Quelle: Freiheitsfoo
Am vergangenen Donnerstag lief der dritte und letzte Tag der mündlichen Anhörungen des Niedersächsischen Innenausschusses zum von SPD und CDU geplanten neuen Polizeigesetz für Niedersachsen („NPOG“).
In diesem Zuge kam es zum Ende der Anhörungen zu einem Knaller durch den parlamentarischen juristischen Gesetzgebungs- und Beratungsdienst (GBD), über den wir erstens berichten möchten.
Zum zweiten wagen wir ein kurzes Fazit der dreitägigen Anhörungen unter Berücksichtigung der weiterhin zugrundeliegenden von vielen Angehörten vorher abgegebenen schriftlichen Stellungnahmen zum NPOG, die wir hiermit drittens erstmals vollständig der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung stellen.
Im Einzelnen:
Nach Anhörung der letzten Gruppe am letzten Donnerstag wollten die Vertreter der Regierungsfraktionen darauf drängen, möglichst in der allernächsten Innenausschuss-Sitzung Endabstimmungen zum Gesetzentwurf vorzunehmen. Einwände der Opposition, doch zunächst einmal zu diskutieren, was denn alles an Kritik und Lob zum Entwurf eingegangen ist und wie das zu bewerten wäre, folgten auf dem Fuß. Doch der Höhepunkt war dann die mündliche Intervention des GBD, namentlich des Herrn Wefelmeier, der schon 2009/2010 für einen Quasi-Neuentwurf des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes (NVersG) unter der damals schwarz-gelben Landesregierung erwirkte.
Leider liefert der niedersächsische Parlamentsbetrieb weder einen Stream, noch eine Aufzeichnung, ja noch nicht einmal ein Wortprotokoll der öffentlichen Ausschuss-Sitzungen (freiheitsfoo wird dagegen mit einer Petition intervenieren), nachfolgend also nach bestem Wissen und Gewissen sinngemäß, allerdings auf keinen Fall wörtlich oder zitierfähig das, was Herr Wefelmeier dem Innenausschuss vortrug:
„Wir vom GBD begleiten ja normalerweise solche Gesetzgebungsvorhaben und sorgen dafür, dass handwerkliche Fehler vermieden werden. Im Falle des NPOG waren die Anhörungen für uns sehr hilfreich. Wir hatten bereits im Vorfeld Probleme diagnostiziert, sind durch die Anhörungen aber noch auf weitere aufmerksam geworden. Darüber hinaus hatten wir im Vorfeld mehrere (ca. 30?) Problempunkte gefunden, die in den Anhörungen nicht thematisiert wurden. Natürlich steht es dem Ausschuss frei, auch ohne die Betreuung des GBD das Gesetz zu verabschieden, aber das wäre nicht üblich. Wir sitzen mit drei Leuten an dem Entwurf und arbeiten mit Hochdruck daran, aber es ist auch ein ganz schön dickes Brett zu bohren. Wir brauchen da noch einiges an Zeit.“
Ist von der in Sachen mannigfacher und schwerwiegender NPOG-Kritik völlig unbeweglichen SPD-CDU-Landesregierung keinerlei Kurskorrektur zu erwarten bleibt es also dennoch spannend, inwiefern der juristische Sachverstand im Niedersachsen-Landtag noch als Korrektiv zu wirken vermag.
Versuch von Fazit und Ausblick
Es gibt keine einhellige Meinung zum NPOG-Entwurf und das war auch nicht zu erwarten. Überraschend aber dann doch die Menge und Wucht der Kritik bis hin zu mehrfachen Mahnungen der teilweisen Verfassungswidrigkeit des Entwurfs. Und das selbst von Personen oder Gruppen, die seitens der Regierungskoalition zur Stellungnahme aufgefordert/eingeladen worden waren.
Zudem die – wie gerade zuvor beschrieben – nüchterne bis herbe Zwischenbilanz des GBD.
Angesichts der Breite dieser zum Teil sehr ins Detail gehenden sowie fundamentalen Kritik fragt man sich dann doch, was der innenpolitische Sprecher der CDU für eine verzerrte Wahrnehmung der Realität hat, wenn dieser nach Beendigung der Anhörungen ins Mikrofon des NDR spricht:
„Grundsätzlich fühlen wir uns mit unserem Gesetzentwurf bestätigt.“
Klar ist: Die SPD-CDU-Landesregierung in Hannover meint sich mangels eigener Haltung von der AfD und der insgesamt populistisch aufgeheizten Stimmung treiben lassen zu müssen und als Beweis der „Stärke“ ein völlig überzogenes Polizeigesetz in die Welt zu setzen. Und das so schnell (und überstürzt) wie möglich. Da werden Bündnisse und Demonstrationen nur wenig dran ausrichten. Bleibt aktuell nur der GBD als (im Wirk- und Blickumfang allerdings aufs formell Juristische beschränkte) Hoffnung.
