Luther? Kein Grund zum Feiern!

Um der allgemeinen Party-Stimmung rund um 500 Jahre lutherschen Antisemitismus, Sexismus und Obrigkeitsgehorsam etwas entgegenzusetzen, protestierten am Jahrestag des angeblichen Thesenanschlags Luthers, dem 31. Oktober 2017, einige Aktivist*innen vor der St. Johanniskirche in Lüneburg.

Um der allgemeinen Party-Stimmung rund um 500 Jahre lutherschen Antisemitismus, Sexismus und Obrigkeitsgehorsam etwas entgegenzusetzen, protestierten am Jahrestag des angeblichen Thesenanschlags Luthers, dem 31. Oktober 2017, einige Aktivist*innen vor der St. Johanniskirche in Lüneburg.


Den Besucher*innen des dortigen Festgottesdienstes sollten dadurch auch die Seiten Luthers vor Augen geführt werden, die von der Kirche gerne zwischen Playmobilfiguren und Luther-Partywissen versteckt werden. Mit einem Banner reihten sich die Aktivist*innen in die große Menge popkultureller Angebote zum Thema Luther ein. Doch diesmal bestand das Quiz nicht aus Fun Facts, sondern aus einer kritischen Frage zu Luthers Ideologie:

“Martin Luther war…

a) Antisemit + Sexist

b) eine Playmobilfigur.

c) überzeugt von Tyrannei.

d) Alle Antworten sind zutreffend”

Auf Flyern wurde die Antwort auf diese Frage gegeben (es ist Antwort d) ), und in einem Text (s.u.) ausführlich erläutert.

Viele Christ*innen und ihre mitgeschleppten Kinder zeigten Interesse an einer kritischen Auseinandersetzung, nahmen Flyer mit, und stimmten zu, dass problematische Seiten Luthers genauer betrachtet werden sollten. Eine Besucherin hätte sich sogar eine Kletteraktion gewünscht – wir verstehen dies als Einladung für kommende Auseinandersetzungen mit der Kirche und ihren Held*innen. Neben konstruktiven Gesprächen wurden die Aktivist*innen aber auch agressiv verbal angegangen. Einige Gottesdienstbesucher*innen nutzten die Gelegenheit außerdem, um ihre islamfeindlichen Ressentiments zu äußern – da es keinen Zusammenhang zwischen dem Protest und dem Islam gab, entstand der Eindruck, dass diese Menschen den Islam als Feindbild für jede Lebenslage betrachten. Nach Beginn des Gottesdienstes beendeten die Aktivist*innen die Aktion und hinterließen noch verschiedene Kreidemalereien, die sich kritisch auf Luther bezogen.

 Flyertext:

500 Jahre Reformation und Luther sind zu viel!

Heute endet die 2008 begonnene Lutherdekade der evangelischen Kirche mit dem 500-jährigen Jubiläum des angeblichen Thesenanschlags Martin Luthers. Dabei ging es jedoch zumeist nicht um eine kritische Auseinandersetzung mit einem prägenden historischen Ereignis. Vielmehr fand eine oberflächliche Luther-Verklärung statt: es gibt Luther-Quizze, Luther-« Partywissen » und natürlich eine Luther-Playmobilfigur. Wenn die Beschäftigung einmal tiefer geht, wird nur betont, dass Luther „der mutige Kämpfer gegen die katholische Übermacht“ gewesen sei, „die arme Gläubige mit Ablassbriefen ausbeutete“. Dies versteckt die menschenverachtenden Ansichten Luthers:

Ihr feiert einen dogmatischen Sexisten

Luther schuf eine wesentliche Prämisse für die Marginalisierung der Frauen in der protestantischen Welt, indem er ihnen die Aufgaben „Hausarbeit und Männer gebären“ als gottgegebene Bestimmung aufs Auge drückte. Neben der Montage des Bildes einer bürgerlichen Frau, unterstützte Luther einen grausamen Disziplinierungsprozess, durch den Frauen als „Sündige“, „Verderbende“ und vor allem „Wissende“ stigmatisiert und umgebracht wurden („Die Zauberinnen sollst du nicht leben lassen… Es ist ein gerechtes Gesetz, dass sie getötet werden, sie richten viel Schaden an.“, 1526).

Ihr feiert einen fanatischen Antisemiten

Es muss zwingend bedacht werden, dass Martin Luther ein relevanter Teil einer langen Geschichte des christlichen Antijudaismus und christlicher Gewalt gegen Jüd*innen war. Seine Werke (bspw.: „Von den Juden und ihren Lügen“, 1543) und deren Rezeption, waren ein Beweggrund für die Entstehung und Verwirklichung der nationalsozialistische Ideologie. Luther stellte die Frage: „Was sollen wir Christen nun tun mit diesem verdammten, verworfenen Volk der Juden?“ Seine Antwort waren sieben Schritte, die er zynisch als „scharfe Barmherzigkeit“ betitelte: Mensch solle „Synagogen verbrennen, Häuser zerstören, deren Bewohner in Ställen unterbringen, Gebet- und Talmudbücher wegnehmen, Rabbinern das Lehren unter Androhung der Todesstrafe verbieten, Händlern ihr Wegerecht entziehen, weiterhin ihnen das Geldgeschäft verbieten und all ihr Bargeld und ihren Schmuck enteignen“. Abschließend sollten, Luthers Ansicht nach, alle „jungen Juden ihr Brot im Schweiße ihres Angesichts mit harter Arbeit verdienen“. Luther sprach Jüd*innen die Menschenwürde ab und formulierte damit wesentlich das Muster der Shoa im Nationalsozialismus.

Ihr feiert einen Wegbereiter der protestantischen Erwerbsethik

500 Jahre Reformation beflügelten Kapitalismus und Lohnarbeit in enormem Maße und kreierten das unangefochtene Mantra der Gegenwart: Ich arbeite, also bin ich. Der Arbeitsfanatiker Luther („Der Mensch ist zur Arbeit geboren wie der Vogel zum Fliegen“) meinte, dass diverse Auserwählte bereits mit ihrer Geburt für das Paradies prädestiniert wären und deswegen allein irdische Erfolge, Fleiß und harte Arbeit Indikatoren für die bevorstehende Erlösung seien. Seine Gedanken hatten schwerwiegende Folgen. Arbeit wurde vom notwendigen Übel zur fiktiven heilbringenden Berufung. Infolgedessen etablierte sich der bis heute unerschütterliche Irrglaube, dass nur (lohn-)arbeitende Menschen nützlich seien und alle Erwerbslosen eine Belastung für die Gesellschaft darstellten.

Danke für Nichts!

Martin Luther wird als Freiheitskämpfer, Humanist und Retter des Christentums betrachtet. Seine Unterstützer*innen und die protestantische Kirche verteidigen ihn als „Kind seiner Zeit“ und deuten seine barbarischen Offenbarungen mit allerlei Interpretationsgeschick um, damit sie dem Mythos eines „deutschen Helden“ gerecht werden. Aber durch einen kritischen Blick wird deutlich: der Reformator, der die christliche Religion aus einer Krise befördert haben soll, ist derjenige, der eine neue Krise an das Ende der alten Misere gesetzt hat, der wir bis heute nicht gänzlich entfliehen konnten. Es wird Zeit für eine deutliche Kritik, die den öffentlichen Mythos eines „barmherzigen Reformators“ zerstört und eine zeitgemäße Debatte, jenseits des artifiziellen Heldentums, fördert.

500 Jahre Reformation – Kein Grund zum Feiern, Zeit für einen endgültigen Schlussstrich !

Quelle: https://de.indymedia.org/node/14879