Update: Prozesstermin. 8.10.2019 um 13 Uhr vor dem Amtsgericht Lingen Saal Z 17
Ein absurdes Rollstuhl-Verfahren steht vor dem Amtsgericht Lingen an. Sitzen bleiben in einem Rollstuhl mit fest angezogener Bremse auf einer Demonstration gegen die Brennelementefabrik soll Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sein. Also Telekinese-Widerstand, denn das ist Widerstand ohne einen einzigen Polizisten / eine Polizistin zu berühren! Ich wette mal, dass wenn die Bremse nicht angezogen gewesen wäre, « Sachbeschädigung » statt « Widerstand » im Strafbefehl stünde, weil der Rolli auf dem unebenen Grund gegen das Auto gedonnert wäre und einen Kratzer hinterlassen hätte.
Es gibt kein richtiges Leben im falschen!
Das Amtsgericht hat einen Strafbefehl erlassen, das ist bei einfachen Verfahren mit einfacher Sach- und Rechtslage zulässig. Aber nach eingelegtem Einspruch gibts nun wegen der « Schwierigen Sach- oder Rechtslage » einen Pflichtverteidiger! Vielleicht weil telekinetischer Widerstand doch ganz schön albernd ist? Und wenn das ganze keine Diskriminierung ist…. Oder warum ist eine Sitzblockade nicht strafbar, das Sitzenbleiben auf einem Rollstuhl es aber sein soll? Ihren Rollstuhl sehen viele Betroffenen als ihre Ersatzbeine an! Oder gilt es ab ein bestimmtes Gewicht als Widerstand »? Machen sich Personen bei einer Sitzblockade strafbar, wenn sie viel / schwer wiegen? Ab wie viel Kilos? Rolli samt Person wogen knapp 100 Kilo, es gibt Menschen die ohne Rolli so schwer sind… Das AG Lingen will Rechtsgeschichte schreiben!?
Ich übernehme heute die Prozessankündigung von der Soligruppe
Immer wieder: Widerstand
Wer sich für eine Welt ohne Atomanlagen einsetzt, bekommt immer wieder zu spüren, dass der Betrieb von Atomanlagen nur möglich ist, weil der Staat Menschen in Uniform dafür bezahlt, die Anlagen vor Protest zu schützen. Für Außenstehende mag das wie eine ausgeleierte und vorgeschobene Floskel wirken, da sie sich vermutlich garnicht vorstellen können, wie sehr sich die Polizei zum Erfüllungsgehilfen der Atomkraft macht. Und wahrscheinlich ist es wirklich schwierig es begreiflich zu machen, ohne dass Menschen es hautnah selbst miterleben.
im April erließ das Amtsgericht Lingen einen Strafbefehl wegen „Widerstand gegen Amtsträger, die zur Vollstreckung von Gesetzen berufen sind“. Aber was war passiert? Im Rahmen einer Demonstration erkletterten zwei Personen das Vordach des Lingener Rathauses, um dort ein Transparent aufzuhängen. Als sie nach kurzer Zeit und ein paar Fotos wieder runter kamen, ging die Polizei aggressiv auf die beiden zu. Als Umstehende mitbekamen, dass eine der Personen nun sogar auf die Polizeiwache mitgenommen werden sollte, stellten sie sich solidarisch vor das Polizeiauto und verdeutlichten so ihre Solidarität mit den beiden Aktivist_innen. Eine von diesen solidarischen Personen saß also in ihrem Rollstuhl vor dem Polizeiauto.
Nun ist es zwar rechtlich unstrittig, dass eine reine Sitzblockade keinen Widerstand darstellt, aber in den Augen der Lingener Polizei scheint dies für Rollstuhlfahrende nicht zu gelten. Immerhin habe sie die Rollstuhlbremse angezogen, heißt es im Strafbefehl. Ganz so, als würde das Anwinkeln der Beine, um sich hinzusetzen nun plötzlich strafbar, denn selbstverständlich zieht ein Mensch im Rollstuhl die Bremse, um nicht davonzurollen. Oder meint die Polizei hier Sondergesetze für Menschen, die kaum oder nicht laufen können, erfinden zu dürfen? Darüberhinaus wird beschrieben, die Person habe auf der Motorhaube getrommelt und so auf die Situation aufmerksam gemacht und deswegen seien mehr Menschen dazu gekommen und das habe sie auch so gewollt. Selbst wenn der geschilderte Ablauf so stimmen sollte, drängt sich erneut die Frage auf, worin hier nun das strafbare Verhalten liegen soll. Es mag ja sein, dass es der Polizei absolut nicht passt, wenn Menschen ihr Verhalten kritisieren, aber davon wird es, so sehr sich die Polizei das auch wünschen mag, nicht strafbar. Doch wenig überraschend decken Staatsanwaltschaft und Gericht diesen diskriminierenden und willkürlichen Blödsinn. Die Aktivistin hat Einspruch eingelegt und so wird es vermutlich vor dem Amtsgericht Lingen deswegen zu einem Prozess kommen. (Update: der wird voraussichtlich am 8.10.19 um 13 Uhr Saal Z 17 AG Lingen statt finden)
Wie verbittert muss man durchs Leben gehen, um so zu sein und zu handeln