Kolumne: anders sein
Ich leide seit 2004 an chronische rheumatoide Arthritis (Autoimmunkrankheit, schmerzhafte chronische Gelenkentzündung). Der Verlauf meiner Erkrankung gilt als schwer beeinflussbar. Auf dem Papier habe ich einen Grad der Behinderung von 80 mit Merkzeichen G und B. Aber was heißt „Behinderung“ im Alltag? Das ist nicht auf eine Plastikkarte mit der Aufschrift „Schwerbehindertenausweis“ zu reduzieren! „
Ich berichte in dieser Kolumne „anders sein“ über den Kampf um eine adäquate Schmerzbehandlung, über meine Erfahrungen als Schwerbehinderte und den Umgang der Gesellschaft damit. Manche Texte richten sich an „gesunde“ Menschen, es geht um Vermittlung, weil „gesunde“ Menschen sich in den Alltag chronisch kranker Menschen nicht hineinversetzen können. Andere Texte, können anderen Betroffenen Ideen für ihren eigenen Kampf gegen die Krankheit und die Mühlen des bürokratischen Gesundheitssystems nützlich sein.
Heute: sichtbare und nicht sichtbare Behinderung
Rheuma ist ein Oberbegriff für viele Krankheiten. Diese haben viele Gesichter. Und die Beeinträchtigung, die „Rheuma“ mit sich bringt, kann sehr unterschiedlich sein. Selbst bei meiner Krankheit, gibt es kein einheitliches Bild. Die einen sprechen auf die Therapie gut an und haben kaum Beschwerden. Andere – wie ich – haben einen therapeutisch schwer beeinflussbaren Krankheitsverlauf mit fortschreitenden körperlichen Einschränkungen. Die einen erkranken als Kind, andere im hohen Alter. Jede Erkrankung verläuft anders.
Ich hatte lange das Glück, dass trotz aktiver Krankheit meine Gelenke wenige Zerstörungen aufwiesen. Dies hat 10 Jahre gehalten. Meine Gehbehinderung war mir auf den ersten Blick nicht anzusehen. Sie war an leicht an meine Gangart auszumachen, mehr nicht. Diese unsichtbare Behinderung machte es mir im Alltag nicht einfach. Denn auch wenn es mir nicht anzusehen war, ich konnte bereits keine zwei Kilometer laufen und nur kurz stehen.
Ich konnte die Blicke und leisen Bemerkungen umstehender Menschen kaum ertragen, als ich beispielsweise im Bus um einen Sitzplatz bat oder gar als eine ältere Bekannte den Platz für mich frei machte und selbst stehen blieb. Bemerkungen, à la junge Leute hätten heutzutage keinen Respekt, waren nicht selten. Die Menschen haben ein Brett vor dem Kopf und kommen nicht auf die Idee, dass Behinderung nicht immer zu sehen ist. Ich fühlte mich oft wie gezwungen, mich zu rechtfertigen. Doch ein „ ich hab Rheuma“ legte den Streit nicht bei. Im Gegenteil! Es kam prompt ein „ Sie sind doch zu jung für Rheuma“. Hier auch stehen Vorurteile einer Vermittlung in dem Weg. Betroffene haben es entsprechend schwer. Rheumatoide Arthritis ist eine Krankheit, die Menschen in jedem Alter treffen kann – auch Kinder!
