Gemeinnütziger Atommüll? Proteste gegen Atommüllendlager in Bure

Alte Bahnanlage, Häuser und Text: " Künftige Bahnstrecke für Castor Transporte für das Atommüll Klo Bure?
diese Bahnstrecke soll für künftige Atommüll-Transporte reaktivisrt werden - sie führt direkt an Häuser vorbei

Mein jüngster Artikel über das geplannte Atommüll-Klo in Bure ist in der GWR 465 von Januar 2022 erschienen

„Der Stadtrat ist zur Überzeugung gekommen, dass das Dorf Bure unter der Walze der nationalen Agentur für die Entsorgung von Atommüll – Andra – sterben wird“. So steht es in einer Resolution vom 10. März 2021. (1) Bure ist eine kleine Ortschaft im strukturschwachen Lothringen. Dort will der französische Staat ein industrielles Großprojekt umsetzen: ein Atommüllendlager in tiefen geologischen Ton-Schichten und zahlreiche weitere Atomanlagen. Das Projekt heißt Cigéo (Centre industriel de stockage géologique; dt. Industriezentrum für tiefe Endlagerung). Auftraggeberin ist die Agentur Andra. Der Staat lockt mit Geldern für die Kommunen und verspricht Arbeitsplätze. Grundrechte werden missachtet. Gegner*innen des Projekts werden überwacht und kriminalisiert (siehe GWR 464). Das Genehmigungsverfahren wird Kritik aus der Zivilgesellschaft und Wissenschaft zum Trotz durchgezogen.

Das Vorhaben ist gigantisch. Die französische Regierung hat für Cigéo 25 Milliarden Euro veranschlagt, der Rechnungshof hält dagegen 41 Milliarden Euro für realistisch – ohne Unfall!
80.000 Kubikmeter Atommüll sollen in 500 Metern Tiefe eingelagert werden. Das Lager soll 130 Jahre lang betrieben werden. Das entspricht zwei Castortransporten pro Woche 100 Jahre lang. Allein für den Castor-Umschlagplatz und die „Descenderie“ (Zugänge zum Lager) ist eine Fläche von 110 Hektar vorgesehen. Die Installationen auf der Erdoberfläche im direkten Zusammenhang mit der Einlagerung sollen 680 Hektar in Anspruch nehmen. Die Befestigung der 270 Kilometer unterirdischen Gänge erfordert Millionen Tonnen klimaschädlichen Stahl und 275.000 Kubikmeter Beton.
Die Produzenten von Atommüll zahlen in einen Investitionsfonds (GIP, Groupement dʼIntérêt Public) ein, der Kommunen, die Teil des Cigéo-Projektes werden, Mittel für ihre wirtschaftliche Entwicklung zur Verfügung stellt. Derzeit erhalten die betroffenen Départements Meuse und Haute-Marne jeweils 30 Millionen Euro jährlich. Die Kommunen in einem Umkreis von zehn Kilometern erhalten zudem durchschnittlich 500 Euro pro Einwohnerin und Jahr. (2) Doch weder die Subventionen noch die Repression reichen aus, um Akzeptanz zu schaffen und Kritikerinnen mundtot zu machen. Mehrere Wissenschaftler*innen weisen seit vielen Jahren auf die Risiken von Cigéo hin. Der Wissenschaftler Bertrand Thuillier bezeichnet Cigéo im Hinblick auf das Brand- und Explosionsrisiko als eine Art Hydrogenfabrik. (3)

Genehmigungsverfahren,Planfeststellungsverfahren

Das Genehmigungsverfahren für Cigéo wird vorangetrieben. Vom 15. September bis zum 23. Oktober fand eine öffentliche Befragung im Rahmen der „DUP“ statt.
Die DUP (Déclaration dʼUtilité Publique) ist die Erklärung der Gemeinnützigkeit, das Projekt gilt dann als von öffentlichem Interesse und Nutzen. Das ist ein wichtiger zwingender Schritt im Planfeststellungsverfahren. Ohne DUP keine Baugenehmigung für das Projekt. Die Anerkennung ermöglicht zudem die Durchführung von Enteignungsverfahren zur Durchsetzung des Vorhabens, die Kommunen müssen ihre Bebauungspläne im Sinne des Projektes ändern.

