Mein #Castor2020 Artikel, erschienen in der Zeitschrift GWR 454
Der Castor 2020 aus Sellafield ist am 4. November im Zwischen-Dauer-Lager-Keine-r-weiß-wohin-mit-dem-Atommüll in Biblis angekommen. Durchgesetzt durch ein riesiges Polizeiaufgebot, jenseits jeglicher Verhältnismäßigkeit. Laut Ministerium waren 11.000 (!) Polizist*innen im Einsatz.
Überschaubarer Protest
Im Vergleich zu den früheren Castor-Transporten nach Gorleben wurde der Atommüll-Transport von wenig Protesten begleitet. Anders als das Wendland ist Biblis noch kein Kristallisationspunkt mit stabilen Anti-Atom-Strukturen für den Widerstand. Das bedeutet nicht, dass die Menschen nicht aktiv sind. Sie haben aber andere Aktionsschwerpunkte, wie die starken Klimaproteste im Rheinland, im Danni und an vielen anderen Orten zeigen. Es zeigt aber auch, dass eine Verbindung der verschiedenen Kämpfe noch nicht gänzlich gelungen ist. XR und einige Akteur*innen in der Klimabewegung weigern sich explizit gegen die Atomkraft offiziell Stellung zu nehmen. Die Notwendigkeit von aktivem Antiatom-Widerstand ist heutzutage schwierig zu vermitteln. Der verkündete (jedoch nicht gänzlich umgesetzte) Atomausstieg trägt dazu bei. Wer sich nicht näher mit dem Thema beschäftigt, neigt bisweilen dazu, das von der Atomlobby verbreitete Märchen von der CO2-freien Atomenergienutzung zu glauben, Tschernobyl und Fukushima zu vergessen und Atomkraft als mögliche Lösung für die Klimakrise zu betrachten. Auch wenn beim genaueren Hinsehen alles dagegen spricht. Behindert wurde die Mobilisierung schließlich auch durch die Corona-Pandemie. Massenaktionen waren gar nicht geplant und wären, angesichts der sehr hohen Infektionszahlen Anfang November, nicht zu verantworten gewesen.
Der Protest gegen den Castor-Transport war klein aber gut organisiert. Der Transport sollte so geheim wie möglich gehalten werden, blieb aber, dank der Beobachtungen von Atomkraftgegner*innen und ihrer guten Öffentlichkeitsarbeit, nicht unbemerkt. Auf hoher See schaltete das Atommüll-Schiff Pacific Grebe sein AIS-System ab, was gegen intentionale Seevorschriften verstoßt. Das System dient unter anderem der Vermeidung von Kollisionen. Es wurde ausgerechnet bei einem Schiff mit hoch gefährlicher Fracht außer Betrieb genommen! Atomkraftgegner*innen haben Strafanzeige erstattet, um den Vorgang öffentlich zu machen.
Das Ablegen des Schiffes und seine Ankunft in Nordenham wurden durch Atomkraftgegner*innen beobachtet und die Verladung der radioaktiven Fracht auf einen Zug akribisch dokumentiert. Die Durchfahrt des Atomzuges wurde regelmäßig gemeldet, zahlreiche Mahnwachen fanden entlang der Strecke nach Biblis statt. Rund 40 Atomkraftgegner*innen empfingen den Transport in Biblis am Bahnhof. Dort blieb dieser aufgrund einer erfolgreichen Gleisblockade auf dem Stichgleis kurz vor dem Zwischenlager etwa eine Stunde stehen. Aktivist*innen von Robin Wood erklommen wenige Tage vor dem Transport den Bremer Hauptbahnhof, um auf das Thema aufmerksam zu machen. „Kein Plan – Nur Risiko – Castor Stoppen!“ stand auf dem Banner.
Polizeistaat?
