Ich war am gestrigen Tag in Berlin für eine Tagung der Gesellschaft für Freiheitsrechte zu 70 Jahre Grundgesetz eingeladen. Ich habe in einem kurzem Redebeitrag einen kritischen Blick darauf geworfen. Den Beitrag gebe ich hier wieder. Ich habe dazu viel positivem Feedback erhalten, das hat mich gefreut. Ich habe an der gesamten Tagung teilgenommen, ich fand insbesondere die Diskussion zum Thema Antidiskriminierungsrecht spannend.
Es war gar nicht einfach zu dieser Tagung zu fahren, weil das Mobilitätsdienst mir zunächst Ein- und Ausstiegshilfen mit meinem Rollstuhl für die Fahrt verweigerte, weil der Umstieg in Büchen wenige Minuten vor und nach den Arbeitszeiten der Bediensteten erfolgen sollte. Der Druck über Twitter hat geholfen… Aber traurig dass es so weit kommen muss, um sein Recht auf Mobilität durchzusetzen!
Heute bestätigte sich in Hamburg bei der Fridays for Future Demonstration mein Vorbringen auf der Tagung: Der Staat bricht ständig die eigenen Gesetze, die Polizei ist eine Gefahr für Grundrechte.
Ca. 20 000 Menschen haben sich auf der Demonstration Fridays for Future in Hamburg beteiligt. Ich finde es ermutigend, dass so viele überwiegend junge Menschen gegen die Klimakrise auf die Straße gehen.
Auf der Abschlusskundgebung haben Aktiven von Robin Wood ein großes Banner aufgehängt. Darauf stand » Dont sell the climate – end coal now ». Die Polizei hat versucht das Spannen des Banners zu unterbinden und es im Anschluss beschlagnahmt. Mit der Absurden Begründung, das sei eine nicht angemeldete Versammlung. Aufenthaltsverbote wurden unter Androhung einer Ingewahrsamnahmen wahllos an Menschen, die die Polizei mit der Banneraktion in Verbindung brach, erteilt.
Als würde Klettern nicht zu einer Versammlung gehören! Laut Bundesverfassungsgericht besteht Typenfreiheit, die Grundrechtsträger dürfen frei entscheiden in welcher Art und Weise sie auf einer Versammlung ihre Meinung kund tun. Eine Demonstration muss nicht in Kubikmeter angemeldet werden. Artikel 8 Grundgesetz gilt auch in der dritten Dimension. Die Aktion war friedlich, die Handlung der Polizei entbehrte wie so oft jeglicher Rechtsgrundlage. « Sie können dagegen klagen » sagte die Polizei. Häm , das habe ich in der Vergangenheit schon gemacht, was bringt mir das Stück Papier, wenn die Staatsgewalt eh drauf scheißt? Siehe das Urteil vom VG Lüneburg (bestätigt durch das OVG) zu Kletter-Versammlungen und mein Blogbeitrag zu der damaligen Klage.
Bildquelle: Eichhörnchen
Beitrag von Cécile Lecomte, Programmpunkt Impulse, Tagung gffgg70
Mein heutiger Beitrag beschäftigt sich mit dem Grundgesetz unter dem Aspekt der Grundrechte und meiner ganz persönlichen Erfahrungen als Umweltaktivistin, als politisch engagierter Mensch – mit Behinderung.
„Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“. Steht im Grundgesetz Art. 3. Ironie der Geschichte ist, dass ich ausgerechnet bei meiner Anreise zu einer Tagung zum Thema Grundgesetz Diskriminierung erfahren habe. Der Mobilitätsdienst der Bahn wollte mir keine Hilfe bei meiner Fahrt mit dem Rollstuhl heute früh anbieten, weil mein Zug eine Minute vor Dienstbeginn der Bediensteten vom Mobilitätsdienst startete. Ich habe mich dagegen gewehrt und schließlich durchgesetzt. Meine Erfahrung ist, dass das Grundgesetz kein Garant für Grundrechte ist, weil ihre Ausgestaltung in der Wirklichkeit häufig weit davon entfernt ist . Grundrechte müssen erkämpft und verteidigt werden.
Als Umwelt- und Kletteraktivistin beteilige ich mich an zahlreichen gewaltfreien direkten Aktionen: Banneraktionen, Kletteraktionen, Baumbesetzungen, Sitzblockaden, etc. Und weil entschlossener öffentlichkeitswirksamer Protest die Mächtigen dieser Welt stört, wird dieser kriminalisiert.
Meine Erfahrung ist aber, dass der Staat ständig die eigenen Gesetze bricht und Grundrechte missachtet, um Protest zu bekämpfen. Ich zähle die Ingewahrsamnahmen schon lange nicht mehr. Ich wurde sogar durch Antiterror-Einheiten, nämlich mehreren Mobilen Einsatzkommandos wochenlang rund um die Uhr überwacht. Damals wollte man verhindern, dass ich gegen einen Castortransport demonstrierend protestiere.
