GWR453 Schwerpunkt Ableismus – weiterer Eichhörnchen Artikel
Schwerwiegende Grundrechteverletzungen im JVA-Krankenhaus Hohenasperg (Baden Württemberg) durch das Landgericht Stuttgart bestätigt
Der Prozess gegen Atomkraftgegnerin Cécile Lecomte um eine Schwimmaktion gegen einen CASTOR-Transport auf dem Neckar vor dem Amtsgericht Heilbronn, sorgte im April 2019 für Aufsehen (die GWR berichtete). Richter am Amtsgericht Reißer duldete ihre scharfe Kritik an seiner Verhandlungsführung nicht. Der Streit eskalierte als die Aktivistin vom Richter verlangte, ihre nach § 238 II Strafprozessordnung (StPO) eingebrachten Beanstandungen und ihren Widerspruch nach § 273 StPO zu protokollieren, was dieser nicht tat. Er ließ die Aktivistin, die sich vor Gericht selbst verteidigte, weil der Richter auch die Genehmigung von Verteidigern nach § 138II StPO abgelehnt hatte, auch keinen Befangenheitsantrag formulieren. Sie äußerte, der Richter „verarsche“ sie damit, weil Sachen, die nicht protokolliert werden, auf ihre Rechtmäßigkeit in der Folgeinstanz nicht überprüft werden können, als „Wahrheit“ gilt nur das, was protokolliert wurde.
Für diese verbale „Ungebühr“ verhängte der Richter, ein aktives Mitglied der CDU, 3-Tage Ordnungshaft gegen die Atomkraftgegnerin. Sie wurde noch im Gerichtssaal verhaftet. Was folgte, war für GWR-Mitherausgeberin Cécile, die an einer chronischen Erkrankung leidet und schwerbehindert ist, ein Alptraum: drei Tage Schmerzen, drei Tage Schlafentzug. Das Landgericht Stuttgart hat nun geurteilt, dass die medizinische Versorgung im JVA-Krankenhaus Hohenasperg rechtswidrig war. Gefangene haben Anspruch auf ihre durch ihre vom Facharzt verschriebene Schmerztherapie – auch in Form von medizinischem Cannabis – sowie auf einen barrierefreien Haftraum.
Misshandlung und Diskriminierung
Cécile ist an schwerer rheumatoider Arthritis erkrankt und deshalb schwerbehindert, im Alltag benötigt sie einen Rollstuhl. Sie litt am Prozesstag nach der langen Anreise aus Lüneburg und zwei Stunden Verhandlung unter starken Schmerzen und Erschöpfung. Die Prüfung ihrer Haftfähigkeit wurde ihr verweigert, sie wurde schließlich mit einem Krankenwagen in das JVA-Krankenhaus Hohenasperg gebracht. Dort traf sie auf eine Ärztin, die nicht einmal die Basis-Therapien gegen Rheumatoide Arthritis kannte und ihre Schmerztherapie mit medizinischem Cannabis als „Droge“ bezeichnete. Die JVA vernichtete ihr medizinisches Cannabis, trotz mitgeführten ärztlichem Attest und einem Gerichtsurteil, das ihren Anspruch auf die Therapie bestätigt.
Cécile wurde in mehrfacher Hinsicht wegen ihrer Behinderung und chronischer Erkrankung diskriminiert. Ihre Menschenwürde und ihre körperliche Unversehrtheit wurden missachtet.
„Die unzureichende medizinische Behandlung, insbesondere die Wegnahme und Vorentnahme meiner Schmerztherapie in Form von medizinischem Cannabis wurde für rechtswidrig erklärt. Das Zufügen von Schmerzen durch den Entzug einer Schmerztherapie ist Misshandlung! Ich freue mich über die gewonnene Klage, aber ein Beschluss bleibt ein Blatt Papier, das macht die Schmerzen und die Traumatisierung nicht weg“, so Cécile.
Drüber hinaus war der Haftraum nicht einmal barrierefrei – und dies in einem Krankenhaus! Toilettengänge waren ohne fremde Hilfe und somit ohne Eingriff durch Fremde in ihre Intimsphäre, unmöglich.
Grundrechte verteidigen
Cécile erklärt, warum sie geklagt hat: „Inhaftierte Menschen haben keine Lobby. Das ist der Grund, warum ich geklagt habe, um meinem Fall und somit der Problematik von Willkür hinter Gittern ein wenig Öffentlichkeit zu verschaffen.“
Artikel 3 GG, der Diskriminierung aufgrund einer Behinderung verbietet, scheint im deutschen Vollzug nur auf dem Papier zu gelten. Misshandlungen sind kein Einzelfall. Während ihres dreitägigen Aufenthalts in Hohenasperg wurde Cécile gleich Augenzeugin mehrerer Vorfälle.
Kein Einzellfall
Cécile berichtet: „Ein Fall schockiert mich bis heute noch. Eine ältere Frau ist am Abend meiner Ankunft in der gemeinsamen Haftzelle gegen halbeins in der Nacht bewusstlos umgefallen. Sie wollte mir zur Toilette helfen. Als ich dort saß, hörte ich einen Aufprall und konnte die Tür zunächst nicht öffnen. Die Frau war vor der Tür umgefallen. Ich habe es geschafft raus zu gehen und ihren Puls gemessen, sie ist relativ schnell wieder zu sich gekommen, aber konnte nicht aufstehen. Ich habe den Notrufknopf getätigt. Dies habe ich im Laufe der Nacht dreimal tun müssen. Die Dame wurde von den Krankenpflegern in ihr Bett getragen, aber sie hat dann Blut gekotzt und fühlte sich sehr schlecht und hatte viele Schmerzen. Sie wurde jedoch zu keinem Zeitpunkt während meines Aufenthaltes dort, näher untersucht, obwohl sie dies bei den Bediensteten verlangte. In den Folgetagen hatte sie blaue Flecken über den ganzen Körper verteilt und klagte über heftige Kopfschmerzen, was auf eine Gehirnerschütterung hindeutete und lebensgefährliche Folgen haben kann. Aber die Bediensteten schickten sie immer wieder weg, mit der Aussage, am Wochenende gebe es kein Arzt.“
Dienstaufsichtsbeschwerde
Nachdem die Entscheidung des Landgerichtes Stuttgart rechtskräftig wurde, hat Cécile beim Justizministerium Baden-Württemberg eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Leitung der JVA, die zuständige Ärztin und die Bediensteten eingereicht. Sie beantragt, dass die Begründung aus dem Beschluss ihnen zugestellt wird, mit der Aufforderung schriftlich darzulegen, welche Schlüsse sie daraus ziehen und wie sie in Zukunft dafür sorgen mögen, dass solche rechtswidrigen, menschenunwürdigen Behandlungen nicht erneut vorkommen und Menschen mit Behinderung nicht diskriminiert werden.
Die bessere Lösung wäre allerdings die Abschaffung der Institution Gefängnis. Diese löst keine Probleme, es müssen andere Lösungen her.
Eichhörnchen
Hintergrund:
Gerichtsbeschluss vom Landgericht Stuttgart vom 30. Juni 2020 Az. 23 StVK 85/19 und 23 StVK 35/20
Hafttagebuch von Cécile: https://blog.eichhoernchen.fr/post/neckar-knastor-transport-ein-tagebuch/