Artikel zum Stand der Verfahren gegen Atomkraftgegner*innen, die sich in Hamburg und Umgebung an Aktionen gegen Urantransporte beteiligt haben. Der Artikel ist in der Zeitschrift Graswurzelrevolution Nr. 417 von März 2017 erschienen.
Im Hamburger Hafen wird radioaktive Fracht alle paar Tage umgeschlagen. Die Transporte dienen der weltweiten Versorgung von Atomanlagen mit Brennstoff und sind nicht Teil des sogenannten Atomausstiegs. Darauf weisen Aktivist*innen mit Demonstrationen und Blockade-Aktionen unermüdlich hin. Am 11. März 2017, dem Fukushima Jahrestag, findet in Hamburg eine Demo gegen diese Transporte statt: „Atommüll verhindern, bevor er entsteht“ (1). Die Demonstration führt zum Sitz der Hamburger Reederei MACS, die alle paar Wochen Uranerzkonzentrat von Namibia nach Hamburg – zur Weiterfahrt nach Süd-Frankreich – transportiert. Uranerzkonzentrat ist der benötigte Rohstoff zur Fertigung von Brennelementen. Im Juni 2017 veranstalten ROBIN WOOD und ContrAtom eine Floßtour gegen Urantransporte an der Atomtransporte-Strecke zwischen Trier und Köln.
Die Kampagne gegen Urantransporte (2) geht weiter, die Aktivist*innen machen Druck. Die Blockade-Aktionen der vergangenen Jahre haben zu mehreren Verfahren vor dem Amtsgericht Hamburg Harburg geführt. Die Betroffenen sehen diese Prozesse als Fortsetzung ihrer Aktionen und der Kampagne an. Sie sind eine gute Gelegenheit für Öffentlichkeitsarbeit und die bisherigen Prozesse zeigen, dass es sich lohnt, sich zu wehren.
Urteil aufgehoben
„Sie hätten einen besseren Richter verdient“, das sagte nicht ein empörter Zuschauer, sondern ein Polizeizeuge nach der Urteilsverkündung im Prozess gegen einen Kletteraktivisten vor dem Amtsgericht Hamburg Harburg im Dezember 2015. Zuvor war eine Zuschauerin des Saales verwiesen worden, weil sie die Urteilsverkündung von Richter Hofschroer kritisch kommentierte und zum Ausdruck brachte, das sei hart an der Grenze zur Rechtsbeugung, das Verfahren das da geführt worden sei. Hintergrund war eine 8-stündige Kletteraktion oberhalb der Bahnanlage im Hamburger Hafen bei der Abfahrt eines mit Uranerzkonzentrat beladenen Zuges im November 2014 (die GWR berichtete). Der Angeklagte wurde wegen Nötigung zu 50 Tagessätzen verurteilt.(3)
Der verurteilte Aktivist ging in Revision und das Oberlandesgericht sah die Sache ähnlich wie der Polizist und die Zuschauerin. Es hob das Urteil wegen schwerwiegenden Denkfehlern auf und verwies das Verfahren an das Amtsgericht zurück.
Amtsrichter Hofschroer hatte den Schuldspruch damit begründet, dass die Anwesenheit des Angeklagten in den Seilen ein unüberwindbares Hindernis dargestellt habe – zugleich aber festgestellt, dass der Zug unter den Seilen hätte durch fahren können und der Angeklagte zur Seite ausgewichen war, als die Polizei eine Lok herfahren ließ und vom Dach aus versuchte, ihn aus den Seilen zu entfernen. Sie kam an den Aktivisten nicht heran – obwohl er laut Urteilsspruch ein „Hindernis“ darstellte. Verstehe wer will.
Das letzte Wort ist in dieser Sache sicher nicht gesprochen: das Verfahren gegen den Angeklagten muss wiederholt werden. Vor einer anderen Kammer ist zudem das Verfahren einer Mitstreiterin, die sich ebenfalls in den Seilen befand, anhängig. Hier hat das Gericht noch nicht einmal über die Zulassung der Anklage der Staatsanwaltschaft entschieden. Der Luftraum über Bahnanlagen beschert Gerichten schon seit Jahren Kopfzerbrechen. Man würde gerne die Aktivist*innen verurteilen, weil sie politisch Sand im Getriebe sind. An die dritte Dimension hat der Gesetzesgeber jedoch nicht gedacht, so dass eine Kriminalisierung nicht so einfach ist. Zahlreiche Versuche scheiterten in der Vergangenheit, die Verfahren änderten mit Einstellungen oder Freisprüchen.