Ich wurde durch die niedersächsische Polizei von 2012 bis 2016 als „Relevante Person“ geführt, eine ähnliche Einstufung wie „Gefährder“, einem Begriff, der im Zusammenhang mit Terrorismus, in aller Munde ist. Ich bedanke mich bei der GFF für die Unterstützung bei der Öffentlichkeitsarbeit in dieser Sache. Die Polizei hat den Eintrag gelöscht, um eine Klage abzuwenden. Weshalb die Einstufung erfolgte, weiß ich bis heute nicht.
Ich habe zu Hause über 20 Gerichtsbeschlüsse, worin steht, dass die Staatsgewalt anlässlich von politischen Aktionen gegen meine Grundrechte aus Art. 2 (Freiheitsrechte), Art. 8 (Versammlungsfreiheit), etc. verstoßen hat. Zahlreiche Erfahrungen habe ich in meinem Buch „Kommen Sie da runter!“ geschildert (1).
Man könnte meinen, das ist doch gut, der Rechtsstaat hat wunderbar funktioniert. Doch ein „Gerichtsbeschluss“ ist nur ein Stück Papier und macht keine Freiheitsberaubung oder Traumata, die die Willkür verursacht hat, wieder gut.
Selbst wenn Gesetze eingehalten werden, können Grund- und Menschenrechte gefährdet werden. Der aktuelle Rechtsruck der Gesellschaft ist besorgniserregend. Die Gesetzesgebung orientiert sich oft nicht an Grundrechten, sie wird viel mehr von politischen Interessen gesteuert.
Diktaturen können auch durch Wahlen und Gesetze an die Macht kommen.
Wenn immer weitere willkürliche menschenrechtsfeindliche Gesetze verabschiedet werden, ist das Papier Namens „Grundgesetz“ nichts wert.
Ich sehe die Entwicklung mit den neuen Polizeigesetzen in den Ländern als bedrohlich an. Unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung wird Willkür das Tor geöffnet. Faktisch richten sich die neuen Polizeigesetze größten teils gegen die Zivilgesellschaft, gegen Protestbewegungen.
In Niedersachsen wurde gerade eben ein neues Polizeigesetz verabschiedet, doch das aktuelle Gesetzt , wird bereits gegen politisch engagierte Menschen angewendet, um Terrorismus geht es nicht primär, es gibt bereits andere staatliche Instrumente dagegen.
Ein Merkmal vom Rechtsstaat ist in der Theorie die Rechtssicherheit. Die Polizeigesetze setzen sie in großen Teilen außer Kraft. Die Handlung des Staates ist nicht vorhersehbar. Denn es braucht für staatliches Handel gegen Bürger*innen keine Beweise. Die Möglichkeitsform reicht aus, ein Gefahrenverdacht, eine nicht näher definierte „drohende Gefahr“.
Aus eigener Erfahrung weiß ich aber wie eine Gefahrenprognose zustande kommt. Ich wurde vor einem Castortransport 4 Tage einsperrt. Das war ein präventiver Gewahrsam. Damit sollte verhindert werden, dass ich in einen Baum klettere wenn der Castor kommt. Unter Umständen ist dies eine Ordnungswidrigkeit. Dafür gibt es keine Gefängnisstrafe.
Die Polizeigesetze ermöglichen eine präventive Ersatzbestrafung. Die „Gefahrenprognose bestand damals aus Einträgen in einer Polizeidatei wie Redebeiträgen auf Demonstrationen und der Einschätzung, dass nur der Gewahrsam mich am Protest hindern kann, weil eine Überwachung durch MEK 2 Jahre zuvor mich nicht eingeschüchtert hätte. Wohlgemerkt, zu diesem Zeitpunkt stand bereits fest, dass besagte Überwachung rechtswidrig war.
Die ersten Anwendungen des PAG in Bayern richteten sich ebenfalls gegen politischen Aktivist*innen. In NRW ist gar die Rede von Lex Hambi, weil Paragrafen sich explizit gegen die im Hambacher Forst im Kampf gegen den Klimakiller RWE praktizierten Widerstandsformen richten.
Es ist wichtig gegen die Polizeigesetze vor Gericht, wie die GFF es tut, vorzugehen. Es ist auch wichtig Grundrechte praktisch zu
verteidigen, indem politischer Protest weiterhin in seinen unterschiedlichen Formen unerschrocken in die Öffentlichkeit getragen wird.
Grundrechte muss man selbst verteidigen!
(1)Kommen Sie da runter! – Kurzgeschichten und Texte aus dem politischen Alltag einer Kletterkünstlerin, 2014, Verlag Graswurzelrevolution ISBN 978-3-939045-23-6