzdem nach Dülmen. Am 6. Januar 2015 um 19 Uhr liest sie im « Hotel zum Wildpferd » (Münsterstr. 52) aus ihrem 2014 erschienenen Buch. Der Titel lautet « Kommen Sie da runter!“ – das ist der Satz, den sie bei ihren Aktionen am häufigsten hört. Er wird von der Polizei ausgesprochen und zeigt zugleich deren Verwirrung und Ohnmacht, wenn sie den Bütteln des Atomstaats mit unzähligen Kletteraktionen auf der Nase herumtanzt.
In Kurzgeschichten und Bildern erzählt sie von ihrem Engagement für eine Welt ohne Atomkraft, Kohlekraft, Gentechnik, Kriege oder Rassismus. Ihre Kurzgeschichten erinnern uns daran, dass politisches Engagement eine Frage unbegrenzter Phantasie sein kann. Zahlreiche Geschichten spielen sich im Münsterland ab, die Aktivistin engagiert sich dort gegen Atomtransporte und die Urananreicherungsanlage in Gronau.
Weitere Informationen:
Seite zum Gerichtsverfahren in Dülmen: http://nirgendwo.info/duelmen/
Buch von Cécile Lecomte: « Kommen Sie da runter!“ Kurzgeschichten und Texte aus dem politischen Alltag einer Kletterkünstlerin – Verlag Graswurzelrevolution 2014 – 189 Seiten – mit DVD – ISBN: 978-3-939045-23-6 – http://www.graswurzel.net/verlag/eichhoernchen.php und http://blog.eichhoernchen.fr/pages/Eichhoernchen-Buch