Die Krankheit schreitet fort und ich kann mich auf Grund von zerstörten und entzündeten Kniegelenken seit vergangenem Herbst kaum noch ohne Arthritis Gehstützen fortbewegen. Anfangs schämte ich mich, ich hatte das Gefühl – und es stimmte auch ein bisschen -, alle Blicke würden sich auf mich richten. Dieses Gefühl war für mich neu. Ich achte inzwischen nicht mehr darauf und die Gehstützen ersparen mir die Rechtfertigung um einen Sitzplatz. Auch habe ich gelernt, mir die Unterstützung, die ich im Alltag benötige zu suchen oder einzufordern. Das Hilfsmittel ist ein sichtbarer Faktor, der andere erkennen lässt, dass ich behindert bin. Die Sichtbarkeit der Behinderung empfinde ich oft als einen Schutzfaktor. Vor nervigen Fragen ist man aber hier auch nicht geschützt. Es liegt möglicherweise am natürlichen Neugier des Menschen. Aber frage ich ständig „gesunde“ Menschen einfach aus dem Nichts heraus über dies und jenes, frage ich sie über ihre Gesundheit aus? Zugegeben, meine Gehstützen sehen exotisch aus. Da wegen der Krankheit meine Handgelenke auch schmerzhaft sind, haben meine Gehstützen eine im Winkel verstellbare Ablage für die Unterarme. Aber: muss ich dies jeder wildfremden Person erläutern? Ich kann die „Sind Sie gestürzt? » Und „Solche Krücken habe ich noch nie gesehen.“ nicht mehr hören. Es sei dem die kommen von anderen behinderten Menschen, denen die Information wo man die Gehilfen findet (die sind nicht einfach zu bekommen!), weiter helfen kann.
Meine Strategie ist nun einfach zu lügen: „ja, ich hatte einen Unfall.“ Denn wenn ich sage ich habe Rheuma, kommt gleich ein „Sie sind aber noch jung“ den ich auch nicht mehr hören kann. Und seitdem ich auf meine Krücken diverse Polit-Aufkleber geklebt habe, geht das Gespräch auf das Politische über. Damit kann ich gut leben!
Menschen, mit denen ich häufiger zu tun habe, sage ich dagegen die Wahrheit. Denn es nützt nix von einem Unfall zu sprechen, bei der nächsten Begegnung werde ich möglicherweise immer noch mit meinen Krücken unterwegs sein (schön wäre es, wenn es anders käme!). Hier kommt bei Menschen denen ich nur gelegentlich begegne und die mich als Kletteraktivistin kennen, zwangsläufig die Frage nach dem Klettern. Die Menschen können sich nicht vorstellen, dass man mit „Rheuma“ klettern kann – vor allem wenn man sich auf dem Boden mit Krücken fortbewegt! Ich kann nicht mehr so viel und so gut wie früher klettern aber die Belastung der einzelnen Gelenke ist allemal geringer, wenn ich im Seil hänge! Das tut mir oft gut! Mein Kopf ist frei, ich denke ans Klettern und nicht an die fiesen Schmerzen. Also ja, Klettern und Rheuma, das geht irgendwie (noch) – zumindest wenn es um Leidenschaft geht und Adrenalin als Schmerzmittel mit im Spiel ist.
Man könnte sagen, es geht hier nur um ein paar harmlose Fragen. Ja, das stimmt. Das ist für mich trotzdem eine Belastung. Ich habe nicht immer Lust über meine Krankheit zu sprechen, insbesondere nicht mit wildfremden Menschen. Und die starken Schmerzen die mich täglich begleiten erinnern mich genug an die Krankheit.
Ich habe so widersprüchlich es klingen mag, trotzdem oft das Bedürfnis darüber zu sprechen. Aber in einer Art, die ich selbst bestimme. Wenn ich wie hier in dieser Kolumne das Bedürfnis habe, zu vermitteln. Oder mit guten Freund*innen. Dass ich Menschen habe, die mir zuhören, hilft mir sehr (und ja ich gehe denen mit dem Thema auch mal auf die Nerven, das ist mir bewusst). Denn es ist nicht einfach, diese fiese Krankheit zu akzeptieren. Mein Zustand schwankt von Tag zu Tag sehr. Das Fortschreiten der Krankheit macht mir Angst. Es ist bitter festzustellen, dass ich vor einem Jahr noch Dinge selbstständig tun konnte, die ich heute nicht mehr kann. Freund*innen sind ein wichtiger Halt im Kampf gegen die Krankheit, sowohl physisch als auch seelisch betrachtet.