Ersatzbestrafung mit einer Reise nach Potsdam
Weil Strafe sein muss und Richter und Staatsanwaltschaft häufig schnell merken, dass sie mit dem Strafrecht nicht so einfach weiter kommen, versuchen sie es gern mit dem Vorwurf einer Ordnungswidrigkeit nach der Eisenbahn Bau- und Betriebsordnung (EBO). Die Urteile, die in der Vergangenheit gesprochen wurden, wurden durch das Oberlandesgericht aufgehoben. Aber der nächste Versuch der Kriminalisierung ist schon im Gange: Gegen zwei Kletteraktivist*innen, die sich in Buchholz in der Nordheide im April 2016 von einer Brücke abseilten, wurden Bußgelder in Höhe von 500 Euro durch die Bundespolizei verhängt. Die Aktion richtete sich ebenfalls gegen einen Urantransport aus Hamburg nach Frankreich (die GWR berichtete). Die Betroffenen haben Einspruch eingelegt. Sie wollen nicht per Beschluss ohne Prozess abgeurteilt werden. Der Staat macht ihnen die Verteidigung ihrer Grundrechte jedoch schwer. Weil die Bundespolizei als Bußgeldbehörde ihren Sitz in Potsdam hat, wird dort verhandelt. Obwohl die Aktion in Niedersachsen stattfand und die Betroffenen weit weg von Potsdam wohnen. Die Reise nach Potsdam ist teuer und zeitaufwändig – eine Ersatzbestrafung also. Davon lassen sich die Aktivistinnen jedoch nicht einschüchtern. Sie wollen ihre Prozesse politisch führen und freuen sich über solidarische Unterstützung.
Füttern strafbar?
Der Staat will seine Kritiker*innen kriminalisieren, koste es was es wolle. Er zeigt sich dabei kreativ, wie der Fall einer Aktivistin, die am 4. April 2017 vor dem Amtsgericht Hamburg Harburg steht, zeigt.
Kann die Versorgung einer Person mit Lebensmitteln strafbar sein? In bestimmten Kontexten ja, meint die Staatsanwaltschaft Hamburg. Im Hafen war im Sommer 2014 ein Urantransport verladen worden, der dann einen Tag lang im Güterbahnhof Hamburg-Süd stand. Dort ketteten sich vor und hinter den Zug Umweltaktivist*innen an – eine davon wurde von einer anderen mit Lebensmitteln versorgt. Die Aktion dauerte fünf Stunden an. So sollen die Straftatbestände Nötigung und der Störung öffentlicher Betriebe erfüllt sein – die Versorgung mit Lebensmitteln sei ein Tatbeitrag, so die Staatsanwaltschaft. Wie das Gericht die Angelegenheit sieht, wird man am 4. April sehen. Die Angeklagte wünscht sich eine kreative Prozessbegleitung: „Bringt etwas zum gegenseitig Füttern mit!“
Soliaktion
Sowohl der Kampf gegen die Atomindustrie als auch die Antirepressionsarbeit leben von gegenseitiger Unterstützung. Darum freuen sich die von Repression Betroffenen über solidarische kritische Prozessbesuche. Wer nicht dabei sein kann, ist herzlich eingeladen, bei Soliaktionen mitzumachen. Im Zusammenhang mit den Urantransporten durch den Hamburger Hafen wurden damit schon einige Erfolge erzielt. Die Fax-Aktion an die Adresse der Atomumschlag-Firma C. Steinweg im vergangenen Jahr verlief erfolgreich. C.Steinweg schlägt Uranerzkonzentrat im Hamburger Hafen am Süd-West-Terminal um. Der Firma gefiel nicht besonders, dass ihre Atomgeschäfte nicht nur durch die Aktionen, sondern auch durch die Prozesse öffentlich wurden. Sie nahm nach etlichen Protestfaxen und fünf Verhandlungstagen vor Gericht ihren Strafantrag gegen die Aktivist*innen, denen sie Hausfriedensbruch anlässlich einer Inspektion von Urancontainern im Hafen vorwarf, zurück. Die Verfahren gegen ein Dutzend Aktivist*innen und eine Journalistin wurden daraufhin auf Staatskosten eingestellt.
Die nächste Soliaktion läuft schon – zur Unterstützung von Aktivist*innen, die wegen Antiatom- und Antikohleaktionen (Ende Gelände) vor Gericht stehen. Es wird dazu aufgerufen, Faxe an die Gerichte zu schicken. Dafür gibt es eine Fax-Vorlage auf der Homepage der Antirepressionsgruppe (4).
Die Aktivist*innen laden zur nächsten Antiatomkonferenz. Dort wird es neben weiteren spannenden Inputs zu unterschiedlichen Antiatom-Themen, eine Arbeitsgruppe zum Thema Urantransporte geben. Die Konferenz findet vom 31. März bis zum 2. April in Göttingen statt (5).
Eichhörnchen
Fußnoten:
(1) www.atomtransporte-hamburg-stoppen.de/2017-fukushima-demo/