Der überschaubaren Anzahl an Demonstrant*innen zum Trotz hat die Polizei versucht, diese am Protestieren zu hindern. So wurde zum Beispiel ein Bus bei Steinau an der Straße (Hessen) durch ein Großaufgebot an Polizei auf seinem Weg zur angemeldeten Mahnwache nach Biblis angehalten und die Insass*innen einer präventiven Personalienkontrolle unterzogen. Die Polizei kesselte die Menschen in einer engen Freiluftgefangenensammelstelle zwischen Polizeiautos. Dort konnten die Menschen keinen Corona-Abstand untereinander oder zur Polizei einhalten. Um Fotos anzufertigen, zog die Polizei einer Aktivistin die Maske mit Gewalt ab und zerstörte diese. Den Betroffenen wurde untersagt, einen Rechtsbeistand zu informieren. Die Polizei stieg in voller Kampfmontur in den Bus hinein. Die Menschen standen dann mitten in der Nacht weit weg von einer Castor-Strecke. Die Menschen, die Personalien angaben, wurden nach drei Stunden freigelassen. Andere, die sich die präventive Kontrolle ohne Begründung nicht gefallen lassen wollten und die Angabe ihrer Personalien verweigerten, wurden zur Polizeiwache mitgenommen und erst eine weitere Stunde später frei gelassen.
Der Staat sieht selbst eine überschaubare Anzahl an Demonstrant*innen als gefährlich an. Atomkraftgegner*innen bleiben Staatsfeinde. Sie legen die Finger in die Wunde und zeigen auf, dass die Castortransporte reine Problemverschiebung sind und Atommüll weiter produziert wird.
„Unser“ Müll?
Es war seitens der Politik, die den Transport zu verantworten hat, viel die Rede von „Verantwortung“ für „unseren“ Müll. So erklärte der frühere grüne Umweltminister Jürgen Trittin:
„Auch Atomkraftgegner haben die Verantwortung, jenen Atommüll zurück zu nehmen, der aus deutschen Atomkraftwerken ins Ausland geschafft wurde. Deshalb muss der Castor2020 nach Biblis zurück.“
Seine Kollegin Priska Hinz, Hessische Staatsministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, legte nach: „Genau so ist es. Deswegen nehmen wir unsere Verantwortung auch in Hessen wahr. Gerade weil wir den Atomausstieg erkämpft haben, begleiten wir ihn weiter konstruktiv.“
Ähnlich äußerte sich Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit: „Um es sehr deutlich zu sagen: Die Proteste gegen den Castortransport haben mit einer Anti-Atomkraft-Haltung nichts zu tun! Der Atomausstieg ist beschlossen – die gesellschaftliche Auseinandersetzung um Atomenergienutzung beendet. Jetzt geht es darum, unseren Müll zurückzunehmen.“
An dieser Stelle möchte ich die Fragen aufwerfen: Ist es wirklich „unser“ Müll? Haben wir wirklichen einen Atomausstieg? Ist die Atommüllverschiebung eine Lösung?
Schauen wir uns mal den Atommüll an. Die Energiekonzerne haben jahrelang die abgebrannten Brennelemente aus ihren AKWs zu den Wiederaufbereitungsanlagen (WAA) Sellafield und La Hague auf die Reise geschickt. Was nach „Recycling“ klingt, ist in Wirklichkeit Müllvervielfachung. Dort wird bei der Trennung der Isotope das Volumen erheblich vergrößert und die Handhabbarkeit erschwert. Bei der chemischen Verarbeitung wird Radioaktivität ins Meer und in die Luft freigesetzt. Die WAA La Hague ist eine Plutoniumfabrik und setzt im Normalbetrieb mehr Radioaktivität frei als alle französischen Atomreaktoren zusammen.
In Sellafield ereigneten sich zahlreiche Zwischen- und Unfälle, die die Umgebung verseuchten. Der WDR fasst die Ereignisse wie folgt zusammen (1):
„In der Wiederaufbereitungsanlage THORP – seit 1994 in Betrieb – waren auch deutsche Atomkraftwerksbetreiber Kunden.
In Sellafield, früher Windscale genannt, ereignete sich 1957 der weltweit erste schwere Atomunfall. Radioaktive Verseuchungen waren bis nach Irland nachzuweisen. Seitdem reißen die Schlagzeilen über Pannen in Sellafield nicht ab. Hunderte von mehr oder weniger gravierenden Zwischenfällen sind bekannt geworden.
Im November 1983 gerieten beispielsweise aufgrund eines ‚Irrtums‘ radioaktive Lösungsmittel und Chemikalien in die Irische See und weite Strandabschnitte mussten gesperrt werden.
Zehn Jahre später lief bei einer Unfallserie plutoniumverseuchte Flüssigkeit aus. Sellafield setzt auf die ‚Verdünnungsentsorgung‘, das heißt radioaktive Stoffe werden ins Meer und in die Luft abgelassen.
Eine Untersuchung stellte 1984 fest, dass die Zahl der Leukämieerkrankungen in der Umgebung des Atomkomplexes um etwa das Zehnfache über dem Landesdurchschnitt liegt. 1997 fanden britische Forscher Plutonium in den Zähnen von Kindern und Jugendlichen.“
Deutschland nimmt „seinen“ Müll außerdem nicht zurück, sondern Spaltprodukte aus dem Trennungsprozess bei der Wiederaufbereitung. Uran und Plutonium, die über 96% der Gesamtmenge ausmachen, werden nicht zurückgenommen.
Von Verantwortung kann nicht die Rede sein, wenn Atommüll planlos durch die Gegend gefahren wird, um in unsicheren Zwischenlagern aufbewahrt zu werden. Die Zwischenlager sind nicht sicherer als eine Kartoffelscheune, war immer aus dem Wendland zu hören. Das stimmt. In Zwischenlagern wird der Müll auf unbestimmte Zeit aufbewahrt – möglicherweise über die Betriebsgenehmigungsdauer des Zwischenlagers hinaus, weil es für den endgültigen Verbleib des bis zu eine Million Jahre strahlenden Atommülls auf absehbare Zeit keine Lösung gibt. Es ist damit zu rechnen, dass die Betriebsdauer einfach per Verordnung verlängert wird. Und dies bei der Lagerung von hoch gefährlichem Atommüll. Einem Bauherrn, der Wohnraum durch die Nutzung von Bauwagen auf seinen Grundstück erweitern will, wird dies dagegen unter fadenscheinigen baurechtlichen und Sicherheitsargumenten verweigert. Das ist zumindest die Erfahrung meines Wohnprojektes!
Politiker*innen sprechen von Verantwortung für „unseren Müll“, billigen aber den unbefristeten Weiterbetrieb der Urananreicherungsanlage (UAA) Gronau, die weitere Produktion von Atommüll und den Export von Uranmüll aus der UAA nach Russland. Obwohl es viele Möglichkeiten gibt, der Firma Urenco diesen Export zu untersagen. Der Müll darf nur deshalb exportiert werden, weil er als „Wertstoff“ deklariert wird, weil er wiederverwertbar sei. Ob er tatsächlich wiederverwertet wird, dafür interessiert sich die Politik nicht. Man freut sich eher über die Entsorgung der strahlenden Facht ins Ausland. Der Export ist selbst bei einer Einstufung als Wertstoff möglicherweise illegal, weil das Uran für Waffen verwendet werden kann, wie Anfang Oktober aus einem Gutachten zu entnehmen war (2).
Darum bleiben Protestaktionen nicht nur gegen Castortransporte, sondern auch gegen die Versorgungstransporte der Atomindustrie und den Export der Uranmülls wichtig. Der letzte Transport nach Russland wurde 5,5 Stunden bei Münster-Häger durch eine Abseilaktion zweier Aktivistinnen an einer Brücke gestoppt. Die Aktion verschaffte dem am gleichen Tag veröffentlichtem Gutachten zum Atommüll-Export öffentliche Aufmerksamkeit.