Der DUP-Antrag bestand aus einer 4.000-seitigen Akte. Die Bevölkerung durfte sich im Rahmen einer öffentlichen Befragung äußern. Die Akte wurde in den Kommunen um Bure ausgelegt und im Internet zur Verfügung gestellt. Nach Abschluss der Konsultation fassen die Untersuchungsbeauftragten die Stellungnahmen zusammen, die Andra muss darauf antworten. Erst dann wird eine Empfehlung für oder gegen das Projekt ausgesprochen. Doch ein negatives Urteil hindert den Staat nicht daran, das Projekt durch einen Ministerialerlass für gemeinnützig zu erklären – und das ist im Falle von Cigéo zu erwarten. Auf die DUP soll dann die DAC folgen, der Antrag zur Baugenehmigung. Die DAC wird mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Solange darf das Lager nicht gebaut werden, kein Atommüll eingelagert werden. Die Andra ist jedoch der Auffassung, dass sie schon bei Anerkennung des öffentlichen Interesses mit „Vorarbeiten“ beginnen darf. Damit sind jedoch Maßnahmen gemeint, die bereits irreversible Zerstörungen mit sich bringen: Rodung von Waldflächen, Bau eines elektrischen Transformators, Bau einer Bahnanlage für die künftigen Castortransporte. Viele Menschen sehen deshalb in der DUP ein trojanisches Pferd, um Fakten für Cigéo lange vor einer möglichen Genehmigung zu schaffen. Dabei helfen soll der „OIN“.

Paris soll bestimmen

Kurz vor Beginn des DUP-Verfahrens sind Unterlagen für den geplanten Erlass eines „OIN-Dekrets“ hinzugekommen. Es handelt sich dabei um ein maßgeschneidertes Dekret, um die Genehmigung für den Bau des Endlagers zu beschleunigen, indem die Kompetenzen in Paris gebündelt werden. OIN bedeutet „Operation von nationalem Interesse“.
Dieses Dekret würde es dem Staat ermöglichen, Genehmigungen für die Bodennutzung und insbesondere Baugenehmigungen zu erteilen. Der Staat hätte somit alle Kompetenzen im Bereich der Stadtplanung und Zugriff auf 3.695 Hektar Fläche – ohne dass die Kommunen vor Ort mitreden dürfen.

„Das Projekt Cigéo schreitet im Eiltempo voran, ohne den Hauptbetroffenen die Zeit und die Mittel zu geben, sich eine fundierte Meinung zu bilden. Cigéo bestätigt einmal mehr die – inakzeptablen – antidemokratischen Auswüchse, die es von Anfang an kennzeichnen“ .

Verein CEDRA am 25. November 2021

Wir sind weder DUP noch DAC (5)

Projektgegner*innen hatten zum Widerstand gegen die DUP aufgerufen:


„Enteignungen, die Kontrolle des Staates über Entscheidungen, die unser Gebiet betreffen, der Beginn einer gigantischen Baustelle mit tausendfachen Umweltbelastungen und Gefahren: Das ist es, was sich hinter dem vermeintlichen öffentlichen Nutzen des Projekts Cigéo verbirgt und was wir nicht zulassen dürfen. […] Viele von uns stecken schon fast drei Jahrzehnte lang in der Mitmachtfalle, haben sich an öffentlichen Anhörungen beteiligt. Mit großer Bitterkeit stellen wir fest, dass all die Energie, die wir aufgebracht haben, absolut nichts bewirkt hat. Nicht, weil unsere Argumente nicht stichhaltig oder unsere Befürchtungen unbegründet waren, sondern weil der Verwaltungsprozess rund um das Cigéo-Projekt endgültig verriegelt ist. Das Verfahren lässt nicht nur nicht zu, dass das Projekt infrage gestellt wird, sondern schlimmer noch, es begleitet es, festigt es und beschleunigt es“

