Am heutigen Tag wurde eine Verfassungsbeschwerde gegen das Polizeigesetz NRW eingereicht. Ich bin eine der Kläger*innen. Ich übernehme die Pressemitteilung von Digital Courage, der Verein hat für die Beschwerde gute Arbeit geleistet!
(Bild: Protest u.a. gegen das Polizeigesetz NRW auf der Klimademo in Köln, 1.12.2018, Quelle urantransport.de)
P r e s s e m i t t e i l u n g
Bielefeld, 28.10.2019
• Digitalcourage reicht am Mittwoch, 30. Oktober 2019 eine Verfassungsbeschwerde gegen das neue Polizeigesetz NRW ein.
• Angegriffen werden die Regelungen zur Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) und Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Q-TKÜ) mit Staatstrojanern, deren präventive Anwendung mithilfe der sogenannten „drohenden Gefahr“ und die unverhältnismäßig weite Definition von „Terrorismus“.
• Durch die Verfassungsbeschwerde kann ein bundesweit geltendes Grundsatzurteil über die Zulässigkeit von Telekommunikationsüberwachung gefällt werden.
Anwesend waren bei der Einreichung der Beschwerde und der Pressekonferenz Prof. Dr. Jan Dirk Roggenkamp sowie Kerstin Demuth und padeluun von Digitalcourage. Prof. Dr. Roggenkamp lehrt und forscht an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin. Er hat den Schriftsatz der Verfassungsbeschwerde verfasst und ist Verfahrensbevollmächtigter.
Weitreichende präventive Überwachung von Kommunikation
Die Verschärfung des NRW-Polizeigesetzes ermöglicht weitreichende Telekommunikationsüberwachung sowie Quellen- Telekommunikationsüberwachung mit Staatstrojanern. Gleichzeitig wird die Polizeiarbeit weit ins Vorfeld einer konkreten Gefahr gerückt. Nach Einschätzung von Digitalcourage ist die Regelung zu unbestimmt – für Bürgerinnen und Bürger ebenso wie für die Polizei, die das Recht in der Praxis anwenden soll. Laut Digitalcourage schränkt der präventive Einsatz invasiver Überwachungsmaßnahmen die Grundrechte der Menschen in NRW unverhältnismäßig ein:
„Der Marketingname ‚Sicherheitspaket I‘, den Innenminister Reul dem Gesetz gegeben hat, ist eine Lüge“ meint Kerstin Demuth von Digitalcourage. „Für keinen der Grundrechtseingriffe ist nachweisbar, dass er tatsächlich die Sicherheit erhöht.“
Hintergründe zu den angegriffenen Regelungen
Telekommunikationsüberwachung ist eine verstecke Online-Durchsuchung
Um laufende Telekommunikation zu überwachen, kann die Polizei anordnen, dass Diensteanbieter, beispielsweise der Telefon- und Internetanbieter, Daten an die Polizei weitergeben. Um Verschlüsselung zu umgehen, ist auch der Einsatz von Staatstrojanern gestattet.
„Die Eingriffsvoraussetzungen für die Überwachungsmaßnahmen sind so weitreichend und schwer nachvollziehbar, dass ich als Bürgerin und politisch unbequem Arbeitende nicht wissen kann, ob mein Verhalten oder das meiner Bekannten möglicherweise als „gefährdend“ eingestuft wird“,
kommentiert Michèle Winkler vom Komitee für Grundrechte und Demokratie. Winkler ist eine der Beschwerdeführerinnen, da sie von den neuen Maßnahmen in ihren Grundrechten eingeschränkt wird.
« Grundrechte werden unter dem Deckmantel des Kampfes gegen den Terrorismus stark eingeschränkt »
sagt Beschwerdeführerin und Kletteraktivistin Cécile Lecomte. «
Faktisch bewirkt das neue Polizeigesetz eine Kriminalisierung allgemein politisch engagierter Menschen wie mir. Oder bin ich als Umweltaktivistin gleich eine Terroristin? »
Sobald ein Antrag auf Telekommunikationsüberwachung durch eine.n Richter.in bewilligt wird (und das wird er fast immer), darf die Polizei NRW Telefon- und Internetanschlüsse einer Zielperson überwachen. Damit können alle besuchten Websites nachvollzogen werden. Auch die Umstände der Kommunikation werden überwacht: Wann jemand im Internet surft, wann mit wem telefoniert wird, gegebenenfalls der Aufenthaltsort. Besonders invasiv ist die TKÜ eines mobilen Anschlusses – Smartphones als tägliche Begleiter geben viele Informationen über uns preis. Nachweislich ist es möglich, allein aus diesen Aktivitätsdaten ein umfassendes Profil von Personen zu erstellen. Dadurch kommt eine Überwachung des mobilen Anschlusses in der Tiefe ihres Eingriffs einer Online-Durchsuchung gleich. Für Online-Durchsuchungen hat das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheiden sehr enge Grenzen gesetzt. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf die NRW-Regelung zur TKÜ wäre bundesweit gültig. Wenn die Richterinnen und Richter die Auffassung von Digitalcourage teilen, fallen alle gleich gefassten Regelungen in ganz Deutschland.