Heuchlerisch ist auch das Gerede um den Atomausstieg. Dass Atomkraftwerke abgeschaltet werden, ist eine gute Sache. Doch wie das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts nun zeigt: es wurde dabei gepfuscht. Man fragt sich, ob es nicht Absicht war, um den Konzernfreund*innen einen gefallen zu tun, damit sie Geld erhalten und die Regierung dabei behaupten kann, dass es „leider“ nicht anders ging.
Joachim Wille analysierte das für Klimareporter treffend: „Die Politik hat das Recht, eine Energieform zu beenden, wenn sie nach ihrer Meinung zu hohe Risiken birgt.
Sie sollte dabei nur nicht so dilettantisch vorgehen, wie Merkels schwarz-gelbe Regierung, die die AKW-Laufzeiten 2010 erst verlängerte, um sie 2011 nach Fukushima wieder zu verkürzen. Ohne dieses irrwitzige Manöver – also bei Beibehaltung des ersten, mit den Stromkonzernen ausgehandelten Atomausstiegs von anno 2000 –, hätte es gar keinen Anspruch auf Entschädigungen gegeben.
Auf einem anderen Blatt steht, ob das Vorgehen des Energiekonzerns auch legitim ist. Die Vattenfall-Atomkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel standen jahrelang still und wären wegen technischer Mängel wahrscheinlich sowieso nie wieder ans Netz gegangen. Sich das nun noch vergolden zu lassen, ist schon dreist.“ (3)
AKW-Neubauten durch RWE und E.on
Der Atomausstieg verkommt zu einer Farce, wenn die Versorgungsanlagen der Industrie unbefristet weiter laufen dürfen und die deutschen Energieriesen neue Atomkraftwerke bauen, wie vor Kurzem bekannt geworden ist.
„Noch vor wenigen Tagen sprach das Bundesumweltministerium während des Castor-Transports stolz vom Atomausstieg in Deutschland. Doch nun steigen die beiden Großkonzerne RWE und EON wieder mit Vollgas in die Atomenergie ein und beteiligen sich über ihr Tochter-Unternehmen Urenco an zwei AKW-Neubauprojekten in Großbritannien und in den Niederlanden – und das zum Teil unmittelbar an der Grenze zu Deutschland. Wir sind fassungslos, dass die Auseinandersetzung um die Atomenergie zehn Jahre nach Fukushima von vorne beginnt“, erläutert Matthias Eickhoff vom Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen.
Sicher ist nur das Risiko
Der Jüngste Zwischenfall am 10. November 2020 in Belarus erinnert uns daran: Sicher ist nur das Risiko.
Noch am Wochenende zuvor wurde das Atomkraftwerk Ostrovets feierlich durch den Diktator Lukaschenko persönlich eingeweiht. Dann ereigneten sich mehrere Explosionen und Brände. Betroffen waren die Spannungswandler. Der Zwischenfall ereignete sich, als das AKW zu seiner Höchstleistung hochgefahren wurde. Offiziellen Berichten zur Folge, wurde das AKW wieder heruntergefahren, um Teile auszutauschen. Doch, wenn es in einem AKW im Bereich des Trafos brennt, gibt es Grund zur Sorge. Eine Kettenreaktion kann die Folge davon sein, wenn es nicht gelingt, den Reaktor, der seine Wärme nicht mehr nach außen ableiten kann, zu kühlen. In Krümmel ereignete sich ein ähnlicher Zwischenfall 2007. Das AKW steht seitdem still.
Der nächste Castortransport soll nach Philippsburg kommen. So lange Atomanlagen laufen, wird es Protest und Widerstand geben.
Eichhörnchen
Anmerkungen:
1) https://www.planet-wissen.de/technik/atomkraft/atommuell/pwiewiederaufbereitungsanlagen100.html
2) https://www.tagesschau.de/investigativ/wdr/russland-deutschland-atommuell-103.html
3) https://www.klimareporter.de/strom/klatsche-fuer-merkel-und-co