Coordination Stop Cigéo am 15. September zum Beginn des DUP-Verfahrens

Die DUP wurde durch zahlreiche Demonstrationen und ein großes Polizeiaufgebot begleitet. Einige Menschen entscheiden sich dafür, Einwendungen einzureichen. Andere rufen zum Boykott der Befragung und zu Protestaktionen auf.
Augenzeugen berichten über den letzten Tag der DUP am 23. Oktober 2021:

„Die für die Durchführung der DUP verantwortlichen Beamtinnen haben soeben das Rathaus verlassen, begleitet von den immer gleichen 50 Gendarminnen, schlecht gekleideten Staatsschützerinnen und anderen Ordnungskräften. Wir vermissen sie nicht, aber ihre Abreise bedeutet das Ende des ersten Teils unserer Aktionen und Demonstrationen ‚Ni DUP, Ni DAC‘. Denn wir werden immer da sein, egal wie das Verfahren, dessen Ergebnis bereits im Voraus feststeht, ausgeht. Und wenn das DUP-Dekret verkündet wird, wenn der erste Spatenstich der Vorarbeiten ansteht, wenn der DAC-Prozess beginnt … Wir werden immer noch und immer wieder da sein! Sehr zum Leidwesen der Andra, die es vorgezogen hätte, unseren Widerstand zum Schweigen zu bringen und die Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die wir ihr unermüdlich in den Weg legen. Heute haben sich 200 Personen versammelt. Fünf Traktoren mit Landwirtinnen aus den bedrohten Dörfern saßen am Steuer. Auch dabei: Bäuerinnen aus der Region, Bewohnerinnen und Liebhaberinnen der Gegend, bunt geschmückte Aktivistinnen und entschlossene Radfahrer*innen. Das Ende der scheindemokratischen Maskerade wurde mit Punkmusik auf dem Rathausvorplatz gefeiert.“ (6)

Eichhörnchen

UPDATE (19.1.2022): das ist keine Überraschung, die commissaires-enqueteurs.ices (Gutachter*innen) haben ihr Bericht kurz vor Weihnachten vorgelegt und sich für die Gemeinnützigkeitserklärung ausgesprochen. Paris wird nun voraussichtlich der Empfehlung folgen. Es gibt zwar etwas Vorbehalt, weil einiges laut atomarer Sicherheitbehörde unklar ist, insbesondere bzgl. Sicherheit, wo der Nachweis nicht erbracht ist. Aber die Andra darf später nachbessern.

Anmerkungen:
(1) Siehe Autor*innenkollektiv, „Cigéo: ,coffre-fort géologique‘? Démystifier le mythe, 2021, Édition BureStop55
(2) Siehe „L’opposition citoyenne au projet Cigéo“ sous la direction de Pierre Ginet, Géographe, Edition L’Harmattan, ISBN 978-2-343-11881-9 – Die Zahlen wurden aus dem Buch entnommen, das u. a. Beiträge der kritischen Wissenschaftler Antoine Godinot und Bertrand Thuillier enthält.
(3) Ausführlicher Artikel über die Risiken des Endlagerprojektes in GWR 428 „Die Bruchlinien von Cigéo“, https://www.graswurzel.net/gwr/2018/04/die-bruchlinien-von-cigeo/#u2
(4) Siehe https://cedra52.jimdofree.com/2021/
11/25/cp-stop-cig%C3%A9o-le-territoire-convoit%C3%A9-pour-cig%C3%A9o-d%C3%A9cr%C3%A9t%C3%A9-op%C3%A9ration-d-int%C3%A9r%C3%AAt-national-la-pire-des-annexions-en-cours/

(5) Wortspiel: Auf Französisch lautet der Satz „nous ne sommes ni DUP ni DAC“. Die Redewendung „nous ne sommes pas dupes“ bedeutet „wir fallen darauf nicht herein“.
(6) Siehe https://onestpasdup.noblogs.org/post/2021/10/23/cloture-de-lenquete-publique-ni-dup-ni-dac-ramene-ta-meuse-ta-haute-marne-et-tes-vosges/

Weitere Informationen auf Deutsch:
https://bureburebure.info/category/deutsch/