Quellen-TKÜ gefährdet weltweit die IT-Sicherheit
Bei Quellen-Telekommunikationsüberwachung installiert die Polizei Spähsoftware, sogenannte Staatstrojaner, auf den Geräten von Zielpersonen, um Kommunikation zu überwachen, bevor sie, beispielsweise in einem Messenger, verschlüsselt wird. Für die Installation aus der Ferne werden Sicherheitslücken benötigt. Diese können in allen Geräten mit gleicher Hard- und Software auch von Geheimdiensten und Kriminellen ausgenutzt werden. So war beispielsweise die Sicherheitslücke in Windows-Betriebssystemen, durch die der #WannaCry-Trojaner eingeschleust wurde, der NSA bekannt. Die NSA hatte die Lücke nicht gemeldet, um sie weiter für Überwachung ausnutzen zu können.
„Die Überwachung von Telekommunikation ist ein massiver Eingriff in das Grundrecht auf Privatsphäre; der Kreis potenziell Betroffener und Mitbetroffener ist riesig“
, meint Kerstin Demuth von Digitalcourage.
„Staatstrojaner, die durch Sicherheitslücken installiert werden, haben potenziell drastische Folgen für Menschen, die nicht einmal in NRW wohnen.“
„Drohende Gefahr“ und Straftatenkatalog als Definition von Terrorismus
Vor der Verabschiedung der Neuregelung wurde vor allem das Konzept der sogenannten „drohenden Gefahr“ und „drohenden terroristischen Gefahr“ von vielen Seiten kritisiert. Während diese Begriffe im Gesetzgebungsprozess wieder entfernt wurde, bleibt ihr Sinn enthalten: Mit Hilfe einer wiederkehrenden Formulierung, die nunmehr in den einzelnen neuen Maßnahmen steht, wird die Polizeiarbeit in ein unklares Gefahrenvorfeld verlagert. Als Definition einer terroristischen Straftat wurde ein großzügiger Straftatenkatalog in das NRW-Polizeigesetz aufgenommen, in dem unter anderem Delikte wie die „Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel“ und „Störung öffentlicher Betriebe“ aufgelistet sind. Digitalcourage sieht darin einen Bruch des Gebots der Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit von Gesetzen.
„Die Eingriffsschwelle ist unklar – für Bürgerinnen und Bürger ebenso wie für die Polizei“
, stellt padeluun von Digitalcourage klar
. „Wer Sicherheit verbessern will, muss konkrete Ermittlungen, verantwortungsvolle Sozial- und Umweltpolitik voranbringen, statt Grundrechte abzubauen und zivilgesellschaftlichen Protest als Terrorismus zu brandmarken“
„Das NRW-Polizeigesetz ist weder geeignet noch erforderlich noch angemessen“
, fasst Rena Tangens von Digitalcourage zusammen.
„Damit fällt es bei der Prüfung nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip schlicht durch. So ein Gesetz darf nicht bleiben.“
Weitere Informationen
• Hintergründe zu den angegriffenen Regelungen auf digitalcourage.de
<https://digitalcourage.de/blog/2019/verfassungsbeschwerde-polgnrw-tkue-qtkue-drohende-gefahr>
• Warum der Richtervorbehalt in der Praxis wirkungslos ist
<https://digitalcourage.de/blog/2016/fakten-gegen-die-vorratsdatenspeicherung#richtervorbehalt>
• Blogartikel: „Ein halbes Jahr Polizeigesetz NRW – Wie wird es angewendet?“
<https://digitalcourage.de/blog/2019/halbes-jahr-polg-nrw-anwendung>
• Fotos von der PK und Einreichung
<https://digitalcourage.de/blog/2019/verfassungsbeschwerde-eingereicht-polgnrw-tkue-qtkue-bilder>