„ Sie hätten einen besseren Richter verdient“– Polizeizeuge nach der Urteilsverkündung
Das Amtsgericht Hamburg Harburg verhandelte am vergangenen Montag gegen einen Atomkraftgegner. Hintergrund war eine Protestaktion von rund einem Dutzend ROBIN WOOD-AktivistInnen bei der Ausfahrt eines Uranzuges am 10. November 2014. Der Zug hatte Uranerzkonzentrat geladen, das am Süd-West-Terminal der Umschlagfirma C. Steinweg im Hamburger Hafen gelöscht worden war. Die AtomkraftgegnerInnen protestierten mit Transparenten auf der Schiene sowie in Kletterseilen, die über der Bahnanlage gespannt waren. Der Uranzug setzte seine Fahrt erst nach über sieben Stunden fort, nachdem die letzten DemonstrantInnen durch die Polizei geräumt worden waren. Die radioaktive Fracht war per Schiff aus Russland gekommen und sollte dann mit dem Zug zur Uranfabrik von Narbonne-Malvési in Südfrankreich fahren. Die AktivistInnen wollten darauf aufmerksam machen, dass trotz verkündetem Atomausstiegs im Hamburger Hafen Woche für Woche Atomtransporte durchgeführt werden. Das Gericht verurteilte nun einen der beiden Aktivisten, die am jenem Abend in den Seilen demonstrieren zu 50 Tagessätze à 5 Euro wegen Nötigung.
„ Hamburg scheint eine Sonderechtszone zu sein,“ kommentierte eine Zuschauerin das fragwürdige Urteil von Richter Hofschroer im Hinblick auf den Verlauf der Beweisaufnahme und die Rechtsprechung zu gleich gelagerten Aktionen andernorts.
3 Robin Wood AktivistInnen, die in gleicher Art und Weise 2006 gegen einen Castortransport demonstrierten, wurden 2007 vom Amtsgericht Hannover frei gesprochen. Eine Kletteraktivistin wurde 2009 nach einem über 6-stündigem Uranzugstopp in Burgsteinfurt (NRW) durch das Amtsgericht Steinfurt freigesprochen, das Verfahren wurde dann in der Berufungsinstanz eingestellt. Andere Verfahren wurden nach § 170 II StPO eingestellt, weil sie Tat keine Straftat darstellten (1). In den Fällen wo sie als Ordnungswidrigkeit verfolgt wurden, hob das Oberlandesgericht die amtsgerichtliche Urteile auf und stellte die Verfahren ein.
Die Staatsanwaltschaft Hamburg hielt trotz dieser Rechtslage an ihren Vorwurf fest und der Amtsrichter sprach ein Urteil auf das er sich offensichtlich bereits vor der Hauptverhandlung festgelegt hatte.
Das Gericht hatte bereits vor der Hauptverhandlung kein großes Interesse an einer richtigen Sachaufklärung gezeigt. Richter Hofschroer war auf die Unvollständigkeit der Akte hingewiesen worden, forderte die fehlenden Aktenteile bei der Ermittlungsbehörde aber nicht an. Dies führte dazu, dass ein Polizeizeuge, der die fehlende Berichte gefertigt hatte, diese in der laufenden Hauptverhandlung auf Aufforderung des Gerichtes einreichte. Die Verteidigung verlangte Einsicht in die neuen Aktenbestandteile und beantragte eine Aussetzung zur Formulierung einer Stellungnahme. Die Aussetzung wurde jedoch abgelehnt.
Die Beweisaufnahme ergab, dass die Kletteraktion kein festes Hindernis für den Zug darstellte. Es wurde festgestellt, dass die Seile der KletterInnen in mindestens 5 Meter Höhe angebracht worden waren und dass die Lok, die keine 4,50 Meter hoch ist, unten durch gepasst hätte. Nach Bekunden eines Polizeizeugen war der Versuch, die die AktivistInnen von dem Dach der Lok aus zu Räumen, gescheitert. Die Polizei kam an die KletterInnen nicht heran. Als wahr unterstellt wurde weiter die Tatsache, dass die AktivistInnen mindestens 45 Minuten benötigten, um ihre Seile zu spannen. Die Lok passierte die Stelle ein erstes mal kurz vor Beginn der Aktion, zu einem Zeitpunkt, wo die Seile bereits gespannt worden waren.
Für eine Verurteilung wegen Nötigung brauchte Richter Hofschroer aber ein Hindernis. Ohne Hindernis kann man schwer von „Gewaltanwendung“ im rechtlichen Sinne sprechen. Die Devise „im Zweifel für den Angeklagten“ wurde zu diesem Zweck in einem „Im Zweifel gegen den Angeklagten“ umgeḱehrt. Der Richter begründete sein Urteil mit der Aussage des Rangierbegleiters, der die Vermutung aufstellte, die Lok hätte nicht unten durch gepasst. Besagter Rangierbegleiter war nicht in der Lage Angaben über die Höhe der Lok zu machen. Diese Vermutung wog schließlich schwerer als die tatsächlichen Feststellungen. Mit der Verwerflichkeit der Handlung, die für eine Verurteilung wegen Nötigung eigentlich Voraussetzung ist, beschäftigte sich der Richter gar nicht.
Das letzte Wort wurde in dieser Sache nicht gesprochen. Die Verteidigung legt Rechtsmittel gegen das Urteil ein. Der Prozess gegen die zweite Kletteraktivistin steht auch noch – vor einer anderen Abteilung des Amtsgerichts – an.
Die Kletteraktion war nicht die letzte Aktion gegen Urantransporte im Hamburger Hafen. Die Kampagne gegen Atomtransporte läuft weiter. Die Aktion war auch nicht die erste. Am kommenden Freitag 11.12. wird vor dem Amtsgericht Hamburg Harburg gegen einen weiteren Aktivisten verhandelt. Hintergrund ist die Inspektion von über 50 Urancontainer am Südwestterminal im Sommer 2014. Die Umschlagfirma C. Steinweg hat gegen ein Dutzend AktivistInnen und eine Journalistin Strafantrag gestellt. Die Betroffenen freuen sich über solidarische Unterstützung in Form von einem Besuch der Gerichtsverhandlung, einer Beteiligung an der Telefon-Aktion gegen die Firma C. Steinweg oder weiterer Aktionen.
Bildergalerie zur damaligen Kletteraktion
(1) Einstellung nach § 170 II StPO oder Freispruch auch bei folgenden Aktionen:
2012 Münsterland Kinderhaus, 8 stündiger Uranzugstopp
2012 Münsterland Sommercamp, über 8 stündiger Uranzugstopp
2011, Kletteraktion beim Lubmin-Castor in Halle (Keine Einstellung sondern Freispruch)
2010 Tatort Fuldatalbrücke (Castor 2010)
2007, Dem Probecastor auf ‘s Dach geklettert
2008 und 2009, Urteile aufgehoben – Dreifacher Erfolg vorm OLG.