Aufgrund der Gesetzeslage in Niedersachsen ist es nicht möglich, mittels einer abstrakten Verfassungsbeschwerde gegen das NPOG vorzugehen. Jede einzelne kritikbeladene Regelung muss im Einzelfall mit konkretem Bezug durch die Instanzen getrieben und ggf. höchstrichterlich entschieden werden …
Alle schriftlichen Stellungnahmen
Einige Gruppen und Einzelpersonen – fast ausschließlich die Gruppen der Bürger- und Menschenrechtsbewegung – haben ihre schriftliche Stellungnahme bereits vor Beginn der mündlichen Anhörungen veröffentlicht. Die anderen erhielten wir – wie von der Landtagsverwaltung uns gegenüber zugesagt und dann auch eingefordert – nach Beendigung der Anhörungen übermittelt. Vorher wollte man die Stellungnahmen nicht öffentlich machen – man machte sich in der Verwaltung oder bei den dahinter agierenden politischen Kräften angeblich Sorgen, dass die Vortragenden sonst zu sehr auf Argumente anderer Vortragender eingehen könnten … o_O
Nun folgend die schon bekannte (allerdings weiter ergänzte/verfeinerte) Auflistung der zur Abgabe einer Stellungnahme Eingeladenen, geordnet nach Koalitionen (und Dritten!), die diese Gruppen und Menschen jeweils eingeladen haben. Sofern eine schriftliche Stellungnahme von diesen abgegeben worden ist sind diese direkt verlinkt. Ansonsten die Legende wie folgt:
[X] – Eingeladene*r hat weder schriftliche noch mündliche Stellungnahme abgegeben
[S] – Eingeladene*r hat nur schriftliche Stellungnahme abgegeben
[M] – Eingeladene*r hat nur mündliche Stellungnahme abgegeben
[?] – Unklar, ungelöst
SPD:
- Kommunale Spitzenverbände
- Gewerkschaft der Polizei (GdP) Niedersachsen
- Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) Niedersachsen [S]
- Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) Niedersachsen
- Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN)
- Polizeipräsident der Polizeidirektion Göttingen [M]
- DGB Bezirk Niedersachsen – Bremen – Sachsen-Anhalt
CDU:
- Kommunale Spitzenverbände
- Gewerkschaft der Polizei (GdP) Niedersachsen
- Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) Niedersachsen [S]
- Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) – Bundesvorsitzender Rainer Wendt [M]
- Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN)
- Landesbeauftragte für den Datenschutz (LfD)
- Niedersächsischer Richterbund
- Jörn Ipsen, Universität Osnabrück
- Mattias Fischer, HfPV Wiesbaden, Sitz Kassel
- Rainer Bruckert, Landesvorsitzender Weißer Ring Hannover eV [X]
- Klaus Gärditz, Uni Bonn [X]
- Kyrill-Alexander Schwarz, Uni Würzburg
- Josef Franz Lindner, Uni Augsburg [X]
- Markus Möstl, Uni Bayreuth [X]
- Cornelius Held, Nürnberg
- Stefan Schindler Uni Kassel [X]
- Monika Desoi, Uni Kassel [?]
- Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Projektleitung Sicherheitsbahnhof Berlin Südkreuz [X]
- CroudWatch bzw. „Brain Plug“ zu „intelligenter“ Videoüberwachung
- Polizeipräsident des Landeskriminalamtes Niedersachsen [M]
- Direktor der Polizeiakademie Niedersachsen [?]
- Polizeipräsidentin der Zentrale Polizeidirektion Niedersachsen [X – siehe Schreiben des Innenministeriums!]
- Polizeipräsident der Polizeidirektion Braunschweig [X – siehe Schreiben des Innenministeriums!]
- Polizeipräsident der Polizeidirektion Göttingen
- Polizeipräsident der Polizeidirektion Hannover [X – siehe Schreiben des Innenministeriums!]
- Polizeipräsident der Polizeidirektion Lüneburg [X – siehe Schreiben des Innenministeriums!]
- Polizeipräsident der Polizeidirektion Oldenburg [X – siehe Schreiben des Innenministeriums!]
- Polizeipräsident der Polizeidirektion Osnabrück [X – siehe Schreiben des Innenministeriums!]
- Michael Schmidt, Leiter Konzernsicherheit VW Wolfsburg
- Markus Thiel, Deutsche Hochschule der Polizei (DHPol) Münster [X]
Bündnis 90/Grünen:
- Rolf Gössner [X]
- Rafael Behr, Akademie der Polizei Hamburg [X]
- Hartmut Aden, Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin [X]
- Dörthe M. Katschinski, Direktorin des Instituts für Herz- und Kreislaufphysiologie, Universitätsmedizin Göttingen [X]
- Amnesty International, Themenkoordinationsgruppe Polizei und Menschenrechte
- Netzwerk Datenschutzexpertise, Thilo Weichert
- Humanistische Union
- Bündnis #noNPOG
- Sven Adam [X]
FDP:
- Kommunale Spitzenverbände
- Gewerkschaft der Polizei (GdP) Niedersachsen
- Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) Niedersachsen [S]
- BDZ Deutsche Zoll- und Finanzgewerkschaft
- Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN)
- Anwalt- und Notarverband Niedersachsen
- Vereinigung Niedersächsischer und Bremer Strafverteidiger
- Landesbeauftragte für den Datenschutz (LfD)
- Niedersächsischer Richterbund
- freiheitsfoo (+ Zusatz-Stellungnahme durch Anwalt Andreas Hüttl) (+ Protokollierung des ergänzenden mündlichen Vortrags vom 9.8.2018)
- Chaos Computer Club (CCC)
- Matthias Bäcker, Johannes Gutenberg-Universität Mainz [X]
- Digitalcourage
- netzpolitik.org
AfD:
[Die AfD hat niemanden vorgeschlagen/eingeladen!]
Innenministerium des Landes Niedersachsen (!):
- Landespolizeipräsident Axel Brockmann [M]
Unbekannter Einlader/Einladender:
- ver.di [M]
- SCHURA [X]
- DITIB [X]
- Bundespolizeidirektion Berlin, Polizeipräsident Thomas Striethörster (vermutlich als „Ersatz“ für das von der CDU vorgeschlagene BMI)
Darüber hinaus haben einige weitere Gruppen und Verbände Stellungnahmen zum NPOG oder zu Teilen davon abgegeben, ohne dazu vom Parlament aufgefordert worden zu sein: